Der Förderverein der Kirche kaufte St. Johann Baptist in Krefeld

Kirche für einen Euro: Wie eine Gemeinde um ihr Gotteshaus kämpfte

Veröffentlicht am 14.11.2025 um 00:01 Uhr – Von Jasmin Lobert – Lesedauer: 

Krefeld ‐ St. Johann Baptist, die größte Kirche in Krefeld, sollte aufgegeben werden. Doch die Gemeinde wehrte sich. Nach einem jahrelangen Streit kam es im Sommer zur Einigung: Für einen Euro kaufte der Förderverein das 120 Jahre alte Bauwerk – und betreibt es nun selbst. Katholisch.de war zu Besuch.

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Schon von Weitem ragt der 97 Meter hohe Turm der St.-Johann-Baptist-Kirche über die Dächer Krefelds. Die größte Kirche der Stadt, zugleich die zweitgrößte im Bistum Aachen, steht im sozial schwachen Südbezirk, nur wenige Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt. Auf der einen Seite der Kirche liegt das Helios-Klinikum, das größte Krankenhaus Nordrhein-Westfalens, auf der anderen ein Pflegeheim. Ansonsten säumen Parkplätze und Wohnhäuser das Gotteshaus.

Doch etwas stimmt nicht: Die Kirche ist von einem Bauzaun umgeben, und direkt vor dem Hauptportal des "Kölner Doms von Krefeld", wie manche die dreischiffige Basilika nennen, steht ein großes weißes Zelt. Ein Bild von Mutter Teresa ziert den Eingang – ein Hinweis auf die besondere Frömmigkeit der Gemeinde, die der indischen Heiligen und den Fatima-Marienerscheinungen besonders verbunden ist.

"Zwei Jahre lang war das unser Zuhause", sagt Jan Lange, Vorstandsmitglied der Gemeinde, und schaut in das leergeräumte Zelt. Nur zwei kleine Bäumchen, ein leerer Tisch und ein aufgehängtes Kruzifix erinnern an diese Zeit. "Das erste Weihnachtsfest hier war das wahrhaftigste, das wir je gefeiert haben", erzählt Joachim Schwarzmüller, Pfarrvikar in der Pfarrei Maria Frieden in Krefeld und Verantwortlicher für die Seelsorge in St. Johann Baptist. Die Kälte, die behelfsmäßige Unterkunft, das Gefühl, "auf der Flucht zu sein" – kein Weihnachten sei je näher an die Erfahrung von Maria und Josef im Stall gekommen, sagt der 70-jährige Priester.

Die Kirche ist von einem Bauzaun umgeben, vor dem Haupteingang steht noch das Zelt, in dem zwei Jahre lang Gottesdienst gefeiert wurde.
Bild: ©katholisch.de/jlo

Die Kirche ist von einem Bauzaun umgeben, vor dem Haupteingang steht noch das Zelt, in dem zwei Jahre lang Gottesdienst gefeiert wurde.

Doch wie kam es überhaupt zu dieser Situation? Das Zelt war eine Notlösung, nachdem am 30. Juni 2023 die Schlösser der Kirche ausgetauscht worden sind und die Gemeinde ihre Heimat verloren hatte. "Man bot uns Ausweichorte an", sagt Lange, "doch für unsere Arbeit waren sie schlicht zu klein." Denn St. Johann Baptist ist nicht nur ein Ort der Liturgie, sondern auch der gelebten Nächstenliebe: Eucharistische Anbetung – 24 Stunden am Tag, Seelsorge, Fürsorge für Bedürftige – all das gehört hier untrennbar zusammen.

Die tägliche Frühstückausgabe sowie das sonntägliche Mittagessen mit einem "Gottesdienst für die Armen" im Anschluss werden gut besucht. Rund 200 Menschen –Schwarzmüller nennt sie liebevoll "unsere Chaoten" – kommen regelmäßig. Die Kirche liegt in unmittelbarer Nähe zu mehreren Schlafunterkünften und bietet mit ihrem großen Kirchplatz ideale Bedingungen für die diakonischen Angebote. Über Jahre ist hier ein Netzwerk aus Essensausgabe, Kleiderkammer, Seelsorge und Hilfen bei Ämtergängen oder Wohnungssuche gewachsen – alles ehrenamtlich getragen. "Wir haben sogar Menschen wieder in Arbeit gebracht", sagt Lange stolz.

