Mit den Psalmen das Danken lernen
Es bedarf in der deutschen Sprache und im christlichen Gebet eines neuen Wortes: "lobdanken". Denn das Gefühl der Dankbarkeit Gott gegenüber wird in der hebräischen Sprache der Psalmen mit einem Wort verbalisiert, das auch "loben" und sogar "bekennen" bedeutet. Gott zu danken bedeutet, sich zu ihm zu bekennen und ihn zu loben. Und das hierfür verwendete hebräische Wort הודה (gesprochen: hōdāh) wird nur für die Dankbarkeit Gott gegenüber verwendet.
Der Lobdank ist die Reaktion auf das rettende und lebensfördernde Handeln Gottes. Bestimmend ist dabei nicht die rückblickende Perspektive, sondern der Weg zum Lobpreis. "Er legte mir in den Mund ein neues Lied, einen Lobpreis auf unseren Gott. Viele werden es sehen und sich fürchten und auf JHWH vertrauen", spricht der Beter in Psalm 40, nachdem er erzählt hat, dass Gott ihm in seiner Not geholfen hat. Abstrakt theologisch formuliert sind die Psalmen die Antwort Israels und der Israeliten auf die Worte und Taten Gottes. Wenn solche Glaubenszeugnisse sich jedoch nicht im individuellen Alltag bewahrheiten, verkommen sie zu einer Ideologie und werden nicht zu den eigenen, persönlichen Gebetsworten. All der Lobdank und auch der Lobpreis, der in den Psalmen erklingt, ist die bejahende Antwort auf die Aufforderung, die Psalm 118 umrahmt: "Dankt JHWH, denn er ist gut, denn seine Gnade währt ewig!". Glücklich zu preisen ist derjenige, der mit dem Beter von Psalm 30 Gott antworten kann: "Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt, mein Trauergewand hast du gelöst und mich umgürtet mit Freude, damit man dir Herrlichkeit singt und nicht verstummt. …"
Formen des Dankes
Psalm 30 gilt als ein Beispieltext für das sogenannte "Danklied eines Einzelnen". Anhand dieses Gebets verdeutlichen sich die fundamentalen Unterschiede zu dem, was man im Deutschen mit dem Satz "Ich danke Dir" ausdrückt. Der Beter des Psalms ist ein Geretteter, der als Erfahrungszeuge mit seinem Leben bestätigen kann, dass Gott gut ist. Seine Rettung hat nicht nur eine Bedeutung für den Beter, sondern auch für die Glaubensgemeinschaft. Die am Anfang des Psalms erklingende Selbstaufforderung zum Lob ist nicht der Beginn eines stillen Gebets, sondern eines Dankes, der in der Öffentlichkeit verkündigt wird. Nachdem der Beter an seine Not, seine Klage und Bitte sowie seine Rettung erinnert und davon erzählt hat, wendet er sich direkt an die Öffentlichkeit: "Singt und spielt JHWH, ihr seine Frommen, lobdankt im Gedenken seiner Heiligkeit! Denn sein Zorn dauert nur einen Augenblick, doch seine Güte ein Leben lang. Wenn man am Abend auch weint, am Morgen herrscht wieder Jubel." Der Dank ist zugleich ein Zeugnis dafür, dass sich die Heilsgeschichte im individuellen Leben bestätigt: Klage und Bitte können aus der Not hin zur Wende des Lebens führen. Aus der Perspektive der Rettung blickt der Beter zuerst in die Vergangenheit, um daraus dann die Zukunft zu gestalten. Der geglaubte Gott hat sich als der wahre Gott erwiesen – und die Dankbarkeit für diese Erkenntnis wird das Leben bestimmen: "JHWH, mein Gott, ich will dir lobdanken in Ewigkeit." Mit dieser Aussage gelangt der Beter gemäß der Lehre der Psalmen zu der Bestimmung des Menschen: Der Mensch ist dazu bestimmt im Leben Gott, den Schöpfer und Retter, zu loben: "Ich will den HERRN allezeit preisen; immer sei sein Lob in meinem Mund", steht in Psalm 34,2 und der Psalter endet mit der Aufforderung: "Alles, was atmet, lobe JHWH. Halleluja!"
Der Lobdank, der zum andauernden Lobpreis wird, ist gemäß den Psalmen die einzige adäquate Antwort auf das rettende Handeln Gottes. Schon in Psalm 116 fragt der Beter: "Wie kann ich JHWH vergelten alle seine Wohltaten an mir?" Die Antwort des Psalms auf diese Frage ist zum einen der öffentliche Lobdank und das in der Welt des Alten Testaments damit einhergehende Lobdankopfer am Jerusalemer Tempel. Der Beter hatte in der Situation der Not ein Gelübde abgelegt, das er nun nach der Rettung im Rahmen eines Gemeinschaftsopfermahles feierlich einlöst und dessen wesentliches Element ein Bekenntnis, eben der Lobdank im Angesicht Gottes und der Gemeinde der Gläubigen ist. Wo erklingt in den heutigen Gottesdiensten noch ein Lobdank als persönliches und öffentliches Glaubensbekenntnis?
Der Lobdank, der in den Psalmen erklingt, drängt in die Öffentlichkeit und ist Freude, Dank, Lob und Bekenntnis. So zu beten, bedeutet ein Zeugnis von der Freudenbotschaft der rettenden Macht Gottes geben zu können und sie weiterzuerzählen. Die Grundlage dafür ist ein Wunder, die Rettung aus der Not durch Gott. Glücklich zu preisen ist derjenige, der so beten kann.