Aber bei Darstellungen von Gewalt sensibel vorgehen

Pädagogin: Große Unvoreingenommenheit von Kindern bei Passionsspielen

Veröffentlicht am 06.04.2025 um 12:00 Uhr – Von Gabriele Höfling – Lesedauer: 6 MINUTEN

Bonn ‐ Kinder haben ein starkes Unrechtsbewusstsein, sagt Heike Helmchen-Menke. Von daher könne der Nachwuchs gut an Passionsspiele anknüpfen. Warum sie Krippenspiele in bestimmten Fällen dennoch für geeigneter hält, erklärt die Religionspädagogin im katholisch.de-Interview.

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Der Leidensweg und die Auferstehung Jesu sind ein schwerer Stoff – schon für manchen Erwachsenen. Wie kann man ihn Kindern erklären und nahebringen? Antworten gibt im Interview Religionspädagogin Heike Helmchen-Menke. Sie zieht auch einen Vergleich zu Krippenspielen.

Frage: Wie verbreitet sind Passionsspiele mit Kindern im Vergleich zu Krippenspielen?

Heike Helmchen-Menke: Krippenspiele gibt es im deutschsprachigen Raum praktisch überall. Bei Passionsspielen sind Kinder meist nur dann involviert, wenn es dazu an ihrem Wohnort ohnehin eine lange Tradition gibt. Oberammergau ist das berühmteste Beispiel, da gibt es ja ein eigenes Passionsspiel nur für Kinder. In einzelnen Gemeinden werden Passionsspiele aber beispielsweise auch in die Erstkommunionvorbereitung eingebaut.

Theologin und Religionspädagogin Heike Helmchen-Menke
Bild: ©Institut für Religionpädagogik der Erzdiözese Freiburg

Theologin und Religionspädagogin Heike Helmchen-Menke ist Referentin für Elementarpädagogik im Institut für Religionpädagogik der Erzdiözese Freiburg.

Frage: Wie kann man die Kinder zum Mitmachen inspirieren – der schwere Stoff um den Tod Jesu liegt ihnen ja wahrscheinlich ziemlich fern …

Helmchen-Menke: Auch da sind die Voraussetzungen an einem klassischen Passionsspiel-Ort am besten, wo ohnehin das ganze Dorf und vielleicht auch die eigene Familie dabei sind. Dort finden sich oft Menschen, die sich viel einfallen lassen, um den Kindern den Stoff auf eine gute Art und Weise "cool" rüberzubringen. Was auch funktioniert, sind Passionsspiele in einem Setting, in dem die Kinder ohnehin schon zusammen sind, wie eben bei der Erstkommunionvorbereitung. Generell glaube ich schon, dass sich Kinder motivieren lassen, weil Passionsspiele wie alle Rollenspiele etwas sind, bei dem sie sich sehr aktiv einbringen können.

Frage: Wie kann man Kindern den schweren Stoff inhaltlich vermitteln?

Helmchen-Menke: Als ich Kind war, gab es noch sehr moralisierende Zugänge, wie zum Beispiel Kinderkreuzwege oder -andachten, bei denen sich alle noch so jungen Kinder an jeder Station Gedanken machen mussten, in welchen Situationen sie selbst neidisch oder bösartig waren. Das ist heute religionspädagogisch überholt. Aber es gibt durchaus Punkte, an denen sich anknüpfen lässt. Kinder haben ein starkes Unrechtsbewusstsein – und so können sie darüber einen Zugang zur Passionsgeschichte finden. Kinder erleben auch Leid, sodass sich auch an ihrem Erleben anknüpfen lässt. Und sie wissen auch, dass das Leben endlich ist.

Frage: Wie ist das mit der Auferstehung?

Helmchen-Menke: Das ist natürlich hochkomplex. Noch nicht einmal die biblischen Evangelien versuchen ja, die Auferstehung selbst zu beschreiben, sondern die Rede ist lediglich von einem leeren Grab. Von daher sollte man auch gegenüber Kindern gar nicht erst so zu tun, als ließe sich genau erklären, was da passiert ist. Es geht im Gegenteil eher darum, ihnen nahe zu bringen, dass bei der Auferstehung niemand dabei war und dass es in den biblischen Erzählungen darum geht, dass Menschen ihre Glaubenserfahrungen aufgeschrieben haben, keine Tatsachenberichte. Es gibt vieles in dieser Welt, das nicht wiegbar, messbar oder zählbar ist. Unter dem Strich sollen die Erzählungen vom Leiden, Sterben und der Auferstehung Jesu vermitteln, dass Gott uns auch im Sterben und im Tod nicht allein lässt und mit dem Tod nicht alles vorbei ist. Wenn Kinder davon eine Idee bekommen, ist schon sehr viel erreicht.

