BDKJ: Jugendliche nicht an der Sonntagspflicht messen
Um wieder mehr Jugendliche für den Glauben zu begeistern, müssten sich die Pfarrgemeinden gegenüber den Jugendlichen stark öffnen, ist Bingener überzeugt. Um die davon zu überzeugen, auch nach der Firmung der Kirche nicht den Rücken zu kehren, seien Regeln oder Zwänge wie etwa in einem von manchen Gemeinden aufgelegten Punkte-System der falsche Weg. Vielmehr müsse es neue, unkonventionelle Wege der Glaubensverkündigung geben.
Frage: Pfarrer Bingener, warum leben junge Leute Spiritualität kaum noch in der Kirchengemeinde vor Ort?
Dirk Bingener: Das würde ich so nicht sagen. Zunächst einmal ist wichtig festzustellen, dass Jugendliche sich in besonderer Weise fragen, wofür bin ich da, was wird aus mir, was ist der Sinn hinter allem. Sie sind also offen für Spiritulität und suchen nach Antworten auf ihre existenziellen Fragen. Dazu brauchen sie gute Seelsorgerinnen und Seelsorger, die Zeit für sie haben und die uns leider in zunehmendem Maße fehlen. Hier müssen wir unbedingt gegensteuern. Dazu haben wir als BDKJ im Beschluss "Kirche bewirbt sich" einen Vorschlag gemacht. Wenn es darum geht, wo Jugendliche ihre Spiritualität in Gemeinschaft pflegen, wo sie ihren Glauben feiern, ist festzustellen, dass sie wählerischer geworden sind. Da müssen die Ästhetik und die Sprache einfach stimmen und es muss wirkliche Gemeinschaft, wirkliches Miteinander spürbar sein. Das finden junge Menschen zunehmend nicht mehr am Sonntagmorgen um 9.00 Uhr in ihrer Pfarrgemeinde, vielleicht aber in ihrer Jugendverbandsgruppe. Dann feiern sie dort den Gottesdienst, der zu ihrer Spiritualität passt.
Frage: Aber Kirche ist doch kein Gemischtwarenladen, wo jeder bestimmt, wie was auszusehen hat…
Bingener: Das stimmt, aber beispielsweise der Ritus der Heiligen Messe lässt doch eine Menge zu und gibt Raum für Gestaltung. Dann gibt es viele andere Formen der Liturgie wie Impulse, Meditationen, Morgen- und Abendgebete, die von jungen Leuten zu verschiedenen Gelegenheiten gut angenommen werden. Aus Respekt ihnen gegenüber sollten wir nichts Fertiges überstülpen. Sondern sie fragen: Wo wollt ihr feiern? Wie wollt ihr feiern? Wie sollen wir beten? Es geht dabei immer um die wichtige Frage, wie können wir heute mit Gott ins Gespräch kommen, in die Stille, die Begegnung? Manche Jugendlichen können beispielsweise nicht so gut über ihren Glauben sprechen, aber sie können vielleicht malen oder schreiben oder erleben, dass das, was ihnen wichtig ist, in einem Film oder Musikvideo zum Ausdruck kommt.
Frage: Was empfehlen Sie also für die Kirchengemeinden?
Bingener: Anzuerkennen, dass die Welt und die Jugendlichen heute vielfältig sind und es deshalb vielfältige Zugänge zum Glauben braucht. Das hat zur Konsequenz, dass Kirche sich nicht mehr nur in der Pfarrgemeinde verwirklicht, sondern auch an anderen Orten, beispielsweise in den Jugendverbänden. Und man sollte aufhören, die Kirchlichkeit von Jugendlichen daran zu messen, ob sie am Sonntagmorgen in der Gemeindemesse sitzen. Es gibt übrigens an vielen Orten ein gutes Miteinander von Jugendverbänden und Pfarreien, für das wir sehr dankbar sind. Man muss sich halt gegenseitig gelten lassen und miteinander solidarisch sein. Jugendverbandler sind bereit, sich für die Belange der Pfarrei einzusetzen, wenn man sie fragt.
Frage: Besteht dabei nicht die Gefahr einer Parallelgesellschaft zur Kirchengemeinde?
