"Das Schwierigste steht noch bevor"
Frage: Frau Hertlein, wie alt fühlen Sie sich?
Hertlein: So ganz habe ich es innerlich noch nicht nachvollzogen, dass ich in diesem Jahr fünfzig geworden bin, allerdings fühle ich mich auch nicht mehr wie unter vierzig. Das genaue Fühlalter hängt von der Tagesform ab.
Frage: Sind Sie im Reinen damit, wie Sie Ihr Leben bisher gelebt haben?
Hertlein: Ja, insgesamt bin ich damit sehr im Reinen. Manches hat sich auf längere Sicht als richtig erwiesen, auch wenn ich zum Zeitpunkt der Entscheidung damit gehadert habe.
Frage: Was war der größte Fehler oder die schwierigste Situation Ihres Lebens?
Hertlein: Fehler mache auch ich ständig, immer dann, wenn ich einem anderen Menschen nicht wirklich gerecht werde. So ein richtig großer Fehler fällt mir keiner ein. Ich dachte einmal, dass es ein Fehler war, so einen typischen Frauenberuf wie Gemeindereferentin zu ergreifen, obwohl ich doch mit Abitur auch ein Universitäts-Studium hätte absolvieren können. Inzwischen habe ich noch BWL studiert, also war auch das war kein nachhaltiger Fehler. Ich glaube manchmal, dass die schwierigste Situation, die mir noch bevorsteht, einmal der eigene Tod sein wird. Ich glaube, dass dies eine große Herausforderung wird.
Frage: Was war das größte Glück?
Hertlein: Auch da fällt mir nicht DAS Ereignis ein. Ein großes Glück ist für mich, dass ich so viele tragfähige Beziehungen zu anderen Menschen habe. Auch bin ich in einer wunderbaren Familie mit drei Geschwistern aufgewachsen und wir verstehen uns alle noch sehr gut. Ich habe eine sinnvolle Arbeit, die mir meist auch große Freude bereitet. Ich habe wunderbare Nichten und Neffen und als ich zum ersten Mal mein Patenkind auf dem Arm gehalten habe, war auch ein großer Friede spürbar. Glück erlebe ich aber auch in den Bergen, beim Skifahren, in einer Kathedrale, bei Musik …
Frage: Was war eine Weiche in Ihrem Leben, die Sie heute gern anders stellen würden?
Hertlein: Klingt das überheblich, wenn ich sage: keine? Ich hätte mir eine eigene Partnerschaft und Familie vorstellen können. Allerdings fällt mir keine spezielle Weiche ein, die ich falsch gestellt habe.
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Es ist die Generation der Baby-Boomer: In welchem politischen und gesellschaftlichen Kontext heute 50-Jährige groß geworden sind, zeigt der Zeitstrahl.
Frage: Was erwarten Sie von Ihrem weiteren Leben?
Hertlein: Ich hoffe sehr, dass ich meine berufliche Arbeit gut schaffe, dass es Menschen besser geht, wenn sie mit uns, der Caritas in Mannheim, in Berührung gekommen sind, dass unsere Mitarbeiter gerne zur Arbeit gehen und wir weiterhin nachhaltig aufgestellt sind. Ich hoffe, dass meine Freundschaften und Beziehungen weiterhin tragen und dass ich die Tücken des Älterwerdens gut meistere. Ich hoffe, dass ich mir auch immer wieder Zeit für Kreativität, Muße und Bewegung nehmen werde. Ich wünsche mir, dass mir meine, bis jetzt doch sehr robuste Gesundheit, noch lange erhalten bleibt und dass ich bei allem, was passiert und auf mich zukommt, nie die Hoffnung verliere.
Frage: Was sind für Sie in Ihrem Alltag die drei wichtigsten Dinge, ohne die Sie nicht auskommen würden?
Hertlein: Erstens: Liebe Menschen, mit denen ich zusammen bin. Zweitens: Das Gefühl, eine sinnvolle und gute Arbeit zu tun. Drittens: Schöne materielle Dinge, denen ich auch nicht abgeneigt bin.
Frage: Welche Bedeutung hat der Glaube für Sie?
Hertlein: Der Glaube hat für mich eine große Bedeutung und ist eine Art Urvertrauen, das ich immer wieder erleben darf. Es gibt immer wieder Situationen, in denen ich spüre, dass ich nicht weiß, wie sie ausgehen werden - auch bei bester Vorbereitung. Es muss auch so etwas wie Segen dazukommen. Ich bin Gott dankbar, dass er mich bisher nie im Stich gelassen hat. Und in Situationen, in denen etwas so richtig weh tut, schöpfe ich Kraft aus dem Kreuz und hoffe, dass es wieder besser wird.
Frage: Welche Rolle spielt die Kirche in Ihrem Leben?
Hertlein: Die Kirche hat mich sehr geprägt, vor allem die Erfahrungen in der kirchlichen Jugendarbeit. Nicht umsonst habe ich einen kirchlichen Beruf ergriffen. Kirche ist für mich nach wie vor wichtig. Die Caritas ist für mich ein guter Ort von Kirche, in dem ich arbeiten darf. Auch die Jugendverbände sind für mich solch gute Orte. Ich glaube aber, dass unsere Kirche in ihrer derzeitigen Form viele Chancen vergibt, für Menschen eine echte Lebenshilfe zu sein. Vielleicht leide ich deshalb so sehr darunter, dass vieles nicht weiter geht.