Sankt Martin ist der "Gutmensch", den die satte Kirche braucht

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
In diesen Tagen ziehen wieder Kinder mit Laternen durch die Straßen und singen die herrlich unmoderne Geschichte von einem Mann, der seinen Mantel geteilt hat. Martin ist in gewisser Weise die Antithese zu unserer Zeit. Er teilt, statt zu twittern. Er handelt, statt Haltung zu posten. Während in Talkshows über die Zumutungen des Teilens debattiert wird, macht Martin einfach den Reißverschluss auf. Kein Statement, keine Pressekonferenz. Nur eine kalte Nacht, ein frierender Mensch und ein Herz voll Empathie.
Politisch wäre Martin heute wahrscheinlich ein Ärgernis. Die einen würden ihn "Gutmensch" nennen, die anderen einen "Sozialromantiker". Wieder andere würden mahnend auf das Gleichgewicht von "Fordern" und "Fördern" hinweisen. Aber das Wunderbare ist ja: Martin braucht keine Likes und keinen Applaus. Er ist kein Moralist, sondern ein Mensch, der einfach macht, was sein Herz ihm sagt.
Die Kirche könnte mit ihm wieder punkten, wenn sie das kapierte. Nicht durch Hochglanzkampagnen, sondern durch ehrliche Nähe: warme Suppe, offene Türen, Zeit zum Reden. Und vor allem auch mal mit dem Mut, den Mantel zu riskieren. Denn Teilen bedeutet ja, etwas wegzugeben, was einem wirklich wehtut.
Der heilige Martin erinnert uns an etwas, das in einer Welt aus Statements, Spaltungen und Selbstoptimierung fast obszön wirkt: Barmherzigkeit, dazu noch ohne jede PR-Strategie. Martin von Tours war kein Heiligenstern-Dekor aus dem Ein-Euro-Laden, sondern ein bis in unsere Tage provokantes Zeichen: "Ich sehe dich, und ich teile mit dir." In einer Gesellschaft, in der Krawall, Resignation und Rückzug sichtbar sind, bekommt seine Geste eine neue Dringlichkeit.
Für die satte Kirche bedeutet das: Nicht in Nostalgie verharren, Teilhabe nicht behaupten, sondern machen. Das Licht quer durch all die Dunkelräume tragen. Und vor allem: den Mantel nicht nur symbolisch, sondern wirklich weitergeben. Denn wird der Mantel nur erzählt, wird er zur Folklore; wenn er getragen wird, wird er zum Hoffnungsträger.
Der Autor
Peter Otten ist Pastoralreferent in der Pfarrgemeinde St. Agnes in Köln. Seit einigen Jahren bloggt er unter www.theosalon.de.Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.