Bingener: Nein, es geht darum vielfältig aufgestellt zu sein und man muss sich gegenseitig ergänzen. Schauen sie beispielsweise auf die Firmvorbereitung. Die bieten wir neuerdings im Verband an, weil dort eben für manche Jugendliche der Raum ist, in dem sie Kirche erleben und dann auch das Sakrament der Firmung empfangen wollen. Und gleichzeitig bin ich selber noch Subsidiar in einer Pfarrei und gestalte dort die Firmvorbereitung mit. Wir bieten dort eine sogenannte "Mitwohnwoche" an. Das heißt, die Jugendlichen ziehen für eine Woche ins Jugendheim und übernachten auch dort. Den Pfarrsaal bauen wir in dieser Zeit zu einem großen Wohnzimmer um, mit einem langen Küchentisch in der Mitte. Tagsüber gehen die Jugendlichen zur Schule oder in die Ausbildung. Wir verbringen die ganze Woche zusammen, kochen miteinander, gestalten das Freizeitprogramm. Abends gibt es dann Katechese, Impuls und Gebet. Am Ende der Woche wird gefirmt. Nach dieser Woche haben die Jugendlichen zumindest einen Eindruck davon bekommen, was es heißt, als Christ zu leben und zu glauben. Beide Formen, Firmung im Verband und Firmung in der Pfarrei, passen gut und kommen für unterschiedliche Jugendliche in Frage. Warum also nicht vielfältig?
Frage: Oft sind junge Menschen nach so einer kurzen Firmvorbereitung schnell wieder weg von der Kirche...
Bingener: Ja, da müssen wir uns fragen, was wir den Jugendlichen nach der Firmung anbieten können. Gibt es Pfarreien und Gemeinschaften, die die Offenheit für neue Leute haben und in denen sich Jugendlichen willkommen fühlen? Ich glaube, da braucht es eine enorme Offenheit und eine Bandbreite an verschiedenen Möglichkeiten für Menschen, die zu uns kommen wollen. Und vielleicht braucht es weniger Traurigkeit darüber, dass manche nach der Firmung wieder gehen. Ich vertraue darauf, dass die Zeit, die sie bei uns verbracht haben, für sie eine gute Zeit war.
Frage: Manche Gemeinden haben deshalb ein Punktesystem eingeführt, um die Jugendlichen längerfristig zu verpflichten.
Bingener: Das finde ich als Methode ganz schrecklich. Die Angebote der Kirche sollten aus sich heraus attraktiv sein und Ausstrahlung haben, aber nicht als Pflichtveranstaltung verkauft werden. Der liebe Gott tackert mir doch auch nicht nach jedem Gottesdienst eine Punktekarte ab. Was ist das denn für ein Bild von Kirche, die ja in die Freiheit führen soll? Das geht nicht, es ist kontraproduktiv!
Frage: Viele setzen vermehrt auf Mission. Wie stehen Sie dazu?
Bingener: Ich teile dieses Anliegen. Ein gutes Beispiel dafür ist unsere bundesweite 72-Stunden-Aktion. An dieser Sozialaktion, in der wir uns für andere einsetzen, beteiligen sich im kommenden Jahr zehntausende junge Menschen. Wir schauen dabei - gerne gemeinsam mit den Pfarreien vor Ort - auf den jeweiligen Sozialraum und packen dort an wo unsere Hilfe gebraucht wird. Es geht darum, dem Reich Gottes auf die Sprünge zu helfen, so, dass es vor Ort ein bisschen weniger dunkel, ein bisschen heller werden kann. Ich mag das Papstwort: "Verkündet das Evangelium, notfalls mit Worten". Er ruft darin zur Tat auf. Es geht darum, weniger über das Christsein zu reden, mehr etwas konkret zu tun und so missionarisch zu wirken. Oder die Sternsingeraktion ist jährlich die größte missionarische Aktion, die wir in Deutschland haben. 300.000 Kinder bringen den Segen Gottes in die Häuser ihres Dorfes oder Stadtteils Es ist jedes Mal ergreifend mitzuerleben, wie sich vor allem ältere Menschen über einen solchen Besuch der Sternsinger freuen. Unsere Botschaft dabei ist: "Gott ist da, wo du wohnst, Gott ist mit dir". Das ist missionarisch!
Frage: Was wünschen Sie sich von der Jugendsynode?
Bingener: Ich wünsche mir, dass wir das, was wir in den Dokumenten der Synode behaupten, nämlich dass Jugendliche eine Hauptrolle in der Kirche spielen, auch jetzt umsetzen. Wenn wir es zulassen, dass sie tatsächlich Protagonisten in der Kirche sind, wird sich vieles zum Guten wenden.