18- bis 35-Jährige: Warum der Kirche der Anschluss schwerfällt
Corona ist gerade erst ein paar Jahre her, es toben Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, das Klima seht vor dem Kollaps: Wir leben in einer Zeit der Polykrisen – das beschäftigt gerade junge Menschen. Schließlich haben sie den größten Teil des Lebens noch vor sich. Auch persönlich passiert in den Jahren zwischen 18 und 35 viel: Berufs- und Partnerwahl stehen an, vielleicht eine Familiengründung. Eigentlich jede Menge Ansatzpunkte, an denen die Kirche Beistand und Orientierung geben könnte – doch der Kontakt zu dieser Altersgruppe fällt ihr besonders schwer. Oft fallen spätestens mit dem Auszug aus dem Elternhaus die letzten Berührungspunkte weg, in Pfarreien und Verbänden sind Angebote für diese Altersklasse dünn gesät.
Mitte Zwanzig kaum noch Kontakte mit der Kirche
Die Gründe für das gegenseitige Fremdeln sind vielfältig. Zunächst einmal handelt es sich um eine Lebensphase, die früher in dieser Form kaum existierte: Junge Erwachsene sind heute oft länger in Ausbildung, heiraten später. "Diese Zwischenphase zwischen Jugendalter und gesetteltem Erwachsenalter gibt es eigentlich erst seit den 80er-Jahren – und sie stellt ganz neue Anfragen an die Pastoral", analysiert Patrik Höring, Professor für Religionspädagogik an der Uni Trier.
Wer noch zu Hause lebt und gläubig ist, ist möglicherweise in der Heimatpfarrei integriert, zum Beispiel als Gruppenleiter oder Messdiener. Eine Pfarrei an einem neuen Ort hat es mit einer Kontaktaufnahme dagegen in der Regel schwer. "Die institutionalisierten Gemeindekontakte aus den Kinderschuhen sind mit Mitte Zwanzig in der Regel Vergangenheit", sagt Jan Loffeld, Professor für praktische Theologie an der Tilburg-University in den Niederlanden. Spätestens mit den ersten Gehaltszetteln kommt noch ein weiteres Argument gegen die Kirche hinzu: "Das ist oft der Knackpunkt, an dem Menschen austreten, weil sie über die Kirchensteuer spüren, wie teuer die Kirchenmitgliedschaft für sie ist und wie wenig sie davon haben", so Loffeld.
Ähnlich wie Parteien und Vereine spüren die Kirchen zudem, dass sich die Art wandelt, wie Menschen ihre Freizeit verbringen und wie sie sich ehrenamtlich engagieren: Der Trend geht weg von regelmäßigen Aktivitäten hin zu punktuellem Kontakt bei einzelnen Aktivitäten oder Events. "Davon ist die wöchentliche Trainingseinheit im Fußball genauso betroffen wie der Kirchgang oder das Singen im Kirchenchor", erklärt Patrik Höring. Was bei den Kirchen allerdings noch hinzukommt, ist ein nie dagewesener Vertrauensverlust. 15 Jahre Missbrauchsskandal haben ihre Spuren hinterlassen: "Dieses Vertrauen lässt sich jenseits struktureller Fragen nur durch direkten Kontakt beziehungsweise durch persönliche Beziehungen wieder aufbauen. Da muss die Kirche erstmal jede Menge Klinken putzen, bis das gelingt", so Höring.
Zusammenarbeit mit Akteuren außerhalb der Kirche
Aufgabe der Kirche ist es also, wieder Anknüpfungspunkte mit jungen Erwachsenen zu finden. "Beiderseitig durchlässige Membranflächen" nennt das Jan Loffeld. Chancen sieht er vor allem außerhalb der klassischen Gemeindepastoral: etwa in Jugendkirchen, Tourismusseelsorge, Studierendenseelsorge, Festivalseelsorge oder durch Kitas im Kontakt mit jungen Familien. Auch die Zusammenarbeit mit Akteuren außerhalb der Kirchen wie etwa Sportvereinen oder Universitäten sehen die Experten als Chance für die Kirchen. Nach dem Motto "Raus aus dem Schneckenhaus": Jugendkirchen oder auch die Ortspfarrei könnten ins Stadtviertel, in die lokale Kulturszene hineinwirken; die Hochschulgemeinde noch stärker auf dem Campus präsent sein. "Vielfach ist das aber immer noch eine Komm-her-Struktur. Eine Geh-hin-Alternative wäre, wenn Angebote wie meditatives Bogenschießen in den Hochschulsport eingebracht würden“, verdeutlicht Höring. Diese Idee lässt sich leicht weiterspinnen. Beispiel Skifreizeit: "Wenn ich als gläubiger Mensch mit anderen den ganzen Tag auf der Piste bin – warum da nicht abends eine kleine Meditation oder Reflexion anbieten? Ich könnte mir vorstellen, dass das nach einem Tag draußen durchaus guttut – und der persönliche Kontakt ist dann ja schon da" erklärt Patrik Höring. Solche Angebote ohne "großes kirchliches Label", sondern einfach aus dem eigenen Engagement heraus seien oft besonders glaubwürdig.
