Mit den Psalmen das Loben lernen
Halleluja – das ist das letzte Wort des Buches der Psalmen. Diese aus den christlichen Gottesdiensten wohlvertraute Transkription der zwei hebräischen Wörter הללו־יה ist kein Schlusspunkt, sondern eine Aufforderung: "Lobpreist JH (= JHWH)!" Der Leser der Psalmen wird zum Lob Gottes berufen – und die Beter dieser Texte rufen die Welt dazu auf, in die Preisungen einzustimmen: "Jedes Lebewesen (wörtlich: jeder Lebensatem) lobpreise JH. Lobpreist JH!" (Psalm 150,6). Die Geschöpfe, denen Gott den Lebensatem verliehen hat (siehe Genesis 2,7), sind dazu bestimmt, Gott – den Schöpfer und Retter – zu loben. Radikal stehen in den Psalmen Loben und nicht mehr Loben einander gegenüber wie Leben und Tod. "Denn im Tod gibt es kein Gedenken an dich. Wer wird dich in der Totenwelt preisen?", klagt der Beter, in dessen Welt es noch keinen Glauben an die Auferstehung der Toten gibt, zu Gott in Psalm 6.
Die menschliche Existenz drängt im Buch der Psalmen zum Lobpreisen im Leben. Bereits in den klagenden und bittenden Psalmen blickt der Beter hoffnungsvoll auf das zukünftige Loben nach der Rettung: "Und meine Zunge soll reden von deiner Gerechtigkeit und dich täglich preisen." (Psalm 35,28). Auch der individuelle Dank mündet im grundsätzlichen Loben: "Ich will JHWH mit meinem Mund laut danken und inmitten von vielen will ich ihn loben." (Psalm 109,30). Im Lobpreis endet das Gebet und aus den Worten zu Gott werden Gedanken über ihn.
Innerhalb des Psalmenbuches erklingt vor allem ab Psalm 90 immer wieder die Aufforderung Gott zu loben: "Jubelt, ihr Gerechten, über JHWH" (Psalm 33,1), "Singt JHWH ein neues Lied" (Ps 96,1) – oft beginnt der Lobpreis auch mit einer Selbstaufforderung: "Die Gnadentaten des HERRN will ich ewig besingen, von Generation zu Generation deine Treue kundtun mit meinem Mund." (Psalm 89,2), "Ich will dich, mein Gott, rühmen und deinen Namen preisen auf immer und ewig." (Psalm 145,1). Auf diese Aufforderungen folgt in einigen Psalmen ein kurzes, vielsagendes Wort: כי (gesprochen: ki). Der kürzeste Psalm des Psalters ist dafür ein Paradebeispiel: "Lobpreist JHWH, alle Nationen, rühmt ihn, alle Völkerschaften, denn/ja (= כי) mächtig ist seine Gnade über uns und die Treue JHWHs gilt in Ewigkeit. Lobpreist JH!" Durch das kurze Wort כי sind die der Lobaufforderung folgenden Worte zugleich eine Begründung ("denn") als auch der Vollzug ("ja" oder "fürwahr"). Der Lobpreis ist somit zugleich Verkündigung.
Eine kaum beachtete Weise des Redens über Gott
Die Formen des Lobpreises in den Psalmen sind vielfältig. Eine häufig wiederkehrende Art und Weise des Redens über das Wesen Gottes fällt in den meisten Übersetzungen gar nicht auf – denn eine wörtliche Übersetzung würde zu schlecht lesbaren Texten führen. Während der Lobdank eher eine durch Gott erfahrene Rettung berichtet, wird im Lobpreis Wesen und Wirken Gottes oft durch die Verwendung von Partizipien beschrieben – so steht zum Beispiel in Psalm 146,6-7 wörtlich über Gott: "Machend Himmel und Erde, das Meer und alles, was darinnen; der Treue-Bewahrer auf ewig. Recht verschaffend den Unterdrückten, Brot gebend den Hungrigen; JHWH, lösend Gefangene." In diesen Charakterisierungen Gottes wird das theologische Fundament deutlich, das einen Beter von der Klage bis hin zum Lobpreis führen kann.
