Serie: Die Kirche und... – Teil 3

Die Kirche und der Nationalsozialismus: Gegen den "völkischen Messias"

Veröffentlicht am 08.03.2020 um 13:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Hexen, Ketzer, Kreuzzüge: In Kirchengeschichte und -gegenwart gab und gibt es immer wieder große Kontroversen. Diese beleuchten wir mit unserer neuen Serie. Der dritte Teil beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Kirche und Nationalsozialismus – das von großen Konflikten geprägt war.

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Das Verhältnis der Katholischen Kirche zum nationalsozialistischen deutschen Staat ist vielschichtig. Zähneknirschendes Arrangement und offener Widerstand – beides ist zu finden. Begeisterung für das Nazi-Regime blieb hingegen die Ausnahme. Widerstand in Form zivilen Ungehorsams wird häufiger vorgekommen sein als dokumentiert ist: Die Hilfe katholischer Christen wirkte meist still im Verborgenen. Von einigen Katholikinnen und Katholiken haben wir dennoch Zeugnis. Sie erinnerten ihre Zeitgenossen an die Unvereinbarkeit von Nationalsozialismus und Christentum.

Der "Mythus" und seine Gegner

Die Inkompatibilität von Nationalsozialismus und Christentum betonten auch die Nationalsozialisten von Anfang an. Alfred Rosenberg hatte bereits 1930 in "Der Mythus des 20. Jahrhunderts" das antichristliche Programm des Nationalsozialismus umrissen: "Der Mythus des römischen Stellvertreters Gottes muß ebenso überwunden werden wie der Mythus des 'heiligen Buchstabens' im Protestantismus. Im Mythus von Volksseele und Ehre liegt der neue bindende, gestaltende Mittelpunkt."

Die Kirche wiederum warnte ihre Mitglieder vor dem Nationalsozialismus und hat bereits 1932 die Zugehörigkeit zur NSDAP für unvereinbar mit dem christlichen Glauben erklärt. Als Erwiderung auf die Propaganda für eine neue politische Religion entstand im Erzbistum Köln die von Clemens August Graf von Galen veröffentlichte Schrift "Studien zum Mythos des XX. Jahrhunderts" (1934), an der insbesondere Theologen der Universität Bonn mitgearbeitet haben.

Bild: ©Freundeskreis P. August Benninghaus SJ

95 Prozent der im KZ Dachau inhaftierten Geistlichen waren katholisch. Der Jesuitenpater August Benninghaus hatte dort die Häftlingsnummer 29373.

Auf diese kirchliche Kritik reagierte wiederum Rosenberg ein Jahr später: "An die Dunkelmänner unserer Zeit. Eine Antwort auf die Angriffe gegen den Mythus des 20. Jahrhunderts". Eine "Religion des Blutes" solle das Christentum ersetzen, so Rosenberg in seiner Replik, denn dieses sah er durch die Katholische Kirche verdunkelt, verfälscht und "verjudet".

Zu dieser klaren beiderseitigen Abgrenzung von Nationalsozialismus und Christentum einerseits durch Rosenberg und andererseits durch die Katholische Kirche liegt der Befund nur scheinbar quer, dass viele Nazi-Größen selbst christlich sozialisiert waren. Nur dadurch, dass sie sich in den Glaubensinhalten gut auskannten, waren sie überhaupt in der Lage, sich auf Begriffe des Christentums zu beziehen ("Vorsehung", "Erlösung", "Heil") und diese Metaphern mit völlig neuen Bedeutungsgehalten zu füllen. Was man ersetzen will, muss man kennen. Die Rosenberg'sche "Blutreligion" sollte die nationalsozialistische Sache mit der christlichen Tradition "gleichschalten", was bei vielen Christen der Erkenntnis, wie lächerlich die Metaphysik des Nationalsozialismus ist, nur endgültig zum Durchbruch verholfen haben dürfte. Tatsächlich aber war die Bildsprache des Nationalsozialismus wirkmächtig an dem Versuch beteiligt, den Deutschen "einen neuen Typ einer rassistisch zentrierten 'Religion' aufzuzwingen, um ihr christliches Erbe zu verdrängen", so Beth A. Greich-Polelle in ihrem 2011 erschienenen Aufsatz "Der Nationalsozialismus und das Konzept der 'politischen Religion'".

