Referentin: Sehe großen Nachholbedarf bei Prävention in der Katechese

In welchen Räumen der Gemeinde findet die Katechese oder ein Bibelkreis statt? Sollte beim Kommunionunterricht die Tür aus Transparenzgründen offenbleiben? Welche gut gemeinten Gesten kann mein Gegenüber vielleicht schon als übergriffig empfinden? Auch in der Katechese ist eine gute Präventionsarbeit unabdingbar. Die einzelnen Gemeinden sind damit aber oft überfordert. Warum es dafür bisher viel zu wenig maßgeschneiderte Schutzkonzepte gibt, erläutert Tanja Rieger von bundesweiten Konferenz für Katechese, Katechumenat und Missionarische Pastoral im katholisch.de-Interview – und spart nicht mit Selbstkritik.
Frage: Frau Rieger, wie unterscheidet sich Prävention in der Katechese von anderen Feldern, zum Beispiel der Messdienerarbeit?
Rieger: Grundsätzlich gibt es keinen Unterschied in der Herangehensweise: Für alle, die in der kirchlichen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen zu tun haben, gelten die gleichen verbindlichen Präventionsmaßnahmen. Auch die Katecheten müssen ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und an einer Schulung zum Thema sexualisierte Gewalt teilnehmen.
Frage: Welche Themen werden in der Präventionsarbeit konkret angesprochen?
Rieger: In der bereits erwähnten allgemeinen Präventionsschulung geht es unter anderem um Themen wie Nähe und Distanz sowie um die verschiedenen Formen von Missbrauch – beginnend bei einfachen Grenzverletzungen. Denn was als übergriffig empfunden wird, kann sehr unterschiedlich sein. Das bringt Katechetinnen und Katecheten oft in schwierige Situationen: Wie reagiere ich zum Beispiel, wenn ein Kind im Kommunionunterricht ständig stört – ist es schon eine Grenzverletzung, wenn ich es vor die Tür schicke? Oder wie gehe ich mit dem Vier-Augen-Gespräch vor der Erstkommunion um, das bisweilen an die Stelle der klassischen Erstbeichte tritt? Viele dieser Fragen sind neu. Vor 25 Jahren hat man sich über manches noch kaum Gedanken gemacht – etwa darüber, die Tür eines Raums offen zu lassen, um Transparenz zu schaffen. Heute gilt es, scheinbar Selbstverständliches zu hinterfragen und sensibel mit solchen Situationen umzugehen.
Tanja Rieger ist Referentin für Katechese im Bistum Speyer und Sprecherin der bundesweiten Konferenz für Katechese, Katechumenat und missionarische Pastoral.
Frage: Gibt es denn in einzelnen Bistümern auch spezielle Präventionsschulungen für die Katechese?
Rieger: Spezielle Schulungen zur Katechese gibt es meines Wissens bisher nur in wenigen Bistümern. Hier im Bistum Speyer wird es den jeweiligen Pfarreien aufgegeben, das Thema "Prävention in der Katechese" mit in die institutionellen Schutzkonzepte gegen Missbrauch aufzunehmen, die sie erarbeiten sollen.
Frage: Wäre es anstrebenswert, dass es künftig in allen Bistümern eine spezifische Präventionsschulung für den Bereich der Katechese gibt?
Rieger: Auf jeden Fall. Die Katechese kann als Ort der Glaubensvermittlung leider auch ein Ansatzpunkt für spirituellen Missbrauch sein. 2023 hat die Deutsche Bischofskonferenz dazu eine Broschüre veröffentlicht. Das ist schon mal eine hilfreiche Orientierung. Spezielle Schulungen für die Katechese könnten wichtige Fragen aufgreifen: In welchen Räumen der Gemeinde findet die Katechese oder ein Bibelkreis statt? Wie werden Mädchen und Jungen bei Firmwochenenden untergebracht? Aber auch tiefere Themen gehören dazu – etwa das eigene Gottesbild oder die Frage, wo Machtmissbrauch beginnt. Ein klassisches Beispiel dafür ist die obligatorische Erstbeichte oder die verpflichtende Teilnahme an einer bestimmten Anzahl von Gottesdiensten als Voraussetzung für die Erstkommunion. Solche Situationen zu hinterfragen, auf ihre Unangemessenheit hinzuweisen und verbindliche Standards zu entwickeln – das könnte Inhalt spezieller Präventionsschulungen für die Katechese sein. Auf Bundesebene haben wir dazu gerade eine Arbeitsgruppe gegründet, die Qualitätsstandards für eine verantwortungsvolle Katechese erarbeiten will.