Klage, Bitte, Lobdank und Lobpreis sind Ausdruck des andauernden Vertrauens der Beter, dass Gott als königlicher Herrscher auf ewig über Israel, die Völker und die gesamte Welt herrscht (siehe Psalmen 90-100). Die Beter der Psalmen fragen nicht, ob Gott allmächtig ist, sondern sie anerkennen seine Souveränität in der Geschichte: "Erhaben über alle Völker ist JHWH, über den Himmeln ist seine Herrlichkeit. Wer ist wie JHWH, unser Gott im Himmel und auf der Erde? – Der hoch Erhobene, um zu thronen; der sich Niederbeugende, um (nah) zu sehen." (Ps 113,5-6). Seine Taten in der Schöpfung und in der Heils- und Unheilsgeschichte Israels werden besungen (siehe Ps 104 und 105-107). Und immer wieder wird seine handelnde Liebe für alle Unterdrückten, Hungrigen, Kranken – für alle leidenden Menschen, die nirgends mehr Hilfe finden können außer bei Gott – gepriesen (siehe Psalm 145,13-16). Gott gebührt der Lobpreis aufgrund seiner allbarmherzigen Allmacht: "JHWH ist gütig zu allen, sein Erbarmen waltet über all seinen Werken. Lobdanken werden dir, JHWH, alle deine Werke und deine getreuen Frommen werden dich preisen." (Psalm 145,9-10).
Gespräch und Gesprächsende zugleich
In gewisser Weise ist der Lobpreis sowohl ein Teil des Dialogs zwischen Gott und den Menschen als auch das Ende dieses Gesprächs. Aus dem Reden zu Gott wird ein Reden über Gott. Doch der Lobpreis ist nicht das Ende der Geschichte, sondern eine Gegenrede: gegen eine Welt voller Leid und voller menschlicher, ungerechter Gewalt. In einer Welt, die davon ausgeht, dass die Dinge eher schlecht als recht so sein müssen, wie sie sind, erkennen die Gläubigen im Lobpreis Gottes einen grundlegenden Indikator, dass die Wunder Gottes in dieser Welt nicht aufhören und dass die Hoffnung und das Vertrauen auf Gott die Generationen hindurch erfolgreich erprobte Haltung der gläubigen Menschen ist. Indem sich die Sprechrichtung im Lobpreis von Gott zu den Mitmenschen wendet, ist diese Verkündigung zugleich eine freudige Antizipation des universalen Lobpreis Gottes am Ende der Zeit (siehe Offenbarung 19,6).
Im Hier und Jetzt ist der Lobpreis der Ort in dieser Welt, über dem Gott thront – diese faszinierende und schwierig zu deutende Aussage steht in Psalm 22,4: "Aber du bist heilig, du thronst über dem Lobpreis Israels." Mittelalterliche Bibelausleger haben aufgrund dieses Verses die Loblieder Israels mit Wolken von Weihrauch verglichen, die zu Gott hinaufsteigen und ihm einen Thron bilden. Doch dieses Bild wäre falsch verstanden, wenn man daraus schließen würde, dass Gott des menschlichen Lobpreises als Thron bedarf. Es gibt noch eine zweite Wiedergabemöglichkeit für diesen Vers, die auch in antiken Übersetzungen zu finden ist: "Du bist thronend als Lobpreis Israels." Gott herrscht als derjenige, der aufgrund der Taten seiner barmherzigen Allmacht lobgepriesen wird. Gott ist auf den menschlichen Lobpreis nicht angewiesen – ganz im Gegenteil: Im Lobpreis, und auch im Lobdank, bezeugt der Mensch, dass er nicht unabhängig von Gott lebt, sondern auf ihn, den wahren König der Welt, angewiesen ist – in ihm hat er Heil gefunden und die Welt möchte er daran anteilhaben lassen: "Jauchzt zu JHWH, du ganze Erde, dient JHWH mit Freude!" (Psalm 100,1).