Der Krefelder Katholikenrat und der Rheinische Verein für Denkmalpflege forderten den Erhalt der Kirche

Ein Umzug hätte nicht nur dieses Engagement gefährdet, sondern auch die gastgebenden Gemeinden überfordert. "Eine Essensausgabe für Obdachlose und Suchtkranke direkt gegenüber von einem Kindergarten – das wäre keine Lösung gewesen", betont der 25-Jährige. Also kaufte der Förderverein ein Zelt, stellte es mit Genehmigung der Stadt direkt vor der Kirche auf – und die Gemeinde feierte weiter ihre Gottesdienste.

Auch die indische St.-Mary’s-Gemeinde der Syro-Malankarischen Kirche, die ebenfalls in St. Johann Baptist beheimatet ist, war von der Kirchenschließung betroffen. Ihr Bischof, Joshua Mar Ignathios aus Kerala, reiste sogar aus Indien an, feierte die erste Messe in dem neuen Zelt und segnete es. Und auch von außen kam Unterstützung: Der Krefelder Katholikenrat und der Rheinische Verein für Denkmalpflege forderten gemeinsam den Erhalt der Kirche, die "architektonisch und kunsthistorisch von unschätzbarem Wert" sei, wie Lange betont.

Was auf dem Foto wie verlassen aussieht, war für zwei Jahre die Heimat für die Gemeinde St. Johann Baptist in Krefeld.
Bild: ©katholisch.de/jlo

Was auf dem Foto wie verlassen aussieht, war für zwei Jahre die Heimat für die Gemeinde St. Johann Baptist in Krefeld.

Die 1894 in nur zwei Jahren errichtete Kirche bietet Platz für 3.000 Menschen. Der Architekt Josef Kleesattel, einer der bedeutendsten Kirchenbauer des Rheinlandes, soll den neugotischen Bau selbst als sein Meisterwerk bezeichnet haben. Hochaltar, Marienaltar, eine Madonna und eine Pietà stammen aus dem 15. Jahrhundert.

Mit welcher Begründung wurde die Kirche also geschlossen? "Im Falle von St. Johann Baptist Krefeld lagen so schwerwiegende Mängel vor, dass eine Gefährdung von Kirchenbesuchern nicht ausgeschlossen werden konnte", erklärte ein Sprecher des Bistums Aachen. Daher habe der Kirchenvorstand der Pfarrei Maria Frieden – zu der die Gemeinde St. Johann Baptist seit 2010 gehört – verantwortungsbewusst gehandelt, als er die Kirche 2023 schließen ließ. Ein Gutachten des Bistums führte damals die Sicherheitsmängel auf.

Eine Schließung der Kirche sei in den Augen der Gemeinde niemals notwendig gewesen

Die Gemeinde sah das anders: Ein eigenes Gutachten, das von einer erfahrenen Architektin in Denkmalschutzfragen angefertigt wurde, kam zu dem Schluss, dass mit rund 200.000 Euro Sanierungskosten die meisten Mängel behoben werden könnten – eine Summe, die der Förderverein der Kirche hätte tragen können. Eine Schließung der Kirche sei in ihren Augen niemals notwendig gewesen. Doch der Kirchenvorstand der Pfarrei gab die notwendigen Wartungsarbeiten nicht in Auftrag.

Der eigentliche Konflikt reicht viel tiefer: Bereits 2014 hatte das Bistum beschlossen, ein Drittel seiner Immobilienkosten einzusparen. Welcher Gebäude dieser Regelung zum Opfer fielen, wurde aber nicht vom Bistum vorgegeben, sondern demokratisch unter allen Kirchengemeinden entschieden. Die Wahl fiel auf die Kirche St. Johann Baptist in Krefeld. "Damit war das Sparziel von einem Drittel sogar mehr als erfüllt“, sagt Lange. "Dass damals alle Gemeinden ihre Kirche erhalten wollten, ist prinzipiell nachvollziehbar", sagt er. Schließlich ging es ihm genauso. Doch die Folgen seien für sie "wirklich schwerwiegend" gewesen.

