Am Sonntag wählen die Malier einen neuen Präsidenten

Politik in Reichweite des radikalen Islam

Veröffentlicht am 28.07.2018 um 11:30 Uhr – Lesedauer: 
Mali

Bamako ‐ Islamistischer Terrorismus ist Malis größtes Problem. Aber lange nicht das einzige. Am Sonntag wählen die Malier einen neuen Präsidenten. Die Aussicht für Wähler wie Kandidaten ist nicht gut.

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Trotz einer UN-Friedensmission unter Beteiligung der Bundeswehr haben radikale Islamisten in Mali weite Landesteile unter ihrer Kontrolle. Die Blauhelme beschützen nach Ansicht von Experten vor allem sich selbst, mit der Terrororganisation Al-Kaida verbundene Gruppen bauen in der Sahelzone indes ihren Machtbereich aus. Die rund 1.000 Soldaten der Bundeswehr müssen sich wegen der unruhigen Sicherheitslage auf einen langen Einsatz einrichten. Daran wird auch die Präsidentenwahl vom Sonntag wenig ändern. 

Malis Präsident Ibrahim Boubacar Keïta (71), der sich in dem westafrikanischen Land um eine zweite Amtszeit bewirbt, hat nur eine dürftige Bilanz vorzuweisen: Mali ist eines der ärmsten Länder der Welt, die Infrastruktur ist vielerorts desolat und fast die Hälfte der Kinder im Grundschulalter - rund 1,2 Millionen - gehen nicht zur Schule. In Keïtas Amtszeit seit 2013 haben radikale Islamisten ihr Einflussgebiet vom wüstenhaften Norden ins bevölkerungsreiche Zentrum des Landes ausgeweitet. Die Zahl der Anschläge ist stark gestiegen. In Mali - und in manchen Geberländern - herrscht daher Ernüchterung.

Trotz internationaler Militäreinsätze "und Hunderten Millionen Euro für Malis Regierung und die Sicherheitskräfte verschlechtert sich die Sicherheitslage weiter", erklärt Mali-Experte Andrew Lebovich vom European Council on Foreign Relations. Zudem seien Sicherheitskräfte für Übergriffe auf die Zivilbevölkerung verantwortlich, was den Dschihadisten die Anwerbung neuer Rekruten erleichtere, sagt Lebovich.

Oppositionsführer Cissé gilt nicht als Hoffnungsträger

Keïtas Herausforderer Soumaïla Cissé verspricht den Wählern Wandel und Erneuerung. Der 68-Jährige hatte sich bereits zwei Mal vergebens um das höchste Staatsamt bemüht. Der Chef der größten Oppositionspartei wird kaum als Hoffnungsträger gesehen; auch er hat kein Patentrezept zur Befriedung des Landes. Doch viele Wähler sind von Keïta so enttäuscht, dass sie sich nach einem Wechsel sehnen.

Die meisten Beobachter gehen trotzdem von einem Wahlsieg Keïtas aus, auch wenn Cissé gute Chancen zugerechnet werden, den Präsidenten in eine Stichwahl zu zwingen. Diese würde zwei Wochen später stattfinden. Den übrigen 22 Präsidentschaftskandidaten werden kaum Chancen eingeräumt. Wahlberechtigt sind rund 8 der 18 Millionen Malier. Erste Ergebnisse sollen Ende der Woche bekanntgegeben werden.

Die Silhouetten dreier schwer bewaffneter Terroristen bei Sonnenaufgang.
Bild: ©Fotolia.com/Prazis (Symbolbild)

Islamistische Terroristen kontrollieren vor allem im Zentrum und im Norden des Landes noch immer weite Teile Malis.

