"Mein Ziel ist Gott"
Frage: Schwester Raymunda, wie alt fühlen Sie sich?
Raymunda Maria Luckey: Ich fühle mich eigentlich nicht wie 70! Körperlich zwar schon, aber geistig fühle ich mich jünger. Ich kann geistig noch relativ gut mitarbeiten und einige Tätigkeiten übernehmen, aber körperlich ist alles eher dem Alter entsprechend.
Frage: Sind Sie im Reinen damit, wie sie Ihr Leben bisher gelebt haben?
Luckey: Ja, ich kann sagen, dass ich meine Berufung gefunden habe. Diese finde ich in dem Wort "Gott". Er hat mich gerufen, er ist das Ziel, zu dem mein Weg hingeht. Alle Tätigkeiten um das herum sind für mich die Wege zu Gott und zu meiner Berufung.
Frage: Was war der größte Fehler oder die schwierigste Situation Ihres Lebens?
Luckey: Schwierige Situationen waren meine Krankheiten, die belasten mich immer wieder sehr: Ich hatte schon als Kind mit einer Achillessehnen-Verlängerung eine große Operation erlebt und seitdem und bislang mehrere Wirbelsäulen- und Knie-Operationen und eine Hüftprothese. Vor drei Jahren hatte ich eine Lungenembolie mit anschließender Herz-OP und letztes Jahr Brustkrebs.
Aber viel schlimmer als alle körperlichen Erkrankungen, mit denen ich ohnehin schon seit über 30 Jahren lebe, war als ich eine 2007 psychische Erkrankung hatte. Denn aus dieser Phase kam ich ohne Hilfe eines guten Arztes nicht raus. Diese Psychose hat sich Gott sei Dank wieder normalisiert und ich hoffe, dass das so bleibt.
Frage: Was war das größte Glück?
Luckey: Das war meine Ewige Profession. Ich bin 1965 bei den Armen-Schwestern vom heiligen Franziskus eingetreten, ein Jahr später war die Einkleidung, bei der ich das Ordensgewand bekam, und 1973 dann die ewige Profess. Das war für mich der Tag, der mir gehört und einer, der anders war als alle anderen Tage. Ich war da richtig glücklich! Beim Fest hatte ich zwar gar nicht viel Besuch, aber die Familie reichte mir, denn das wichtigste war das Versprechen. Der Satz, den ich damals gesprochen habe, war für mich das tiefste. Er ist für mich zu dem Gebet geworden, das ich jeden Tag ganz bewusst wiederhole.
Tägliches Gebet von Sr. Raymunda
"Um meine Taufweihe mit ganzer Hingabe zu verwirklichen und Christus dem Evangelium gemäß nachzufolgen, gelobe ich, Schwester vom heiligen Franziskus, dem allmächtigen Gott bis zum Tode zu leben in eheloser Keuschheit, in Armut und Gehorsam nach der Regel der Brüdern und Schwestern vom regulierten dritten Orden des heiligen Franziskus und den Konstitutionen der Armen Schwestern vom heiligen Franziskus."Frage: Was war eine Weiche in Ihrem Leben, die Sie heute gern anders stellen würden?
Luckey: Ich würde keinen anderen Weg gehen wollen, aber vor 40 Jahren war alles im Orden sehr streng. Da hätte ich mir mehr Freiheit gewünscht. Ich fühlte mich eingezwängt und gelebt – allein schon mit den damaligen engen und verschlossenen Trachten – um im ganzen Tagesablauf nach strengen Gesetzen und Geboten zu leben. Jetzt hat sich viel geändert, ich kann über all diese Dinge sprechen. Wir können nun Teile der Liturgie, wie etwa Andachten, selbst gestalten und unser Leben ins Gebet einbringen. Und nun geht es darum, diese Lockerung, die ja auch in den Familien und überall in der Gesellschaft stattgefunden hat, nicht zu missbrauchen. Ich fühle mich jetzt freier und habe dadurch auch mehr Verantwortung und mehr Selbstbewusstsein.
Frage: Was erwarten Sie von Ihrem weiteren Leben?
Luckey: Ich mache mir oft Gedanken, wie ich alles körperlich und geistig weiter packen kann, wobei ich die körperlichen Gebrechen sowieso weiter zu tragen habe. Wie es weiter läuft, kann ich nicht sagen, mein Ziel ist aber, dass ich weiter das Gebetsleben beibehalten kann, weil ich sehr gerne bete. Ich möchte in der Gemeinschaft die schwesterliche Liebe weiter vorwärts treiben und nicht stehen bleiben, wo ich jetzt bin. Und auch im Krankenhaus ist mir die Nächstenliebe wichtig: Wenn ein hungriger Mensch an die Pforte kommt, muss er zu Essen bekommen und wenn ich dazu selber die Brote streiche!
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Frage: Was sind für Sie in ihrem Alltag die drei wichtigsten Dinge, ohne die sie nicht auskommen würden?
Luckey: Das Gebet, die Gemeinschaft und die schwesterliche Liebe, auch Nächstenliebe genannt. Das sind die drei Dinge, die ganz wesentlich in meinem Leben existieren müssen. Es heißt "einer trägt den anderen" und deshalb möchte ich nicht alleine leben. Wenn ich helfe, weiß ich auch, dass ich von meinen Mitschwestern Hilfe bekomme und im Gebet getragen werde.
Frage: Welche Bedeutung hat der Glaube für Sie?
Luckey: Ich bin mit dem Glauben aufgewachsen, hatte ein strenggläubiges christliches Elternhaus und besuchte von klein auf Gottesdienste. Es fiel mir schon ab dem Kindesalter nicht schwer, zu glauben. Ich wollte bereits mit 16 Jahren ins Kloster, aber dort sagte man mir, dass ich noch ein Jahr warten solle. Weil mir das in dem Alter so lange erschien, begann ich meine Lehre zur Krankenpflegerin und wurde danach mit 20 im Kloster genommen. Mein Glaube hat mir immer schon geholfen, meinen Weg zu finden, auch wenn ich damals noch längst nicht so viel gebetet habe wie jetzt.
Frage: Welche Rolle spielt die Kirche in Ihrem Leben?
Luckey: Ich sage mir: "Ich bin ein lebendiges Wesen und bin selber Kirche". Und ich will meinen Glauben an die Mitmenschen weitergeben, nicht durchs Missionieren, sondern dadurch, dass ich meinen Glauben lebe. Auch die Kirche als steinernes Haus ist mir wichtig. Ich besuche im Urlaub und in Kuren viele Gotteshäuser und es tut mir weh, wenn ich erfahre, dass Kirchengebäude zerstört oder profaniert werden.
Kirchen sind wichtig, damit wir Menschen einen Ort haben, in die man für sich hingehen kann. Mir sagt eine Kirche oder Kapelle im Gebet viel mehr als das stille Kämmerlein. Ein Gotteshaus ist wirklich offen für alle und wenn dann daraus ein Restaurant oder ein Fitnessstudio wird, dann ist es nur noch ein Ort für die Marktwirtschaft und den Konsum. Und wenn ich abends nach einem langen Arbeitstag noch einmal in die Kapelle des Hospitals gehe und dann etwa bei der Anbetung einschlafe, denke ich, dass der Liebe Gott da ein Einsehen hat.