Theologin Frey: Es kommt nicht auf das "Was" an, sondern auf das "Wie"

Warum eine Predigt im gewissen Sinne immer politisch ist

Veröffentlicht am 15.02.2025 um 12:00 Uhr – Von Regina M. Frey – Lesedauer: 8 MINUTEN

Fribourg ‐ Politische Ereignisse haben die Frage aufgeworfen, worüber Geistliche predigen dürfen. Die in Fribourg lehrende Pastoraltheologin Regina M. Frey geht dieser Frage in ihrem Gastbeitrag nach – aus der Perspektive der Homiletik und der praktischen Predigtausbildung.

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Aktuelle politische Ereignisse in den USA wie in Deutschland haben dazu geführt, dass die Frage, was Pfarrer in Predigten sagen dürfen und wie sehr die Politik in die Predigt Einzug halten solle, wieder verstärkt diskutiert wird. Predigerinnen und Prediger stellen sich die Frage, ob sie zu aktuellen politischen Fragen Stellung nehmen sollen oder nicht. Oftmals haben Hörerinnen und Hörer unterschiedliche Erwartungen: "Warum sagt mein Pfarrer nicht endlich etwas zur politischen Lage?" Oder: "Nicht schon wieder die Tagesschau in der Sonntagsmesse!"

Papst Franziskus schreibt in seinem Apostolischen Schreiben "Evangelii Gaudium" über die Predigt: "Die einen leiden beim Zuhören, die anderen beim Predigen" (vgl. EG 135). Dies deutet die grundlegende Problematik von Prediger und Hörer an: Worüber soll in der Predigt gesprochen werden? Es geht im Folgenden nicht um die Frage, welche konkreten Themen in einer Predigt genannt werden dürfen, auch nicht um rhetorische Geheimtipps. Vielmehr geht es um die Frage, was eine Predigt zur Predigt macht und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Die hier erwähnten Gedanken sind das Ergebnis einer kürzlich erfolgten Diskussionsrunde mit Theologiestudierenden. Im Rahmen eines Seminars über Schriftauslegung und Predigt wurde mit ihnen diskutiert, wie politisch die Predigt sein soll. Dabei ging es vor allem um drei Aspekte: die Person des Predigers bzw. der Predigerin, die Zielgruppe und die Verkündigung.  

Prof. Dr. Regina M. Frey, Lehrstuhl für Pastoraltheologie, Religionspädagogik und Homiletik
Bild: ©Privat/blende11

Regina M. Frey ist Professorin für Pastoraltheologie, Religionspädagogik und Homiletik an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg (Schweiz). Sie ist zudem in mehreren deutschen Bistümern als Referentin für die praktische Predigtausbildung in den Pastoralkursen tätig.

Predigten sind keine Berichte oder Kommentare im journalistischen Sinne und sie unterliegen anderen Anforderungen als politische Reden und Statements. Dabei geht es nicht nur um fachliches Handwerk wie rhetorische Fertigkeiten und theologisches Wissen, sondern vor allem um die Haltung, mit der verkündigt wird. Im Vordergrund steht also zunächst einmal wesentlich die Person des Predigers bzw. der Predigerin. Wer predigt, der predigt auch immer sich selbst. Und zwar mit allem, was das Leben zu bieten hat: Herausforderungen, Krisen, Unsicherheiten aber auch Sternstunden, Freude und Glück. Ein Zurücktreten der Person hinter die offizielle Amtsperson ist nicht möglich und auch nicht hilfreich. Das bedeutet aber keinesfalls, dass die Predigt zu einem netten Schwank aus dem eigenen Leben werden sollte. Es bedeutet vielmehr, dass jeder Prediger auch immer das besonders hervorheben wird, was er aus dem Glauben für sein Leben als hilfreich, trostreich und lehrreich erfahren hat.

Mit Karl Rahner gesprochen: "Der Prediger ist der erste Hörer des Wortes Gottes." Wer predigt, hat das Wort Gottes selbst zuerst gehört. Und noch mehr, ganz im Sinne des Gleichnisses vom Sämann: "Das Wort fiel auf fruchtbaren Boden" (vgl. Mk 4,1-20). Oder, in einem anderen Bild: Das Wort ist durch ihn hindurchgegangen. "Ich bin nur wie ein Glas, durch das du den anderen scheinst", betete der englische Kardinal und angesehene Prediger John Henry Newman. Führt man sich alte englische Kathedralen und Seminargebäude vor Augen, so wird klar: jenes Glas, durch das Newman blickte, war nicht makellos geschliffen wie unser heutiges Fensterglas, sondern war wabenförmig und brach das Licht in unzähligen Schattierungen.

So ist es auch mit jenen, predigen: Keiner ist völlig makellos geschliffen, jeder bringt seine eigene Lebens- und Glaubensgeschichte mit. So kann man sich bei der Predigtvorbereitung zunächst einmal fragen: Welche Motivationen und Emotionen treiben mich an, über dieses Thema zu sprechen? Und dann folgt der Blick auf jene, an die die Predigt gerichtet ist: Wem nützt es? Hilft es meinen Hörerinnen und Hörern, wenn ich das Thema zum Thema mache? wo wir schon bei der zweiten Gruppe wären: den Hörern.

