Kolumne: Römische Notizen

Ostern im Vatikan: Mit Pestkreuz und geschärfter Aussage

Veröffentlicht am 13.04.2020 um 16:45 Uhr – Lesedauer: 

Rom ‐ Wegen der Corona-Pandemie hat Papst Franziskus die großen Kar- und Osterliturgien auf ein Minimum reduziert gefeiert. Hat das den Feiercharakter geschmälert? Im Gegenteil, das karge Setting ließ die Aussage von Ostern sogar klarer hervortreten, notiert unsere Kolumnistin Gudrun Sailer.

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Nein, so ein Ostern gabs noch nie. Nicht bei Ihnen und nicht bei uns in Rom. Der Vatikan als Ganzes: Seuchensperrgebiet. Ein geschlossener Petersdom, der nun nicht irgendeine Kirche ist. Ein menschenleerer Petersplatz. Ein Papst, der statt mit 50.000 festlich gestimmten Gläubigen unter freiem Himmel allein, ohne Volk noch Konzelebranten, ganz hinten in seiner versperrten Basilika die Ostermesse hält, nur im Livestream mitfeierbar, keiner darf hin, da sein verboten. Wäre uns das vor einem Jahr aus der Zukunft erzählt worden, uns hätten schwerste Zweifel ergriffen. Und die kamen denn auch allenthalben auf, als das liturgische Büro des Papstes die Devise "Ostern ohne Volk" ausgab an jenem Fastenfreitag, den 27. März. Es war der Tag, an dem Papst Franziskus seine außerordentliche "Andacht in der Zeit der Pandemie" hielt – allein auf dem verwaisten Petersplatz.

Überhaupt, diese Andacht. Sie lässt sich, meine ich, als vorgezogener Auftakt der Karwoche lesen. Franziskus, fragil inmitten der triumphierenden Architektur des Petersplatzes, die für Menschenmengen gemacht ist. Bei Regen, allein und ohne Schirm hinkte der Papst die nassen Stufen zu seinem überdachten Sitz hinauf, ein nie gesehenes Bild. "Von diesen Kolonnaden aus, die Rom und die Welt umarmen, komme der Segen Gottes wie eine tröstende Umarmung auf euch herab", beschloss er seine Predigt, in der er darauf verwies, dass diese Krise – zu unserem Heil – uns dazu zwingt, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und unseren Osterglauben zu stärken.

Nach einer Anbetung vor dem Allerheiligsten in der Monstranz erteilte Franziskus an jenem Freitag den eucharistischen Segen (in dieser Zeit, in der außer Priestern und Ordensleuten in ganzen Ländern kaum jemand die Kommunion empfangen kann). Er war als "Urbi et Orbi" angekündigt worden, als weltweiter feierlicher Papstsegen, den das katholische Kirchenoberhaupt üblicherweise nur zu Ostern, zu Weihnachten und nach seiner eigenen Wahl spendet. Und zwar von der eigens dazu gebauten Segnungsloggia auf der Fassade des Petersdoms. Franziskus stieg nicht hinauf, noch sprach er die Formel des Segens. Doch mit dem Allerheiligsten segnete er Rom und den Erdkreis, von der Vorhalle des Petersdoms aus auf den leeren, nassen, dunklen Platz und, in gerader Verlängerung, in die geplagte Welt hinein. Man sah, dass es ihn Kraft kostete, die Monstranz zu halten, Erinnerungen an den späten Johannes Paul II. blitzen auf. Wer mochte, konnte einen vollkommenen Ablass erhalten, und zwar – auch das war neu – nicht nur jene, die live zusahen, sondern überhaupt alle, die wollten, selbst ohne technische Möglichkeit, der Feier zu folgen. Geistiges Einschalten genügte. Darf ich eine Spekulation in den Raum stellen? Das Modell wird Schule machen. Gerade die ärmere Hälfte der Menschheit soll nicht ausgeschlossen sein, wenn der Papst Gottes Barmherzigkeit aufleuchten lässt. Tatsächlich war es auch beim regulären Urbi et Orbi am Ostersonntag so geregelt.