Frage: Birgt der ja schon brutale Stoff der Passionsspiele auch Gefahren für Kinder?

Helmchen-Menke: Problematisch wird es, wenn das Leiden Jesu oder die vermeintliche Boshaftigkeit etwa der römischen Soldaten zu stark betont wird. Solche Grausamkeiten gehören für die meisten Kinder Gott sei Dank nicht zu ihrer unmittelbaren Lebensrealität und da sollte ein Passionsspiel nicht dazu beitragen, sie zu verstören. Ein detailliertes Darstellen von Gewalt kann bei manchen Kindern eine große Angst hervorrufen, andere wiederum zeigen eine Art Faszination für Gewalt. Die gehört zwar leider zum Menschsein, soll aber natürlich bei einem Passionsspiel nicht bedient werden. Stattdessen geht es auch hier darum zu vermitteln, dass jeder, der leidet, sich an Jesus wenden kann. Aber dafür braucht es keine schweren Nägel und Hammer als möglichst detailgenaue Symbole der Kreuzigung. Das lenkt die Aufmerksamkeit von Kindern auf Aspekte der Passion, die für sie in den ersten zehn Lebensjahren nicht zentral sind. 

Frage: Wie können Kinder Passionsspiele durch ihre besondere Sichtweise bereichern?

Helmchen-Menke: Viele Kinder gehen mit einer großen Unvoreingenommenheit an den für uns so bekannten und selbstverständlichen Stoff heran. Wie gesagt: Sie haben sie ein sehr genaues Gespür für Ungerechtigkeit. Nicht wenige geraten angesichts der Passion in eine wahnsinnige Empörung: Wieso waren die Leute am Palmsonntag erst so begeistert und kurze Zeit später wollten sie Jesus ans Kreuz nageln? Wie konnte sich Pilatus vor diesen Karren spannen lassen? Das ist bemerkenswert. So werden auch die Erwachsenen etwas unsanft aus ihrer Routine herausgerüttelt, müssen sich noch einmal neu mit der Geschichte auseinandersetzen und überzeugende Antworten für die Kinder finden.

Einzug in Jerusalem bei den Oberammergauer Passionsspielen 2010
Bild: ©picture alliance/imageBROKER/Foto Beck

Einzug in Jerusalem bei den Oberammergauer Passionsspielen 2010.

Frage: Wie profitieren Kinder von Projekten wie Krippenspielen oder Passionsspielen?

Helmchen-Menke: Wenn es gut läuft, tauchen Kinder tief in die Geschichte ein und beziehen sie auf ihre eigene Lebenswirklichkeit: Wäre ich auch so wie Petrus, der seinen allerbesten Freund einfach verleugnet? Dann wird es plötzlich irrelevant, dass die Geschichte schon 2000 Jahre alt ist und in einer ganz anderen Kultur stattgefunden hat. Dann begreifen Kinder schon auf  einer tieferen Ebene, was diese berühmte Erzählung im Menschen bewirken kann. Voraussetzung ist allerdings, dass es auch den Erwachsenen genau um diesen Prozess geht und nicht darum, eine möglichst gute Aufführung hinzubekommen, bei der jedes Wort und jeder Vers perfekt sitzt. Förderlich dafür ist es auch, wenn Kinder die Rollen wechseln könne: Wie ist das, wenn ich als einer der jubelnden Jünger beim Einzug in Jerusalem dabei bin, oder wie ist das, wenn ich als Jesus auf dem Esel reite?

Frage: Wie bewerten Sie generell Passionsspiele im Vergleich zu Krippenspielen?

Helmchen-Menke: Dort, wo Passionsspiele eine gewachsene Tradition haben oder von Menschen angeboten werden, die sich intensiv in der Kinder- und Familienarbeit engagieren, kann das eine gute Sache sein. Dann hören Kinder: Leiden und Tod gehören zu unserem Leben, aber Gott lässt uns darin nicht allein. Generell ist es aber schon eher der Stoff der Krippenspiele um Jesu Geburt, an den Kinder sehr gut anknüpfen können. Die Zusage, dass Gott in einem hilflosen Baby Mensch wird, ist für sie in der Lebensphase Kindheit besonders bedeutsam. Nicht umsonst berühren die biblischen Erzählungen um die Geburt Jesu weit über das Christentum hinaus Menschen in unserer Gesellschaft. Die Menschwerdung Gottes in einem Kind eröffnet den Horizont für die Grundbotschaft des Christentums – ohne dass es so viele Klippen zu umschiffen gilt wie bei der doch recht grausamen Passionsgeschichte. Insofern halte ich für die Erstbegegnung oder auch wenn Kindern nur einmal im Jahr mit dem Christentum in Berührung kommen, die Weihnachts-Erzählung für besser geeignet.

Von Gabriele Höfling