Wenn der Kommuniondienst neue Lebensqualität gibt
Wenn Jennifer Rhode (43), braune Haare und Kurzhaarfrisur, und Katharina Lenzschau (49), blonde Haare und Zopf, über ihre Aufgabe als Kommunionhelferinnen sprechen, dann haben sie ein fröhliches Grinsen auf dem Gesicht. Sie mögen ihre Aufgabe, das ist unschwer zu erkennen. "So einen Dienst zu übernehmen war schon immer mein Wunsch, aber ich habe mich nie recht getraut, das anzusprechen", sagt Lenzschau. Seit November vergangenen Jahres sind sie und ihre Freundin Jenny die ersten Kommunionhelferinnen mit geistiger Behinderung im Erzbistum Paderborn – und womöglich bundesweit.
Plötzlich die Hostienschale in der Hand
Alles begann mit einem Zufall. Auf dem Gelände des Heilpädagogischen Therapie- und Förderzentrums (HPZ) St. Laurentius in der nordrhein-westfälischen Stadt Warburg, auf dessen Gelände Lenzschau und Rhode leben, wurde nach Jahren der Renovierung die Kirche wieder in Betrieb genommen – ein moderner, heller Raum mit hohen Decken und einer einladenden Atmosphäre. Beim Eröffnungsgottesdienst brauchte der Pfarrer spontan noch eine Kommunionhelferin. Er drückte der überrumpelten Katharina Lenzschau die Hostienschale in die Hand – "Ad-Hoc-Beauftragung" heißt das im Kirchensprech. "Ich war total aufgeregt, aber ich habe mich auch geehrt gefühlt", sagt Lenzschau. In der Gottesdienstgemeinde saß auch die überraschte Anja Fecke, Diözesanbeauftragte für Seelsorge für und mit Menschen mit Behinderung im Erzbistum Paderborn. "Ich hatte sofort die Idee: Warum es bei der einmaligen Aktion belassen? Geistig behinderte Menschen könnten doch auch regelmäßig Kommunionhelferinnen sein", erinnert sie sich. Sie sprach den neuen Paderborner Erzbischofs Udo Markus Bentz darauf an – und bekam Unterstützung für ihr Vorhaben.

Jennifer Rhode mag ihre neue Aufgabe als Kommunionhelferin.
Ein Vorbereitungskurs wurde bistumsweit ausgeschrieben. Im November vergangenen Jahres fuhren Rhode und Lenzschau ins knapp 40 Kilometer entfernte Paderborn. An einem Tag lernten sie alles Wichtige rund um die neue Aufgabe. Die beiden erfuhren etwas darüber, wie das Zweite Vatikanische Konzil die Liturgie veränderte, aber es ging auch um ganz praktische Dinge: Wie halte ich die Hostienschale richtig, damit sie nicht wegrutscht? Was mache ich, wenn mal eine Hostie herunterfällt? "Mit beiden Händen muss die Schale festgehalten werden", berichtet Katharina Lenzschau, die in ihrer Lebhaftigkeit ihrer Freundin Jenny im Antworten manchmal etwas zuvorkommt. Wenn eine geweihte Hostie herunterfällt, dann ist das Leinentuch auf dem Altar – in der theologischen Fachsprache "Corporale" – der richtige Ort, um sie abzulegen. "Und natürlich sollte man auch gescheit gekleidet und kultiviert herumlaufen", ergänzt Jennifer Rhode. Am Ende des Kurstages hielten beide stolz die bischöfliche Beauftragung für den Dienst als Kommunionhelferinnen in der Hand. "Das war Neuland im Erzbistum Paderborn – und ich kenne in Deutschland auch kein anderes Bistum, das schon Menschen mit geistiger Behinderung mit der Kommunionausteilung beauftragt hat", resümiert Anja Fecke.
