Liturgie in Corona-Krise: Kranemann kritisiert Eucharistiefixierung
Der Erfurter Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann hat eine Fixierung der Liturgie auf die Eucharistiefeier kritisiert. Diese sei bei den Online-Gottesdiensten während der Corona-Pandemie besonders zutage getreten, sagte Kranemann bei einer Video-Podiumsdiskussion zum Thema "Was macht Corona mit den Gottesdiensten?" des Netzwerks "die pastorale!" am Dienstag. Die digitalen Angebote der letzten Monate hätten deutlich gezeigt, "welche Probleme, aber auch welche Aufbrüche es in der katholischen Kirche im Bereich des Gottesdienstes gibt", sagte der Theologe und forderte davon ausgehend einen Lernprozess für die Liturgie insgesamt.
Gerade in der bedrängenden Zeit einer Pandemie komme den Gottesdiensten eine neue Relevanz zu, so Kranemann. Auf der Suche nach Orientierung, Trost und Zuspruch würden die Menschen jetzt genauer hinschauen, "wo man dies in der Liturgie findet – und wo eben nicht". Der Theologe kritisierte eine "kaum nachvollziehbare und übersteigerte Konzentration auf die Eucharistie". Die Eucharistie sei für die Kirche ohne Frage zentral, aber die Fixierung auf die Messe in den digitalen Angeboten während der Pandemie spreche "allem Hohn, was wir katholischerseits an Vielfalt aus der Liturgiegeschichte kennen", heißt es in dem Statement des Liturgiewissenschaftlers. Es sei "geradezu irritierend", wie einige Bischöfe und kirchliche Gruppierungen "beim zeitweisen Abklingen der Pandemie nichts Besseres zu tun hatten, als möglichst rasch wieder auf den Weg der Eucharistiezentrierung zurückzukehren."
Chance für innovative Gottesdienstformen im Internet
Demgegenüber betrachtet Kranemann die Möglichkeit, im digitalen Raum "vielfältigere und eigenständige Wortgottesdienste" zu entwickeln als Chance der gegenwärtigen Situation. In ihnen werde "nicht weniger dicht die Beziehung zwischen Gott und Mensch zum Ausdruck gebracht als in der Eucharistie", so der Erfurter Theologieprofessor. Seiner Meinung nach muss in diesem Zusammenhang die Frage nach der Verantwortung für die Liturgie neu gestellt und die Gefahr des Klerikalismus im Blick behalten werden: "Die Kirche ist eine Kirche der Getauften, und bei aller Verteilung von Ämtern und Rollen in der Kirche trägt sie gemeinsam die Liturgie." Dieses Verständnis des gemeinsamen Priestertums komme dort zum Tragen, wo engagierte Frauen und Männer neue Wege der gottesdienstlichen Praxis ausprobieren würden. Statt der häufigen "Erlaubnisdebatte", wer was in der Liturgie dürfe, forderte Kranemann eine freimütige Diskussion darüber, "wie Liturgie so gefeiert werden kann, dass sie Menschen heute begeistert und ihnen dem Wortsinne nach ein Lebensmittel ist".
Einen weiteren Lernanstoß sieht der Liturgiewissenschaftler in der Frage, welche Gottesdienstformen und -elemente sich für digitale Formate besonders eignen und welche nicht. Es gebe die "irrige Vorstellung, jede Liturgie könne in jedem Kontext immer in gleicher Weise" gefeiert werden. Bei rituellen Feiern, die wie die Taufe besonders das Körperliche stark machen, könne sich Kranemann den Verzicht auf Gottesdienste in Präsenz etwa nicht vorstellen. Für digitale Angebote hingegen böten sich neue liturgische Konzepte an, die auf eine ästhetisch ansprechende multimediale Verbindung von Musik, Bild und Wort setzen, aber auch die interaktive Einbindung der Gläubigen etwa bei der Predigt oder den Fürbitten ermöglichen. Hier liegt laut Kranemann die Chance der Kirche, "auf die Anforderungen einer mobilen Gesellschaft zuzugehen" und deren Interesse an "unterschiedlichen spirituellen Stilen" aufzugreifen.
Das von mehreren Bistümern, Verbänden und Medieneinrichtungen getragene Netzwerk "die pastorale!" wurde im September 2019 in Magdeburg mit einer mehrtägigen Vortrags- und Diskussionsveranstaltung zu den gesellschaftlichen Herausforderungen der Kirche eröffnet. Ein besonderer Fokus lag dabei auf der Situation der Diaspora-Kirchen in Ostdeutschland. Die insgesamt drei Online-Diskussionen zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das kirchliche Leben wurden in Kooperation mit der Gesellschaft Katholischer Publizisten (GKP) veranstaltet. (mfi)