Zuhörer können keine direkte Stellung beziehen  

Die Predigt ist eine besondere Form der Rede, ihr Spezifikum ist der verkündigende Charakter. Sie ist weder eine politische Rede noch eine Debatte mit Rede und Gegenrede. Für die Predigt gilt formal: Einer redet, alle anderen hören zu. Direkte Reaktionen der Hörerinnen und Hörer nimmt der Prediger bzw. die Predigerin allenfalls als zwischenmenschliche Resonanz wahr. Zwischenrufe wie im Bundestag sind nicht vorgesehen, die Zuhörerinnen und Zuhörer haben keine Möglichkeit, direkt Stellung zu beziehen. Was nicht heißt, dass sie sich nicht ihre eigenen Gedanken zum Gehörten machen würden – ein Aspekt, der oftmals unterschätzt wird.

Eine Bibel liegt auf dem Ambo vor leeren Kirchenbänken.
Bild: © fotosmile777 – stock.adobe.com

Die Predigt ist eine besondere Form der Rede, ihr Spezifikum ist der verkündigende Charakter. Sie ist weder eine politische Rede noch eine Debatte mit Rede und Gegenrede.

Die eigentliche Predigt beginnt erst nach dem "Amen", also dann, wenn es darum geht, ob das Gehörte eine Relevanz für den Alltag außerhalb des Kirchenraumes hat. Gehen wir für unsere Überlegungen von einer normalen Sonntagsgemeinde aus, so besteht diese aus einer entweder über Jahre gewachsenen treuen Gemeinde von Mitfeiernden oder aus Katholikinnen und Katholiken, die aus einem speziellen Grund eine bestimmte Gemeinde aufsuchen, wie etwa an Wallfahrtsorten oder bei Gottesdiensten mit einer spezifischen Spiritualität. Wir haben also Menschen, die über eine gewisse Glaubenspraxis verfügen, und noch mehr: Die bereits ihre individuellen Wege mit Gott und seinem Wort gegangen sind und gehen. Interessant, dass sich trotzdem das Vorurteil hartnäckig hält, der Hörer der Sonntagspredigt sei zunächst einmal religiös ungebildet. Die meisten sind vielmehr (leidgeprüfte) Expertinnen und Experten im Hinblick auf die Predigt.

Mehr als nur Stellung beziehen und kommentieren

Den Anspruch des Zweiten Vatikanischen Konzils, dass Christen die Freude und Hoffnung aller Menschen teilen sollen (vgl. Gaudium et Spes 1), ist inzwischen zum Bonmot geworden. Die Predigt kann und soll mehr als lediglich Stellung beziehen, kommentieren, erklären oder gar verurteilen. Das ist Aufgabe des Journalismus. Anders als eine Journalistin, die im Idealfall weltanschaulich neutral informiert oder wertend kommentiert, spricht die Predigerin nicht nur auf der Grundlage des christlichen Glaubens, der Tradition und Lehre der Kirche, sondern vornehmlich als Person des Glaubens mit ihren individuellen Gotteserfahrungen. In einem gewissen Sinne ist Predigt immer politisch, weil sie in den öffentlichen Raum wirkt.

Während tagesaktuelle Weltgeschehnisse einem stetigen Wandel unterzogen sind, leitet die Predigt hin zum unwandelbaren Kern unseres Glaubens: "Die Kirche bekennt überdies, dass allen Wandlungen vieles Unwandelbare zugrunde liegt, was seinen letzten Grund in Christus hat, der derselbe ist gestern, heute und in Ewigkeit" (GS 10). Predigten können aufrütteln, Verhältnisse anprangern und zum Handeln aufrufen, man denke nur an den "Löwen von Münster", Kardinal Clemens August Graf von Galen oder Dietrich Bonhoeffer, die gegen den Nationalsozialismus ihre Stimme erhoben.

Unverrückbare Grundlage für diese beiden wie für viele mutige Predigerinnen und Prediger war das Wort Gottes, die biblische Botschaft und das Vorbild Jesu. Predigt ist zuallererst Verkündigung des Wortes Gottes und geht von der biblischen Botschaft aus. Sie hilft dem Hörer, das Wort Gottes und die Relevanz des Glaubens für das eigene Leben besser zu verstehen. Die letzte Hoffnung hinter allem ist der Glaube daran, dass die Welt von Gott gehalten, geliebt und am Ende der Zeiten zum Guten geführt wird.

„In einem gewissen Sinne ist Predigt immer politisch, weil sie in den öffentlichen Raum wirkt.“

—  Zitat: Regina M. Frey

Wie politisch soll nun eigentlich die Predigt sein? Als Homiletikdozentin und Predigthörerin bin ich der Meinung, dass über alles gepredigt werden kann. Weil jedes Thema öffentlich ist, gibt es kein Thema, das ausgenommen ist. Es kommt nicht auf das "Was" an, sondern auf das "Wie". Wer aus eigener Glaubenserfahrung predigt und darum weiß, dass Christus hinter allen Ereignissen und Veränderungen als der Herr der Geschichte steht, dessen Predigt wird zur Hoffnungsbotschaft. Dies gilt auch für Predigten zum aktuellen Wahlkampf, zu gesellschaftlichen Verunsicherungen und zu Kriegssituationen. Ich glaube, nicht der Inhalt entscheidet die Frage nach der politischen Predigt, sondern die Haltung des Predigers. Für all jene, die Sonntag für Sonntag ans Ambo treten, gilt: "Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der euch nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt" (1 Petr 3,15).

Von Regina M. Frey

Die Autorin

Regina M. Frey ist Professorin für Pastoraltheologie, Religionspädagogik und Homiletik an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg (Schweiz). Sie ist zudem in mehreren deutschen Bistümern als Referentin für die praktische Predigtausbildung in den Pastoralkursen tätig.