Stabilität in Mali zu erreichen, ist auch für Deutschland wichtig: Zum einen ist der Staat ein Transitland für Migranten, zum anderen wäre der Norden bei einem Staatszerfall das perfekte Rückzugsgebiet für radikale Islamisten aller Art - und das nur eine Landesgrenze vom Mittelmeer entfernt. Das ist nicht weit hergeholt: 2012 übernahmen mit Al-Kaida verbundene Islamisten in Folge eines Tuareg-Aufstands die Macht im Norden des Landes. Erst durch eine französische Militärintervention 2013 wurden die Islamisten zurückgedrängt.

Doch im Zentrum und im Norden des Landes - ein Gebiet etwa von der doppelten Fläche Deutschlands - kontrollieren die Islamisten wieder weite Landstriche. Dort wird nur eine Minderheit der Menschen abstimmen, was eine glaubwürdige Wahl unwahrscheinlich macht, wie die Experten der Denkfabrik International Crisis Group (ICG) erklären.

Mali wirkt oft wie ein zweigeteiltes Land: Die große Mehrheit der Bevölkerung und die Politiker leben in der Hauptstadt Bamako und in den fruchtbareren südlichen Regionen, die Probleme der Sahelzone sind für sie weit weg. Nur selten trauen sich Politiker in die Sahara-Städte des Nordens, etwa nach Timbuktu oder Kidal. Im quirligen Bamako indes erinnern meist nur UN-Fahrzeuge und enorme Sicherheitsvorkehrungen vor Regierungsgebäuden und Hotels an den Konflikt im Norden.

Ein Bundeswehrsoldat als Teil der Friedensmission der Vereinten Nationen in Mali.
Bild: ©picture alliance / dpa / Michael Kappeler

Etwa 12.000 Soldaten sind im Rahmen der Friedensmission der Vereinten Nationen in Mali stationiert. Unter ihnen auch gut 1.000 Angehörige der Bundeswehr.

Es fehlt nicht an Bemühungen, den Terroristen militärisch beizukommen: Frankreich hat mit der Anti-Terror-Mission Barkhane rund 4.500 Soldaten in der Sahelzone im Einsatz. Die UN-Friedensmission (Minusma) - die aktuell gefährlichste weltweit - bemüht sich mit knapp 12.000 Soldaten und 1.700 Polizisten, das Land zu stabilisieren. Hinzu kommt die bis zu 5000 Mann starke und noch im Aufbau befindliche multinationale G5-Truppe der Staaten der Sahelzone.

Die deutschen Soldaten sind vor allem im nordöstlichen Gao stationiert. Für die Bundeswehr ist die UN-Mission in Mali mit knapp 1.000 Soldaten hinter Afghanistan der zweitgrößte Auslandseinsatz. Er kostet pro Jahr derzeit etwa 270 Millionen Euro.

Infrastruktur gegen Islamismus

Für Entwicklungshilfe hingegen bekommt Mali von Deutschland seit 2013 im Schnitt jährlich nur rund 70 Millionen Euro. Doch nachhaltig können die Islamisten Experten zufolge nur besiegt werden, wenn der Staat es schafft, den Bürgern eine Grundversorgung zu bieten - Schulen, Klinken, Polizisten und eine funktionierende Justiz. "Die Islamisten nutzen sehr geschickt die verbreitete und tief sitzende Unzufriedenheit mit dem Staat aus, besonders im Bereich Korruption, fehlende staatliche Versorgung und Mangel an Sicherheit", erklärt Corinne Dufka, Westafrika-Expertin bei Human Rights Watch.

Doch Malis Regierung ist überfordert. Unicef zufolge stirbt zum Beispiel jedes zehnte Kind noch vor dem fünften Geburtstag (Deutschland: etwa jedes 260. Kind). Und die Probleme werden größer: Mali hat mit 6,1 Geburten pro Frau eine der weltweit höchsten Geburtenraten. Die Einwohnerzahl soll sich UN-Prognosen zufolge bis 2050 auf mehr als 40 Millionen Menschen verdoppeln. Millionen junger Menschen werden bald Jobs brauchen. Falls das nicht gelingen sollte, könnten sie einfache Beute für die Versprechen der Islamisten werden.

Von Jürgen Bätz (dpa)