Jan Lange (l.) ist Gemeindevorstand und Joachim Schwarzmüller (r.) zuständiger Seelsorger in St. Johann Baptist.
Bild: ©katholisch.de/jlo

Jan Lange (l.) ist Gemeindevorstand und Joachim Schwarzmüller (r.) zuständiger Seelsorger in St. Johann Baptist.

2016 beantragte der Kirchenvorstand die Profanierung von St. Johann Baptist. Bischof Helmut Dieser, der im selben Jahr sein Hirtenamt in der Diözese antrat, wollte aber keine vorschnelle Entscheidung treffen, sondern machte sich zunächst selbst ein Bild – und sprach sich nach einem Besuch der Kirche für den Erhalt aus. "Wer von Anfang an sehr wertschätzend und wohlwollend auf uns geschaut hat, war wirklich unser Bischof", sagt Schwarzmüller. Doch eine Lösung des Konflikts ließ weiter auf sich warten. "Es war eine zermürbende Zeit."

Als David Grüntjens im Oktober 2024 Pfarradministrator der Pfarrei Maria Frieden wurde, fand er eine "festgefahrene Situation" mit Blick auf St. Johannis Baptist vor. "Es trafen unterschiedliche Interessen und Zukunftsvisionen, wie mit kostenintensiven Kirchengebäuden umgegangen werden muss, aufeinander", so der Pfarrer. Das "Hin und Her" mit den Gutachten habe nicht zur Konfliktlösung beigetragen. Letztlich haben personelle Veränderungen und ein externer Sonderbeauftragter, der vom Bischof eingesetzt worden ist, wieder Bewegung in die Sache gebracht, erzählt Grüntjens.

"Wir möchten weiterhin unter dem Schutzmantel des Bischofs stehen"

Am 1. Juli 2025 – fast genau zwei Jahre nach der Schließung – wurde eine Einigung erzielt: Die Pfarrei Maria Frieden verkaufte das 120 Jahre alte Bauwerk für den symbolischen Betrag von einem Euro an den Förderverein St. Johann Baptist. "Mit Blick auf die anderen Gebäude, die wir in unserer Pfarrei unterhalten müssen, war klar, dass wir die Sanierung und die langfristigen baulichen Maßnahmen in St. Johann Baptist finanziell nicht stemmen können", sagt Grüntjens.

Der Förderverein ist seit dem Verkauf für die Instandhaltung und Verwaltung der Kirche verantwortlich, die pastorale Verantwortung bleibt beim Bistum. "Wir möchten weiterhin unter dem Schutzmantel des Bischofs stehen und Teil der regulären katholischen Kirche in Krefeld sein", sagt Lange. "Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass wir hier unser eigenes Süppchen kochen oder gar eine Sekte aufmachen."

In der Kirche befinden sich Kunstwerke aus dem 15. Jahrhundert - hier die Pietà.
Bild: ©katholisch.de/jlo

In der Kirche befinden sich Kunstwerke aus dem 15. Jahrhundert - hier die Pietà.

Mit der Freude über den Erhalt kamen neue Sorgen: Zwei Jahre geschlossene Türen hatten ihre Spuren hinterlassen. Die Luftfeuchtigkeit lag bei 90 Prozent, die Orgel war von Schimmel befallen. "Allein ihre Restaurierung hätte rund 300.000 Euro gekostet", berichtet Lange. "Zum Glück" gehört ein gelernter Orgelbauer zur Gemeinde – er opfert seinen Urlaub und seine Freizeit, um die 4.000 Pfeifen und den Rest der Orgel eigenhändig auszubauen und zu reinigen.

Kurz vor dem Verkauf der Kirche hat auch die Pfarrei Maria Frieden ein Stück zum Erhalt der Kirche beigetragen. Sie gab zum Beispiel die Reparatur des Hauptdachs und die Entfeuchtung der Kirche in Auftrag, genauso wie einen Maßnahmenkatalog, der die nächsten Sanierungsschritte vorschlägt. Diesen Katalog übergab Pfarrer Grüntjens dem Förderverein beim Verkauf.

