Achterbahnfahrt an der Kirchenspitze
Die Belastungen des Spitzenamtes sind enorm, das erlebte Zollitsch bald nach seiner Wahl im Februar 2008: Nach innen muss er zwischen den Kirchenflügeln vermitteln, nach außen Position beziehen. Gleich zu Beginn der Amtszeit sorgen die von Papst Benedikt XVI. angestoßenen Gespräche mit der Piusbruderschaft für Wirbel. Die Ultrakonservativen greifen Zollitsch auch persönlich an.
Wie ein Hintergrundrauschen begleitet Zollitschs Amtszeit die Frage, wie die Kirche auf Priestermangel, sinkende Katholikenzahlen und rückläufigen Gottesdienstbesuch reagieren soll. Zollitsch wirbt dafür - und so packt er es auch in seinem Heimatbistum Freiburg an - alle in der Kirche Engagierten, also nicht nur Priester oder Hauptamtliche, stärker in die Verantwortung zu nehmen. Dennoch führt der Strukturwandel zu immer größeren Gemeinden. Und nicht wenige Katholiken fürchten, dass seelsorgerische Nähe und Anziehungskraft des Glaubens dadurch weiter abnehmen.
Rasche Verabschiedung kirchlicher Leitlinien
Anfang 2010 stürzt die Kirche dann mit dem Bekanntwerden von Missbrauchsfällen durch Priester und Ordensleute in eine schwere Vertrauenskrise. Unter Zollitschs Führung gelingt rasch die Verabschiedung kirchlicher Leitlinien zur Missbrauchsvorbeugung; Hilfen für die Opfer werden angeboten. Zugleich bleibt die bittere Erkenntnis, dass auch im kirchlichen Raum Kinder und Jugendliche Opfer wurden.
Die in Baden-Württemberg traditionell engen Kontakte zwischen Protestanten und Katholiken pflegt Zollitsch auch auf Bundesebene - im Dialog mit den EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber, Margot Käßmann und Nikolaus Schneider. Auch wenn bei ethischen Positionen - etwa bei Gentests an Embryonen - unterschiedliche Positionen zutage treten.
Im Bundestagswahlkampf warnt Zollitsch vor antieuropäischen Parolen und explizit vor der AfD. Europa als Projekt von Frieden und Solidarität liegt ihm am Herzen. Vielleicht auch deshalb, weil er stark durch die Kriegs- und Vertreibungserfahrungen der Jugend geprägt ist. Geboren 1938 in Filipovo im damaligen Jugoslawien, musste Zollitsch als Kind mit ansehen, wie Tito-Partisanen im November 1944 seinen Bruder und mehr als 200 Dorfbewohner ermordeten.
Mit seinen Eltern gelang ihm damals die Flucht in den Westen. Über Umwege kam er nach Mannheim und dachte über ein Studium der Literatur oder Geschichte nach. Es wurde dann doch Theologie. "Ich wollte anderen Menschen helfen, im Glauben ein sinnvolles Leben zu führen", sagte er rückblickend. Schnell steigt er zum Personalchef des zweitgrößten deutschen Bistums auf, bevor er 2003 dessen Erzbischof wird.
Papst-Besuch 2011 für Zollitsch ein "Jahrhundertereignis"
Als "Jahrhundertereignis" erlebt Zollitsch den Deutschlandbesuch von Benedikt XVI. im September 2011. Nach dessen Rücktritt bedauerte er, dass manche Anregungen des deutschen Papstes in der Heimat nicht klar genug verstanden worden seien. Bis zum letzten Tag seiner Amtszeit beschäftigten Zollitsch die Debatten um den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst. Hinter den Kulissen versuchte er, Wogen zu glätten und Lösungen vorzuspuren.
Als größtes binnenkirchliches Projekt seiner Amtszeit stieß Zollitsch - gegen Bedenken in den eigenen Reihen - einen bundesweiten Dialogprozess zur Zukunft von Glaube und Kirche an. Zuletzt zog er beim dritten Dialogtreffen eine Zwischenbilanz: Das Vertrauen in der Kirche sei gewachsen; Gesprächskultur und -klima hätten sich verbessert.
Der Papst aus Argentinien hat Hoffnungen auf Reformen und Veränderungen geweckt, auch in Deutschland. Ob die unter Zollitsch in Freiburg veröffentlichten Seelsorgerichtlinien zum Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen dem Willen des Papstes entsprechen, wird unter anderem die Weltbischofssynode in Rom im Oktober klären. An ihr wird vermutlich Zollitschs Nachfolger im Amt des Vorsitzenden teilnehmen.