Etwa alle zwei Wochen kommen die beiden nun abwechselnd zum Einsatz. Konzentriert und routiniert stehen sie in ihrer weißen Albe neben dem Alter und reichen den Leib Christi. Zusätzlich lesen sie die Fürbitten und manchmal auch die Lesung. "Ich habe dadurch nochmal eine neue Lebensqualität dazu gewonnen", sagt Jennifer Rhode. Sie strahlt über das ganze Gesicht.
Seit 26 Jahren im Musikverein
Beide haben nur eine leichte geistige Behinderung. Die Unterhaltung läuft etwas langsamer als sonst und manchmal dauert etwas, bis ihnen das Wort einfällt, das sie gerade suchen. Sie nutzen eine einfache Sprache ohne viele Fremdworte. Wenn es um komplizierte Sachverhalte geht, dann ist es für die beiden auch etwas kompliziert, das auszudrücken. Aber sie sind stets präsent und bei der Sache. Offen erzählen sie von ihren Lebensgeschichten, die eng mit dem HPZ verbunden ist. Das Zentrum der Caritas befindet sich am Rand von Warburg auf einem weitläufigen Gelände mit eigenen Werkstätten, einer Schule, Sportmöglichkeiten, Bücherei, Verwaltung und mehreren Wohntrakten. Anders als die meisten anderen Bewohner können sich Rhode und Lenzschau weitgehend selbst versorgen. Sie wohnen in 1-Zimmer-Appartements mit integrierter Küche und Bad und werden von benachbarten Wohngruppen mitbetreut. Katharina Lenzschau hat den Großteil ihres Lebens im HPZ verbracht, schon mit neun Jahren kam sie hierher. Als junge Erwachsene wohnte sie über einige Jahre in einer Außenwohngruppe im Warburger Stadtteil Dössel. In die Ortschaft hat sie immer noch enge Verbindungen. "Seit 26 Jahren spiele ich im Musikverein Querflöte, habe viele Freunde da", erzählt sie. Sie hat eine abgeschlossene Ausbildung als Werkerin im Gartenbau mit der Fachrichtung Zierpflanzenanbau. Elf Jahre hat sie in ihrem Beruf gearbeitet, heute ist sie in Vollzeit in einer Bäckerei beschäftigt. Von morgens 7 Uhr bis nachmittags bereitet sie Brotteig vor, wiegt die einzelnen Brotleibe vor dem Backen ab. Um mit dem Bus oder E-Bike zur Arbeit zu kommen, geht es gegen 5:30 Uhr aus den Federn.

Katharina Lenzschau liest die Lesung.
Ihre Freundin Jennifer Rhode arbeitet in den Werkstätten des HPZ – dort fertigen sie die Pappverpackungen für die Waren des Warburger Unternehmens Heitmann. Es stellt Produkte wie Zitronensäure, Fleckenentferner sowie Textilfarbe her, die in ganz Deutschland in Drogerien zu kaufen sind. Auch nach Feierabend hat sie viel Programm. "Dann gehe ich einkaufen oder schwimmen oder ich mache bei einem der Angebote zur Freizeitgestaltung im HPZ mit". Alle paar Wochen geht es auch nach Paderborn ins Stadion. Rhode und Lenzschau sind große Fußballfans. Sie haben eine Karte, mit der sie pro Saison ein Drittel der Spiele besuchen können – und sind auch mit entsprechender Kleidung ausgestattet: "Ich habe vom SC Paderborn ein T-Shirt und für den Winter auch ein Sweatshirt", sagt Rhode. Wieder strahlt sie über das ganze Gesicht.