Auch die Gemeindemitglieder packten mit an: Sie pflegen Grünanlagen, bessern Pflaster aus, reinigen das Gotteshaus. Doch solche Dinge wie der bröckelnde Putz an der Decke mussten von Fachkräften übernommen werden. In 80 Arbeitsstunden nahmen Mitarbeiter eines bekannten Bauunternehmens den losen Putz von der 20 Meter hohen Decke ab und verspachtelten die Flächen neu – unentgeltlich. Den Kontakt zum Chef der Firma vermittelte die befreundete "Union der türkischen und islamischen Vereine in Krefeld".

Wie der Kölner Dom oder die Sagrada Família in Barcelona werde St. Johann Baptist vermutlich zu einer Dauerbaustelle werden, sagt der Gemeindevorstand Jan Lange.
Bild: ©katholisch.de/jlo

Wie der Kölner Dom oder die Sagrada Família in Barcelona werde St. Johann Baptist vermutlich zu einer Dauerbaustelle werden, sagt der Gemeindevorstand Jan Lange.

Hebebühne, Spezialputz, Schutzmaterialien – vieles spendeten lokale Betriebe. Insgesamt kamen Leistungen im Wert von rund 50.000 Euro zusammen. "Was die gesamte Stadtgesellschaft zu unserer Kirche beisteuert, ist wirklich beispiellos. Wir sind unendlich dankbar, dass wie so viele Unterstützer haben", sagt Lange.

In den nächsten fünf Jahren rechnet der Gemeindevorstand mit rund einer Million Euro Sanierungskosten. Die zweijährige Schließung der Kirche verursacht dem Förderverein also weit mehr Kosten als die ursprünglich vorgesehen 200.000 Euro. "Natürlich ist das ärgerlich", sagt er, "aber wir sind einfach dankbar, dass wir die Kirche behalten dürfen."

Nach den konfliktreichen Jahren sei es Lange nun wichtig, nach vorne zu schauen. Jetzt gehe es darum, das Geld für die Sanierung aufzutreiben. Der 25-Jährige ist zuversichtlich: "Es gab schon oft den Punkt, dass wir nicht mehr wussten, ob und wie es weitergeht." Doch irgendwo habe sich immer eine neue Möglichkeit aufgetan. Für Schwarzmüller ist klar: "Wir vertrauen auf Gott – er hat uns hierhergeführt. Wie sich die Dinge in den Jahren entwickelt haben, gibt Mut für die Zukunft. Wir gehen Schritt für Schritt weiter."

Ausblick vom Turm der Kirche St. Johann Baptist
Bild: ©katholisch.de/jlo

Ausblick vom Turm der Kirche St. Johann Baptist

Zwar finden in St. Johann Baptist schon seit Ende Juli wieder Gottesdienste in der Kirche statt, doch die Bauarbeiten sind noch lange nicht abgeschlossen. Wie der Kölner Dom oder die Sagrada Família in Barcelona werde St. Johann Baptist vermutlich zu einer Dauerbaustelle werden, sagt Lange lachend. Als nächstes stehen Ausbesserungen an Fenstern und Dach sowie die Erneuerung der Regenrinnen an. "Da wir keine Kirchensteuermittel bekommen, sind wir für jede Geld- und Sachspenden dankbar", sagt er.

Trotz aller Strapazen überwiegt bei Schwarzmüller jedoch die Freude über den Erhalt der Kirche. "Wir konnten das am Anfang gar nicht realisieren." Er selbst habe sich so sehr an das kleine Zelt gewöhnt, dass er sich den riesigen Kirchbau neu "erobern" musste. Die sichtbaren Baustellen tun der besonderen Atmosphäre der Kirche keinen Abbruch, sagt Lange. Ganz im Gegenteil: Jeder fertiggestellte Bauabschnitt bringt neue Freude.

Auch Pfarrer Grüntjens freut sich, dass die "architektonisch bedeutsame Kirche" erhalten bleibt und weiterhin für die Liturgie genutzt wird. Er dankt dem Förderverein für "ihren Einsatz und ihre Kampfbereitschaft". Der zuständige Seelsorger Pastor Schwarzmüller resümiert: "Gerade in Zeiten, wo so viele Kirchen schließen müssen, setzen wir mit St. Johann Baptist ein Zeichen der Hoffnung."

Von Jasmin Lobert