Schönstatt-Gründer soll vor 60 Jahren in Milwaukee Jungen missbraucht haben

Ermittler legt Bericht über Missbrauchsvorwürfe gegen Kentenich vor

Veröffentlicht am 06.07.2022 um 10:14 Uhr – Lesedauer: 

Trier/Milwaukee ‐ Vor einem Jahr kündigte der Trierer Bischof Ackermann an, Missbrauchsvorwürfe eines damals minderjährigen US-Amerikaners gegen den Schönstatt-Gründer Joseph Kentenich erneut prüfen zu lassen. Nun liegt der Bericht in dem Fall vor.

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Missbrauchsvorwürfe gegen den Schönstatt-Gründer Joseph Kentenich aus seiner Zeit in Milwaukee (USA) können nach Ansicht des durch den Trierer Bischof Stephan Ackermann mit der Untersuchung beauftragten Anwalts nicht abschließend bewertet werden. In einer am Dienstag veröffentlichten Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse heißt es, dass aufgrund des Todes von Schlüsselzeugen keine Beweise erbracht werden konnten. Der Betroffene, der zum mutmaßlichen Tatzeitpunkt minderjährig war, hält dem Bericht zufolge "vehement" daran fest, dass er vor über 60 Jahren von Kentenich sexuell missbraucht worden sei.

Es gebe heute keine direkten Beweise aus der möglichen Tatzeit, die die Beschuldigung schlüssig unterstützen oder widerlegen, so der Bericht weiter. Kein Zeuge habe direkt ein unangemessenes Verhalten zwischen Kentenich und dem Betroffenen beobachtet. Der mit der Untersuchung beauftragte Anwalt Steven Biskupic, der zuvor als Staatsanwalt tätig war und von einem ehemaligen FBI-Agenten unterstützt wurde, habe weitere Indizien geprüft, von denen manche die Anschuldigungen stützen, andere gegen sie sprächen. Veröffentlicht wurde eine vierseitige Zusammenfassung des 47-seitigen Untersuchungsberichts. Für die Untersuchung habe Biskupic noch lebende Zeugen befragt, darunter der Betroffene, außerdem an der Untersuchung des Erzbistums Milwaukees beteiligte Mitarbeiter. Dabei standen ihm Akten der amerikanischen Erzdiözese zur Verfügung.

Ackermann hatte Biskupic im Herbst 2021 mit drei Fragestellungen beauftragt. So sollte die Untersuchung der Erzdiözese Milwaukee in den Jahren 1994 und 1995 überprüft werden, "um festzustellen, ob die damalige Untersuchung nach den heutigen Kriterien für solche Vorwürfe als ausreichend angesehen werden kann." Das Erzbistum hatte nach Abschluss der damaligen Untersuchungen keinen Anlass gesehen, den Vorgang weiter zu verfolgen. Außerdem sollten die Vorwürfe des Betroffenen erneut geprüft und in einem umfassenderen Kontext betrachtet werden. Schließlich sollten die Vorwürfe nach heutigen Kriterien eingeordnet werden, um dem Trierer Bischof eine Entscheidungsgrundlage zu geben.

Viele mögliche Zeugen bereits verstorben

Biskupic kommt zu dem Ergebnis, dass die diözesane Untersuchung in den 1990er-Jahren zwar über die damals notwendigen rechtlichen Anforderungen hinausging, nach den heutigen Kriterien aber nicht ausreichend gewesen sei. Insbesondere fehle eine Befragung des Umfelds von Kentenich. Mittlerweile sind viele der Personen, die Kenntnisse aus erster Hand haben könnten, verstorben. Daher sei es nicht möglich gewesen, eine umfassende Untersuchung nach den heutigen Standards durchzuführen. Da auf dieser Grundlage keine abschließende Bewertung der Vorwürfe möglich sei, empfiehlt der Ermittler, "anstelle von Beweiskraft die Anschuldigungen als einen Faktor in einer breiteren Untersuchung des Lebens von Pater Kentenich zu betrachten".

