Glaube, Tod und Hoffnung – Eine Lektion auf dem Friedhof

Im Sommer hatte ich an dieser Stelle darüber geschrieben, wie unsere neunjährige Tochter überlegte, Messdienerin zu werden. Sie war sich damals unsicher, ob sie wirklich Lust dazu hat, regelmäßig zu ministrieren. Ihr Plan war deshalb, erstmal den Kurs für den Ministrantendienst in unserer Gemeinde mitzumachen und dann weiter zu sehen.
Inzwischen aber kann ich "Vollzug" melden: Sie hat nicht nur den Kurs mitgemacht, sie ist seitdem auch eine begeisterte Ministrantin geworden. Und zwar so begeistert, dass sie jenseits des normalen Sonntagsgottesdienstes zuletzt sogar bei der Gräbersegnung an Allerseelen ministriert hat. Gut, vielleicht lockte sie zu diesem besonderen Dienst auch der für hinterher vom Pfarrer versprochene gemeinsame Besuch aller Ministranten bei einer bekannten amerikanischen Fast-Food-Kette. Aber egal.
Allerseelen auf einem Berliner Friedhof
Jedenfalls stand unsere Tochter an Allerseelen auf einem Berliner Friedhof – zwischen Gräbern, Kerzen und Menschen, die um ihre Angehörigen und Freunde trauerten. Sie kannte vorher zwar das Fest, nicht aber das Ritual der Gräbersegnung, das so still und zugleich so eindringlich ist. Nach einer Andacht in der Friedhofskapelle zog sie mit dem Pfarrer und den anderen Messdienern über den Friedhof. Grab um Grab, Weihwasser, Kreuzzeichen, Gebete. Und überall Menschen, die wachten, warteten, erinnerten.
An Allerseelen wird eine Kerze auf dem Friedhof angezündet.
Später berichtete unsere Tochter zu Hause mit einem Staunen, das nur Kinder so ehrlich haben: "Da standen so viele Menschen an den Gräbern. Die haben richtig mitgebetet." Und dann der Nachsatz, der in Berlin fast selbstverständlich klingt: "Ich dachte, hier glauben gar nicht so viele an Gott." Sie war überrascht, dass in dieser Stadt, die gern mal als "gottlos" bezeichnet wird, so viele Menschen mit so viel Ernst und Liebe an den Gräbern ihrer Angehörigen standen, Kerzen anzündeten, Blumen ordneten, die Gräber segnen ließen.
Für unsere Tochter war die Gräbersegnung mehr als ein normaler Ministrantendienst. Es war eine Begegnung mit einem Thema, das in ihrem Leben bisher kaum vorkam: dem Tod. Sie fragte, warum Menschen sterben müssen. Ob die Toten uns hören können. Ob sie wirklich bei Gott sind. Es sind Fragen, die Eltern erschrecken können, weil sie uns an unsere eigenen Grenzen erinnern. Doch sie gehören zum Glauben genauso wie Festtagslieder und Erstkommunionskerzen.
"Wenn die Toten bei Gott sind, dann ist es da bestimmt schön"
Ich sagte ihr, dass wir als Christen an ein Leben nach dem Tod glauben. Dass Hoffnung kein billiger Trost ist, sondern ein Versprechen. Und dass wir die Verstorbenen segnen, weil Liebe stärker ist als das, was wir sehen. Während sie darüber nachdachte, leuchteten ihre Augen kurz auf. "Wenn die Toten bei Gott sind, dann ist es da bestimmt schön." Kein romantischer Satz, sondern ein kindlicher Versuch, das Unfassbare zu ordnen. Und vielleicht eine tiefere Wahrheit, als wir Erwachsenen gern zugeben.
Allerseelen ist ein stiller Tag. Für uns wurde er in diesem Jahr ein guter Lehrer. Manchmal brauchen Kinder – und wir Erwachsenen mit ihnen – keine langen Erklärungen. Manchmal genügt ein Friedhof in Berlin, ein Gebet, ein Kreuzzeichen. Und das Vertrauen, dass wir am Ende nicht in Dunkelheit fallen, sondern in Gottes Hände.