Ein leerer Petersplatz

Noch ein weiteres Mal in dieser Fastenzeit 2020 hielt der leere, von jeder Absperrung freigeräumte Petersplatz als Kulisse für eine Papst-Andacht her: beim Kreuzweg, der sonst am Kolosseum stattfindet. Die 14 Stationen waren symbolisch rund um den Obelisken in der Mitte des Petersplatzes eingerichtet. Die Meditationen sind jedes Jahr neu, diesmal stammten sie aus der Welt des Strafvollzugs, zu Wort kamen Verurteilte, Freigesprochene, Helfer, Familien und Beamte mit eindringlichen Reflexionen zu den letzten Lebensstationen des Jesus von Nazareth. Sein Kreuz trugen mit ihm: Häftlinge, ein Gefangenenpriester in Jeans und Turnschuhen und aus dem Vatikan ein Arzt und eine Ärztin in weißen Kitteln. Auf dem nächtlichen Petersplatz stand nichts. Keine Absperrung, kein Bild, nichts. Unendlich viel Platz für Gottes Gegenwart. Der Papst beschloss die Andacht, die mit der Grablege endet, mit einem einfachen Segen, auf Schlussworte verzichtete er, er ging vom Platz, als noch gesungen wurde.

Papst Franziskus spendet den Segen "Urbi et orbi" gegen die Corona-Pandemie
Bild: ©Vatican Media/Romano Siciliani/KNA

Immer mit dabei: Das jahrhundertealte Pestkreuz.

Alle anderen Feiern der Kar- und Ostertage mit dem Papst fanden im Inneren des Petersdoms statt: der Palmsonntag, die Abendmahlsmesse am Gründonnerstag, die Karfreitagsliturgie, die Osternacht und die Auferstehungsmesse mit anschließender Osterbotschaft und Segen Urbi et Orbi. Die Chrisammesse entfiel und alle Feiern waren erheblich kürzer als sonst, aufs Wesentliche reduziert. In der Abendmahlsmesse fehlte die Fußwaschung, in der Osternacht die Taufe, am Sonntag die Predigt. Helfer und Volk waren jedes Mal dieselben Personen: Zeremoniäre, Diakon, Lektor und Lektorin, ein ausgedünnter Chor, elf Gläubige, jeweils in einer eigenen Bank. Ungenutzt blieb dieser Tage der Papstaltar. Die Eucharistie zelebrierte Franziskus nicht an der ihm vorbehaltenen großen Mensa, die über dem Petrusgrab und unter der Kuppel ruht, in gerader Achse zwischen Märtyrer-Erde und Himmel, sondern am Kathedra-Altar ganz hinten. Kommunizieren sah man außer den Papst niemanden. Die vatikanische Bildregie entschied, dies Fehlen nicht zu zeigen - oder dies Vorhandensein auszublenden. In Italien und anderswo ist die Kommunion schon lange untersagt.

Das Kreuz im Zentrum

Die Welt ist in der Krise, und umso klarer wird, was Ostern soll. Erlösung von allem Bösen. Hoffnung jenseits des Todes. Das ist der Kern, befreit von allem Brauchtum: das Kreuz. Und so war die Klammer, die alle Papstfeiern dieser Kar- und Ostertage umfasste, das schöne alte Pestkreuz, das der Papst sich aus der römischen Kirche San Marcello al Corso lieh, wo er es bald nach Beginn der Seuche in einer Art Fußwallfahrt durch seine menschenleere Bischofsstadt aufgesucht hatte. Das Kreuz, unübersehbar aufgepflanzt bei jeder Liturgie auf dem Petersplatz oder in der Basilika, immer in der Mitte, immer im Blick. Als der Papst auf dem Petersplatz das Ende der Pandemie erflehte, stand das Kruzifix im Regen. Wasser tropfte aus der Dornenkrone, überströmte den Leib Christi, wusch jeden Anstrich von Museum heraus. Auf einmal hatte das Kreuz wieder dieselbe religiöse Funktion wie vor 500 Jahren, als in Rom die Pest wütete. Nur dass die Seuche 2020 der Stadt und auch dem Erdkreis gilt - genauso wie der Segen, den der Papst, das nasse Kruzifix zur Seite, bei der Gelegenheit spendete.

Wenn wir uns in einem Vierteljahrhundert an dieses Krisenjahr erinnern, werden wie von selbst diese Bilder aus Rom kommen. Franziskus zu Ostern, im Hintergrund das Pestkreuz auf rotem Samt. Der Papst allein auf dem riesigen, leeren Petersplatz, wie er im Regen für ein Ende der Corona-Pandemie betet und den eucharistischen Segen spendet. Diese reduzierten Feiern der römischen Kar- und Ostertage sind aus der Not geboren und schöpfen zugleich aus dem tröstenden Reichtum der katholischen Tradition. Es sind Bilder, vielleicht auch Anstöße, die in das gemeinsame geistige Erbe unserer Tage eingehen.

Von Gudrun Sailer

Kolumne "Römische Notizen"

In der Kolumne "Römische Notizen" berichtet die "Vatikan News"-Redakteurin Gudrun Sailer aus ihrem Alltag in Rom und dem Vatikan.