Bischof Stephan Ackermann steht in einem Kreuzgang in Trier
Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht (Archivbild)

Stephan Ackermann, Bischof von Trier.

Der Schönstatt-Gründer hielt sich auf Anweisung Roms in den Jahren 1952 bis 1965 von seinem Werk getrennt in Milwaukee auf. Dort lebte er in einem Haus der Pallottiner, der Gemeinschaft, der er ursprünglich angehörte. Ob seine Rückkehr nach Deutschland drei Jahre vor seinem Tod mit einer Rehabilitierung von den Vorwürfen verbunden waren, die im Zuge einer Visitation aufgeworfen wurden, wurde im Zuge des Offenbarwerdens der Vorwürfe in den vergangenen Jahren kontrovers diskutiert.

Das Bistum Trier hatte die Vorwürfe aus der Zeit in Milwaukee im März 2021 öffentlich gemacht und die mutmaßliche Tatzeit auf die Jahre 1958 bis 1962 eingegrenzt. Ackermann kündigte an, den Vorgang erneut zu untersuchen. Die Schönstatt-Bewegung wusste eigenen Angaben zufolge ab 1997 von den Vorwürfen, habe jedoch keine genaue Kenntnis des Vorgangs und der Akten gehabt und sei auch nicht befugt gewesen, sich über die Angelegenheiten in der Öffentlichkeit zu äußern.

Seligsprechung seit Mai ausgesetzt

Anfang Mai hatte Bischof Ackermann mitgeteilt, dass er ohne ein Urteil über Kentenich zu fällen den seit 1975 laufenden Seligsprechungsprozess aussetze. Er könne nicht einen Seligsprechungsprozess für eine Person fortführen, "gegen die Anschuldigungen vorliegen, die derzeit nicht sicher entkräftet werden können", so der Bischof damals gegenüber katholisch.de. Mittlerweile hat das Bistum auch das formale Dekret zur Aussetzung veröffentlicht. Die Kirchenhistorikerin Alexandra von Teuffenbach, die mit ihren Publikationen zu Archivfunden die Neubewertung von Leben und Werk Kentenich angestoßen hatte, kündigte im Interview an, selbst ein Buch zu Kentenichs Zeit im von seiner Gemeinschaft so genannten "Exil" in Milwaukee vorzubereiten.

Teuffenbach stützte ihre Veröffentlichungen neben Unterlagen der Visitation aus dem vatikanischen Archiv auf Dokumente aus dem Provinzialarchiv der Pallottiner. In einer Archivdokumentation konnte sie zeigen, dass die Vorwürfe bereits der ersten Historikerkommission des 1975 eröffneten Seligsprechungsverfahrens bekannt waren.

Das Generalpräsidium der Schönstattbewegung und die Marienschwestern hatten die Vorwürfe wiederholt zurückgewiesen, zeigten sich aber in ihren Mitteilungen stets offen für eine transparente Aufklärung. Schönstatt hoffe, "dass auf diesem Weg bezüglich Person, Leben und Werk ihres Gründers so bald wie möglich weitere Transparenz und Klarheit geschaffen werden kann", so die erste Erklärung zur ursprünglich geplanten Einrichtung der neuen Historikerkommission. Die Kentenich-Biographin Schwester Doria Schlickmann hatte in einem Interview auf der Webseite des Schönstatt-Werks unmittelbar nach den ersten Veröffentlichungen die Vorwürfe gegen Kentenich als "Missdeutungen und fälschliche[] Anklagen" bezeichnet. Der Postulator des Seligsprechungsverfahrens bezeichnete die Vorwürfe als "unseriös". Der Versuch der Marienschwestern, die Veröffentlichung von Teilen von Teuffenbachs Archivdokumentation mit einem Unterlassungsantrag zu verhindern, scheiterte vor Gericht. (fxn)