Vom Wert der spirituellen Erziehung

Kindliche Spiritualität - etwas für Kleine und Große

Veröffentlicht am 01.01.2019 um 15:32 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Kinder ihre Vorstellung über die magische Welt erzählen lassen, sie achten und ihre Gefühle ernst nehmen: Das alles sind Bestandteile der spirituellen Erziehung. Theologe Anton A. Bucher erklärt die Kinderspiritualität – und wie sie sich im Laufe des Lebens weiterentwickeln kann.

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Wer Kinder beim Spielen in der Natur beobachtet oder mit ihnen über Gott und die Schöpfung spricht, der spürt: Sie scheinen irgendwie näher dran am Kosmos zu sein. Die ersten Jahre ihres Lebens sind geprägt vom Staunen und von der Fähigkeit, sich die Welt in einem ganz eigenen Tempo zu erschließen. Kinder erkunden mit allen Sinnen und dort wo diese nicht reichen, vertrauen sie auf Glauben und Fantasie.

"Kinder sind spirituelle Wesen", sagt der Schweizer Theologe und Pädagoge Anton A. Bucher katholisch.de. Und zwar im heutigen Sinne des Wortes. Früher sei Spiritualität gleichbedeutend mit kirchlicher Frömmigkeit gewesen, etwa wenn Ordensfrauen den Rosenkranz beteten. Unter spiritueller Erziehung habe man klassische Religionspädagogik verstanden. "Kinder lernten Beten und den Katechismus auswendig, nahmen an religiösen Handlungen teil und gingen in die Kirche", so der Autor des Buches "Wurzeln und Flügel. Wie spirituelle Erziehung für das Leben stärkt".

Heute werde der Begriff Spiritualität weiter gefasst, erklärt Bucher. "Er steht für eine Verbundenheit des Menschen mit der Natur, dem Kosmos, mit der sozialen Mitwelt, bis hin zur Menschheit als eine einzige große Familie. Und schließlich mit einem höheren, transzendenten Wesen, in unserer Tradition Gott." Kinder fühlen sich mit der Natur und ihren Mitmenschen verbunden und können leicht an übernatürliche Wesen glauben. "Anders als Erwachsene vermögen sie ihre Umgebung zu beseelen", sagt der Theologe, der selbst Vater von sechs Kindern ist.

Kindliche Spiritualität

Die kindliche Spiritualität zu fördern, wirkt sich laut Studien positiv auf die physische und seelische Gesundheit aus. Danach sind Menschen, die sich verbunden und in der Welt geborgen fühlen, gelassener, stressresistenter und belastbarer. Sie haben ein geringeres Risiko für Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes. Empirisch ist hinreichend erwiesen, dass sich spirituelle Kinder und Jugendliche wünschenswerter entwickeln, seltener in Sucht oder Depression geraten, sich wahrscheinlicher altruistisch-nächstenliebend verhalten.

Spirituell zu erziehen heißt, Kindern zuzuhören, wenn sie von ihren Vorstellungen über die magische Welt erzählen, sie zu achten und ihre Gefühle ernst zu nehmen. So fasst es Benediktinerpater Anselm Grün im Interview mit dem Elternportal "Spiel und Zukunft" zusammen.  Gemeinsam mit dem Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge hat er das Buch "Kinder fragen nach Gott. Wie spirituelle Erziehung Familien stärkt" geschrieben und wie auch Bucher sind beide der Meinung: "Spirituelle Erziehung soll die Verbundenheit von Kindern stärken."

"Spiritualität in der Erziehung entlastet Eltern"

Etwa durch warmherzige familiäre Beziehungen von Beginn an. "Indem Eltern ihr Kind zum Beispiel zärtlich tragen, statt es im Wagen vor sich herzuschieben", so Bucher. Gemeinsame Ausflüge in die Natur, die Pflege eines Haustiers, familiäre Rituale, gemeinsames Beten und Feiern der Feste im Kirchenjahr, respektvolle und einfühlsame Freundschaften – all das fördere Verbundenheit. Erziehungsberater Rogge betont auch den wertschätzenden Umgang der Erziehenden mit sich selbst. "Die Bereitschaft der Eltern, nicht perfekt zu sein, ist für mich eine wichtige Zutat für Spiritualität. Kinder wollen geerdete Eltern, die zu sich und ihrem Handeln stehen."