Frage: Die Kirche beschäftigt sich seit 15 Jahren mit dem Missbrauchsskandal. Inwiefern ist es ein Versäumnis, erst jetzt spezielle Präventionsschulungen für die Katechese zu entwickeln?
Rieger: Es gibt sicher schon einzelne Gemeinden, die aus sich heraus da sehr weit sind. Aber ein systematisches, vernetztes und gemeinsames Vorgehen auf Bistums- oder auch auf Bundesebene fehlt bisher. Das müssen wir selbstkritisch zugeben.
Frage: Katechetinnen sind Laien und oft Frauen - läuft das Thema Prävention deshalb etwas unter dem Radar, weil man Laien oder Frauen weniger verdächtigt?
Rieger: Das hat weniger mit dem Geschlecht zu tun, sondern eher damit, dass viele Katechetinnen ehrenamtlich arbeiten. Hier entsteht ein Dilemma: Wenn man ehrenamtliches Engagement einfordert, aber gleichzeitig ein erweitertes Führungszeugnis und einen Präventionskurs verlangt, wirkt das mitunter abschreckend. Da braucht es viel Überzeugungsarbeit, um zu erklären, dass solche Schulungen sinnvoll und wichtig sind. Das haben Verantwortliche lange vermieden – aus Sorge, jemanden zu verprellen oder unter Generalverdacht zu stellen. Ich kenne das aus meiner eigenen Arbeit als Gemeindereferentin: Wenn jemand seit 15 Jahren die Sternsinger begleitet und plötzlich mit Präventionsregeln konfrontiert wird, ist das erstmal nicht sehr angenehm. Es geht aber ja nicht um Misstrauen gegenüber Einzelnen, sondern darum, dass die Kirche Verantwortung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene übernimmt. Wer sich auf Schulungen einlässt, erlebt dann oft Aha-Momente und gibt positives Feedback: So habe ich das ja noch gar nicht gesehen ...
„Wenn man ehrenamtliches Engagement einfordert, aber gleichzeitig ein erweitertes Führungszeugnis und einen Präventionskurs verlangt, wirkt das mitunter abschreckend.“
Frage: Die Religionspädagogin Judith Könemann äußert Zweifel, dass die Schutzkonzepte, die die Pfarreien gegen Missbrauch entwickeln sollen, schon flächendeckend umgesetzt werden…
Rieger: Das würde ich unterstreichen. Für viele Gemeinden ist das schon eine große Herausforderung. Sie haben noch sehr viele andere Aufgaben zu erledigen – von den klassischen Pfarreiaufgaben in der Pastoral bis hin zu den Veränderungen, die durch die Strukturprozesse auf sie zukommen. Da ist es kein Wunder, dass dann etwas hinten herunter fällt. Und das gar nicht aus schlechter Absicht, sondern schlicht aus Überforderung.
Frage: Gibt es konkrete Zahlen oder Erkenntnisse, in welchem Umfang die Katechese von Missbrauch betroffen ist?
Rieger: Da ist mir bisher wenig bekannt. Hier im Südwesten haben beispielsweise weder die kürzlich veröffentlichten Missbrauchsstudien des Bistums Mainz noch meines Bistums Speyer konkrete Zahlen veröffentlicht. Die genannte Schlussfolgerung, dass die Katechese vor allem als Anbahnungsort für Missbrauch genutzt werden kann, ist aber leider schon plausibel.
Frage: Wie schauen Sie beim Thema Präventionsarbeit in der Katechese in die Zukunft?
Rieger: Wie gesagt: Wir brauchen noch mehr maßgeschneiderte Präventions-Angebote für die Katechese, das müssen wir selbstkritisch zugeben. Da gibt es noch viel Arbeit. Jetzt liegt es an uns als Referentinnen für Katechese, an dem Thema dranzubleiben und das Wissen dann auch in die Fläche im eigenen Bistum zu bringen.