Die "Rassenlehre" der Nazis ist das Gegenkonzept zum christlichen Menschenbild. Dass sie auch religiös deutbar ist, heißt nicht, dass damit weniger aufgefallen wäre, wie sehr sie dem christlichen Menschenbild widersprach. Wer fest im Glauben stand, hat den Widerspruch bemerkt, zumal auch kirchliche Würdenträger das Ihre zur Aufklärung beitrugen. In einer Stellungnahme der Bischöfe der Kölner Kirchenprovinz zur nationalsozialistischen Bewegung vom 5. März 1931 heißt es beispielsweise unmissverständlich: "Wir katholischen Christen kennen keine Rassenreligion, sondern nur Christi weltbeherrschende Offenbarung, die für alle Völker den gleichen Glaubensschatz, die gleichen Gebote und Heilseinrichtungen gebracht hat. Wir Katholiken kennen kein nationales Kirchengebilde. Katholisch heißt allgemein. Ein Hirt und eine Herde rings auf dem Erdkreise: das ist der Grundplan des Reiches Christi, feierlich verkündigt vor seinem Kreuzestode."

Nationalsozialistischer Antikatholizismus

Besonders abwegig ist in diesem Zusammenhang die Behauptung, die deutschen Katholiken seien dem "Katholiken" Hitler kollektiv auf den Leim gegangen, weil dieser sich oft und zunehmend irritationslos als Werkzeug Gottes verstand und damit eine Art "völkischen Messias" verkörperte. Das ficht einen deutschen katholischen Christen aus drei Gründen nicht an: Erstens identifiziert er den Messias mit Jesus Christus (und nicht mit Adolf Hitler), zweitens ist "Volk" keine Kategorie katholischen Denkens (sondern "Mensch") und drittens liegt ihm, dem deutschen Katholiken, Rom stets näher als Berlin. Schon Bismarck hatte erkannt, dass sich die "ultramontanen" Katholiken nicht dem deutschen Kaiser, sondern dem römischen Papst verpflichtet fühlen – ganz im Gegensatz zu den Protestanten.

Bild: ©KNA-Bild/KNA

Abtransport von Kranken aus der katholischen Behindertenanstalt Ecksberg in Bayern. In den Jahren 1939-1945 führten Nationalsozialisten die als "Aktion T4" getarnte Vernichtung "lebensunwerten Lebens" durch: die Ermordung geistig behinderter Menschen, der rund 100.000 Kranke zum Opfer fielen, davon rund 11.000 aus caritativen Einrichtungen. (Aufnahmedatum unbekannt)

Die zunehmende Diskreditierung des Katholizismus in der NS-Zeit – Schmutzkampagnen gegen die Jesuiten, haltlose Missbrauchsvorwürfe und Himmlers private Hexenforschung, die Absurditäten wie die "neun Millionen Opfer" popularisierte, mit Wirkung bis heute – fand in zahlreichen "Stürmer"-Karikaturen Ausdruck und führte sogar zu Solidaritätsbekundungen aus der unverdächtigen sozialistischen Ecke: So wurde in der Sonderausgabe "Juden im III. Reich" der "Arbeiter-Illustrierte-Zeitung" (Prag 1936) auch der Antikatholizismus der Nazis getadelt. Dies zeigt in aller Deutlichkeit, dass die Kirche den neuen Machthabern unbequem war, auch nach dem Reichskonkordat von 1933, das dem politischen Katholizismus ein Ende bereitet hatte.

Besonders die "sturen" Westfalen, die Gläubigen im Bistum Münster unter Bischof August Clemens Graf von Galen, stellten ein Problem für das Nazi-Regime dar. Der Protest gegen das Euthanasieprogramm, die sogenannte "Aktion T4", führte zu einer zeitweiligen Einstellung der Morde an Behinderten und chronisch kranken Menschen (vgl. "Die Kirche und die Schoah"). Hitler persönlich ließ aus den Anklageschriften gegen die vier Lübecker Märtyrer (die katholischen Kapläne Johannes Prassek, Eduard Müller und Hermann Lange sowie der evangelische Pastor Karl-Friedrich Stellbrink) jeglichen Bezug auf von Galen und die Verbreitung seiner Predigten streichen, aus Furcht vor Protesten.

Im Nationalsozialismus war die Katholische Kirche in Deutschland selbst Opfer von Verfolgung. Über 2000 Priester und Ordensleute sind ab 1933 in Konzentrationslager verschleppt worden; die meisten nach Dachau. 95 Prozent der in Dachau inhaftierten Geistlichen waren katholisch. Die Verfolgung war aber nicht flächendeckend und betraf auch nicht die Kirche als Institution, doch in der Tat hatte das Regime vor, nach einem gewonnenen Krieg und der Ausrottung der Juden als nächstes die Kirche zu vernichten; Aufzeichnungen des Propagandaministers Joseph Goebbels zeigen dies. Die Katholische Kirche hat sich aus Gründen des Selbstschutzes und des Schutzes ihrer Gläubigen (immerhin etwa 45 Prozent der deutschen Bevölkerung) mit dem NS-Regime zwangsläufig arrangiert, etwa durch Unterzeichnung des erwähnten Reichskonkordats.

