Wofür Pfarrer Peter Lenfers sein Leben lang dankbar ist
Der 27. September 1989 ist ein besonderes Datum in meinem Leben. An diesem Tag starb mein guter Freund Heijo R. an Krebs. Innerhalb von elf Wochen. Das hat mich – in einem für mich ohnehin schwierigen Jahr – ziemlich umgehauen. Zusehen zu müssen, wie mir ein wichtiger Mensch in nullkommanichts von der Fahne geht, war für mich eine einschneidende Erfahrung. In den Folgejahren hing ich in den zwei, drei Wochen vor und nach dem 27. September immer etwas daneben, fühlte mich komisch. Anfangs konnte ich es nicht deuten. Bis ich dahinter kam, dass dieses Unwohlsein mit dem Tod meines Freundes zusammenhing.
Eine Einladung zum Gespräch
Mit den Jahren hat sich das verändert. Meine Trauer ist eine andere geworden. Nicht mehr der Schmerz steht im Vordergrund, sondern die dankbare Erinnerung. Dafür gibt es mehrere Gründe, aber einen ganz besonderen: den 27. Juni 1982. Der Abend nach meiner Abiturfeier. Die Nacht ziemlich durchgezaubert und in etwa halbwegs ausgeruht, fuhr ich am Sonntagabend zu Heijo. Seit einiger Zeit hatten wir mit unserer Messdienergruppe wieder etwas Kontakt zu ihm bekommen, weil er eine Kaplanstelle in der Nähe meiner Heimatgemeinde angetreten hatte. Nun hatte er mich auf ein Gespräch eingeladen.
Im Laufe des Abends fragte er mich nach meinen beruflichen Plänen für die Zeit nach der Bundeswehr. Außer der vagen Idee, vielleicht Lehrer zu werden, hatte ich noch keine. Er fragte mich, ob mir schon einmal der Gedanke gekommen sei, Priester zu werden. Als ich stotternd verneinte, fügte er hinzu: "Ich könnte mir gut vorstellen, dass das etwas für Dich wäre. Und ich glaube auch, dass Du das könntest." Ich war wie vom Donner gerührt. Und sofort innerlich heftig bewegt. Wir sprachen dann noch über dieses und jenes, über Familie oder Alleinleben und wie das geht mit dem Studium und so. Da war ich innerlich längst abgedriftet. Am Ende des Abends gab er mir eine Bibelstelle mit: Jesaja 43,1-3a. Gelesen habe ich sie dann zuhause. "Jetzt aber – so spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und der dich geformt hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst, ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir. Wenn du durchs Wasser schreitest, bin ich bei dir, wenn durch Ströme, dann reißen sie dich nicht fort. Wenn du durchs Feuer gehst, wirst du nicht versengt, keine Flamme wird dich verbrennen. Denn ich, der Herr, bin dein Gott, ich, der Heilige Israels, bin dein Retter." – "Ich habe dich beim Namen gerufen."
Geheime Gedanken
Bei diesen Worten überkam mich fast das Zittern. Ich war wie getroffen. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich von einem Wort aus der Bibel unmittelbar angesprochen. Ganz direkt: ICH bin gemeint! Als Messdiener hatte ich – gefühlt – hunderte von Gottesdiensten gedient, in denen ich Lesungen aus der Heiligen Schrift gehört hatte. In der Familie war das Gebet vor und nach den Mahlzeiten selbstverständlich. Und der Kirchgang auch. Aber jetzt? Jetzt traf es mich zum ersten Mal ganz persönlich. Aber so richtig! – Auch in den Folgetagen ließ mich diese Erschütterung nicht los. Im Gegenteil.
Vier Tage später ging es zum Grundwehrdienst nach Hamburg. Zwei Tage "Gott-sei-Dank" nur, dann konnte ich über das Wochenende wieder nach Hause. Zurück in heimische Gefilde. Doch: ganz so heimisch waren sie mir nicht, trug ich doch irgendwie geheime Gedanken mit mir herum, von denen ich meine Familie (noch) nichts wissen lassen wollte. Ich konnte es drehen und wenden: es blieb dabei. In meinem Innern war etwas heftig in Bewegung geraten, wie ich es nie zuvor erlebt hatte. Natürlich war Heijo in dieser Zeit für mich ein wichtiger Gesprächspartner. Vieles haben wir gemeinsam hin- und hergewogen. Nach und nach hat er mir zu mehr Klarheit verholfen. Doch irgendjemandem davon erzählen konnte ich noch nicht. Deshalb war ich froh, dass mich mein bester Schulfreund am Rande einer Party im selben Spätsommer ansprach: "Sag mal, kann es sein, dass Du Dir Gedanken machst, Priester zu werden?" Volltreffer! Doch endlich konnte ich meine Gefühle und Gedanken mit einem vertrauten Menschen aus meiner unmittelbaren Umgebung teilen. Das hat mir gut getan. Denn solche Erschütterungen machen auch erst einmal ein Stück einsam. Und dann stand auch noch im Raum, es irgendwann und irgendwie meiner Familie zu sagen.
„Ich war wie getroffen. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich von einem Wort aus der Bibel unmittelbar angesprochen. Ganz direkt: ICH bin gemeint!“
Im Wintersemester des Folgejahres habe ich das Theologiestudium begonnen. In aller Offenheit. Ich wollte schauen, ob das etwas für mich ist. Ob ich mir vorstellen kann, Priester zu werden. Und dabei ein eheloses Leben nicht einfach in Kauf zu nehmen, sondern von meiner persönlichen Glaubensbindung an Jesus Christus zu bejahen. Ich habe von Semester zu Semester weitergemacht – und bin Priester geworden. Der 27. Juni 1982 markiert einen Wendepunkt in meinem Leben.
Ein Sparringspartner geht
Der 27. September 1989 noch einmal auf besondere Weise. Genau 7 ¼ Jahre nach besagtem Abend stirbt Heijo R. Längst war er mir zum Sparringspartner geworden. Aber zunächst einmal hat er in mir etwas wachgerufen, das mir zum Lebensinhalt geworden ist. Und dafür bin ich zutiefst dankbar.
Der Autor
Kreisdechant Peter Lenfers ist Pfarrer in St. Laurentius in Warendorf im Bistum Münster. Er ist 1963 geboren.
Die passende Lektüre zum Jahreswechsel: Das Buch "Danke!"
Der Text von Pfarrer Peter Lenfers ist einer von 50 Beiträgen im Buch "Danke!", das Ende November 2024 erschienen ist. Darin schreiben Persönlichkeiten aus Kirche und Gesellschaft, wofür sie im Leben dankbar sind. Mit dabei sind etwa auch Wolfgang Huber, Präsident von Missio München, Schulseelsorger Jens Hagemann und Julia Geppert, Redakteurin beim Bistum Münster. Auch Comedian Atze Schröder oder Sänger Alexander Klaws haben Beiträge geliefert. Herausgekommen sind schöne kurzweilige Texte, die auch zum Nachdenken über das eigene Leben einladen. Herausgeber ist der Journalist Frank Haberstroh, der sein Honorar für Obdachloseninitiativen spenden will. Insgesamt eine absolute Leseempfehlung gerade für die nachdenkliche Zeit rund um Weihnachten und den Jahreswechsel. (gho)
Haberstroh, Frank (Hg.): Danke! Mit Dankbarkeit besser durchs Leben, 188 Seiten, gebunden, Aschendorff-Verlag, 19,90 €