Ein Ort, an dem 18- bis 35-Jährige zu Hause sind, sind soziale Medien. Doch auf Instagram, Tiktok oder auch Messengerdiensten wie WhatsApp hat die Kirche noch Nachholbedarf. Manches Angebot wird eher von "Digital Immigrants" gemacht, die heute in ihren Vierzigern oder Fünfzigern sind, statt von "Digital Natives", die wirklich mit Sozialen Medien aufgewachsen sind. Jan Loffelds Vorschlag: vermehrt junge kirchliche Mitarbeiter freistellen, damit sie sich ausschließlich der Arbeit auf Social Media widmen – und sich auch mit ihrer Persönlichkeit einbringen. Einige erfolgreiche christliche Influencer gibt es schon. "Sie erzählen authentisch von sich. Das ist auf demselben Level spannend wie andere über ihre Haarpflege im Netz informieren", erklärt Patrik Höring.
Ein ganz anderer Anknüpfungspunkt an die Gruppe der 18 bis 35-Jährigen sind jungen Familien: Gerade in der Kita-Pastoral oder der frühkindlichen Betreuung ergeben sich fast automatisch Schnittstellen mit jungen Eltern, die sonst in der Kirche nicht beheimatet sind.
Eine Frage des Geldes
Vieles ist auch eine Frage des Geldes. Die Einnahmen aus der Kirchensteuer werden absehbar zurückgehen. "Eine Kirchengemeinde muss vielleicht entscheiden: Wollen wir unsere vier Kirchen erhalten und muss dafür eine der beiden Kitas schließen – oder doch vielleicht andersherum?", erläutert Jan Loffeld und weist darauf hin, dass gerade der religionspädagogische Bereich laut empirischen Studien für die religiöse Bildung sehr wichtig ist. Heftige Kritik hatte im November 2024 zum Beispiel die Ankündigung des Bistums Essen hervorgerufen, die beliebte junge Kirche Gleis X in der Gelsenkirchener Liebfrauenkirche zu schließen, weil die Sanierung des Gebäudes zu teuer würde. "Jedes einzelne Bistum, jede Pfarrei muss Prioritäten setzen. Einrichtungen und Angebote, die keine so große Lobby haben oder die nicht zum vermeintlichen Kerngeschäft gehören, haben es dabei natürlich schwerer als andere", findet Patrik Höring.
Am Ende ist die Zielgruppe der 18 bis 35-Jährigen aber auch Teil eines allgemeinen Trends: Daran, dass den Menschen – und auch den Kirchenmitgliedern – Religion immer weniger wichtig ist, wird wohl auch die beste Strategie nicht viel ändern. Das hat etwa die jüngste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung vom November 2023 schmerzlich vor Augen geführt. Nur noch vier Prozent der katholischen und sechs Prozent der evangelischen Befragten gaben an, eng mit ihrer jeweiligen Kirche verbunden zu sein. Ende September 2023 zeigte eine Erhebung des Meinungsforschungsinstituts YouGov, dass jedes zweite katholische Kirchenmitglied in Deutschland nie einen Gottesdienst besucht. Und das sagt natürlich auch etwas über junge Leute aus. "Wir müssen mit realistischen Erwartungen an die Zielgruppe der 18 bis 35-Jährigen herangehen. Wo es keine Brückenpfeiler mehr gibt, hilft es der Kirche wenig, zwanghaft zu versuchen, eine Brücke zu bauen", sagt Jan Loffeld. Aufgeben dürfe die Kirche die Gruppe keinesfalls, ihr lästigfallen aber auch nicht. Und vor allem aber keine Fragen beantworten, die nicht gestellt werden.