Außerdem engagieren sich beide Frauen im Bewohnerbeirat des HPZ. Der hilft der Verwaltung, wenn es beispielsweise um das Vorbereiten von Sankt Martin oder der Nikolausfeier geht. Aber er ist auch ein guter Draht in die Bewohnerschaft. "Sie sind ja viel näher an den Bewohnern dran und bekommen es oft viel schneller mit, wenn es Probleme gibt oder es jemandem nicht gut geht", sagt Hiltrud Hahnke, die Seelsorgebeauftragte am HPZ. Immer wieder sucht die Einrichtung nach Möglichkeiten, in die Warburger Stadtgesellschaft hineinzuwirken: Beim Umzug zur Oktoberwoche, einem Jahrmarkt ähnlich dem Oktoberfest, waren sie genauso dabei, wie beim Fest der Demokratie, das die Warburger 2024 gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft feierten.
Keine theologischen Gegenargumente
Konkrete Pläne, dass Lenzschau und Rhode auch einmal in einer Gemeinde außerhalb des HPZ als Kommunionhelferinnen ihren Dienst machen, gibt es aber noch nicht. Grundsätzlich wäre das zwar "ohne weiteres möglich und wünschenswert", sagt die Behindertenbeauftrage Anja Fecke. "Wir müssten das aber genau mit der Gemeinde abstimmen, um die beiden nicht noch mit weiteren Aufgaben zu überfordern." In der Gemeindepraxis sind die Kommunionhelferinnen oft für die gesamte Organisation einer Wort-Gottesfeier zuständig. "Das wäre zu viel", so Fecke. Hinzu kommen mögliche logistische Schwierigkeiten: wie kommen die Frauen an einem Sonntagmorgen, wenn womöglich keine Busse fahren, in die Gemeinde? Solche Probleme stehen laut der Behindertenbeauftragten auch einem größeren Einsatz von Menschen mit geistiger Behinderung in anderen pastoralen Bereichen im Wege, wie etwa der Begleitung von einsamen oder anonymen Beerdigungen. Für den Kommuniondienst sind zwar weitere Kurse angedacht. "Allerdings ist die Nachfrage nicht so hoch, dass es für einen regelmäßigen jährlichen Kurs reichen würde". Nicht alle Menschen mit Behinderung sind gemäß dem Grad ihrer intellektuellen Beeinträchtigung zu einem solch komplexen Dienst in der Lage. Theologische Argumente gegen den Dienst sieht sie aber nicht: "Die Anfrage ist in der Regel, ob Menschen mit Behinderung das Geheimnis der Wandlung, der Gegenwart Jesu in der Hostie verstehen. Aber ich verstehe das auch nicht – ich glaube daran. Und das können Menschen mit Behinderung auch", erklärt Fecke.

Katharina Lenzschau (links) und Jennifer Rhode in der Cafeteria des Heilpädagogischen Therapie- und Förderzentrums (HPZ) St. Laurentius in Warburg.
Im Gespräch lenkt Jennifer Rhode das Wort auf den Umgang der Gesellschaft mit geistig Behinderten. Insgesamt gebe es heute mehr Toleranz ihnen gegenüber als in ihrer Kindheit und Jugend in den 1980ern und 1990ern. "Das bedeutet mehr Freiheit und Normalität für uns", sagt sie. Vorurteilen bietet sie entschlossen die Stirn. "Dann sage ich: Ihr müsst uns schon so respektieren wie wir sind". Sätze wie "Ihr seht gar nicht aus wie behinderte Menschen" hören die beiden nicht so gerne.
Vereinsamung während Corona-Zeit
Der Glaube ist den Frauen in ihrem Leben wichtig. "Ich habe während der Corona-Zeit ein Stück weit Vereinsamung kennengelernt und dann in den letzten Jahren für mich herausgefunden, dass mir das mit dem Kirchendienst sehr guttut", sagt Jennifer Rhode. "Ich will mit Kirche und Glaube alt werden". Zum Abschied verschenkt Katharina Lenzschau noch einen bemalten Kronkorken, den sie in diesem Jahr von den Sternsingern bekommen hat. "Königskind" steht darin. Wie passend: Denn das - im Sinne einer universellen Würde als Gotteskinder - gilt ja wohl für alle Menschen.