"Spiritualität in der Erziehung entlastet Eltern. Sie gibt ihnen das Vertrauen, dass sie aus einer Quelle schöpfen, die weit mehr ist, als das Wissen um Dinge", betont Grün. Und doch unterschiede sich der elterliche Glaube von dem ihrer Kinder. "Wachsen Kinder heran, ändert sich ihre Gottesvorstellung", so Bucher. Der starke Mann mit Bart, der von oben herabschaut, wird abgelöst durch symbolische Vorstellungen, etwa Gott als Licht, als Liebe. "Die Fähigkeit, Verbundenheit zu spüren, kosmische Geborgenheit, kann aber ein Leben lang gleichbleiben", erklärt Bucher. "Anders als Kinder können Erwachsene bewusst einen meditativen Weg beginnen, in sich schauen, tief über sich selbst nachdenken."

Familie beim Tischgebet
Bild: ©KNA

Vater, Mutter und Kinder reichen sich die Hände und beten vor dem Essen.

Wie wichtig ist die Spiritualität der Eltern? "Sie kann der kindlichen Entwicklung förderlich sein", so Bucher. Untersuchungen belegten: Spirituelle Mütter stillen ihre Kinder häufiger und länger, sie schenken ihnen eine noch tiefere Geborgenheit. Spirituelle Väter bringen sich mehr ein, in die Erziehung des Kindes und die gemeinsam gestaltete Zeit ist ihnen wichtiger. Hinzu kommt, dass Kinder von Modellen lernen. "Wenn sie ihre Eltern als fürsorglich erleben, als tierliebend, als engagiert für die Umwelt, nehmen sie vieles davon auf. Besonders beeindrucken kann es Kinder, wenn sie ihre Eltern sehen, die in einem tiefen Gebet versunken sind."

Die Verbundenheit ihrer Kinder mit dem Göttlichen können Eltern vertiefen, indem sie ihnen entsprechende Geschichten erzählen, empfiehlt Bucher. Etwa die Bibelgeschichte von Josef, in der es immer wieder heißt: 'Und Gott war bei ihm'. Was jedoch, wenn Eltern atheistisch sind? Anke und ihr Mann Ralf sind beide Naturwissenschaftler und während Ralf gar nicht mehr an Gott glaubt, hat Anke große Zweifel an seiner Existenz. Am Abendbrottisch bekommt die siebenjährige Tochter Malou die Gespräche ihrer Eltern mit und sagte kürzlich zu einer Freundin: "Gott gibt es nicht." Ihre Mutter sorgt sich nun: "Nehmen wir unserer Tochter etwas weg?"

Anton Bucher rät grundsätzlich von dogmatischen Sätzen wie 'Gott gibt es nicht' ab. Besser sei die Aussage: 'Ich persönlich glaube nicht, dass es ihn gibt.' Auf diese Weise werde seine Existenz offengelassen. Im Fall von Anke, Ralf und Malou würde Bucher das Gespräch mit der Tochter suchen. "Kinder sind keine leeren Gefäße, sondern vielmehr kleine Philosophen und Theologen. Fragen Sie ihr Kind, warum es meint, dass es Gott nicht gibt." In erster Linie gehe es in der Erziehung darum, das Kind zu begreifen, so Bucher. Der Priester und Jugendseelsorger Romano Guardini habe dazu einmal geschrieben: "Wir haben erst dann das Recht ein Kind zu erziehen, wenn wir versucht haben, es zu verstehen."

Von Janina Mogendorf

Zur Person

Professor Anton A. Bucher (58) ist ein Schweizer Theologe, Pädagoge und Autor. Er lehrt Praktische Theologie an der Universität Salzburg und erforscht seit vielen Jahren die Psychologie von Spiritualität und Religiosität. In diesem Zusammenhang hat er sich auch mit kindlicher Spiritualität und spiritueller Erziehung befasst.