Christ und Nazi? – Ein Widerspruch! Oder?

Andererseits: Mehr als 95 Prozent der rund 90 Millionen Deutschen waren zwischen 1933 und 1945 Mitglied in der evangelischen oder der katholischen Kirche. Zugleich hatte die NSDAP am Ende des Zweiten Weltkrieges etwa 7,5 Millionen Mitglieder. Es gibt also eine gewisse Schnittmenge zwischen Kirchen- und Parteimitgliedschaft. Christ und Nazi – wie geht das zusammen? Eigentlich gar nicht, soweit man die christliche Lehre, das Christentum, zugrunde legt. Doch die "real existierende" Christenheit (in Gestalt der Kirchenmitglieder) hat im "Dritten Reich" den Weg dieser Lehre in Teilen verlassen. Es wäre aber falsch, diese Irreführung eines Teils der Christenheit mit der Disposition des Christentums in Verbindung zu bringen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die Christen sind in dem Moment, in dem sie den Nazis auf den Leim gingen, von ihrem christlichen Glauben abgewichen.

Gedenkausstellung an die vier Lübecker Märtyrer in der Krypta der Herz-Jesu-Kirche.
Bild: ©KNA

Gedenkausstellung an die vier Lübecker Märtyrer in der Krypta der Herz-Jesu-Kirche.

Offenbar fiel das den Protestanten leichter als den Katholiken. In ihrer Studie "Elite Influence? Religion, Economics, and the Rise of the Nazis" (2014) weisen Jörg L. Spenkuch und Philipp Tillmann nach, dass Katholiken viel seltener die NSDAP wählten als Protestanten. Besonders erhellend ist in diesem Zusammenhang eine Graphik, die zwei Karten Deutschlands gegeneinanderstellt, wobei die eine die Konfessionsverteilung 1925 und die andere das Wahlverhalten 1932 zeigt. Sie verhalten sich zueinander wie ein Foto und sein Negativ: Dort, wo die Katholiken in der Mehrheit waren, waren die NSDAP-Wähler in der Minderheit – und umgekehrt. In Bayern, im Rheinland und in Schlesien, wo damals über 80 Prozent der Menschen katholisch war, erreichte die NSDAP bei den Reichstagswahlen vom November 1932 unter 30 Prozent. In der protestantischen Diaspora Nord-, Mittel- und Ostdeutschlands hingegen erreichte sie flächendeckend über 30 Prozent, zumeist auch über 40 Prozent, in einigen Regionen gar die absolute Mehrheit der Wählerstimmen, etwa in Schleswig-Holstein, großen Teilen Niedersachsens und Hessens, in Nord-Brandenburg und Sachsen-Anhalt – protestantische Kerngebiete.

Die Stimmung in der katholischen Bevölkerung war hingegen keineswegs "Pro Hitler". Hätten sie allein das Sagen gehabt, wäre Hitler nie an die Macht gekommen. Wäre es nur nach den Nicht-Katholiken gegangen, hätte Hitler gar nicht erst den Weg über eine Koalitionsregierung gehen müssen, sondern wäre gleich zum "Führer" aufgestiegen.

Kurzes Fazit

Katholisch heißt allgemein, heißt global, heißt international. Rasse (Faschismus) und Klasse (Kommunismus) sind keine Kategorien katholischen Denkens. Das brachte die Kirche frühzeitig in einen Grundkonflikt mit beiden Totalitarismen des 20. Jahrhunderts, also auch mit dem Nationalsozialismus. Denn das faschistische Menschenbild mag "Versager", "Volksschädlinge", "Gemeinschaftsfremde", "unnütze Esser", "verderbliche Gene" und "unwertes Leben" kennen – das christliche Menschenbild kennt nur Kinder Gottes. Die elementare Glaubensfrage der NS-Zeit formuliert der evangelische Theologe Walter Künneth in seiner "Antwort auf den Mythus" (1935): "Die Entscheidung zwischen dem nordischen Mythus und dem biblischen Christus." Daran müssen sich Christen beider Konfessionen messen lassen – auch heute, wenn neue "nordische Mythen" die Runde machen.

Von Josef Bordat

Der Autor

Josef Bordat studierte Wirtschaftsingenieurwesen, Soziologie und Philosophie mit anschließender Promotion. Er arbeitet als freier Publizist in Berlin.