Geben ist seliger als nehmen: Teilen als christlicher Auftrag
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"Da fragten ihn die Scharen: Was sollen wir also tun? Er antwortete ihnen: Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso!" (Lk 3,10-11) Schon in der Bibel ist das Teilen materieller Güter ein wichtiger Auftrag an die Menschen. Immer wieder rufen Jesus und die Propheten dazu auf, eigenen Reichtum nicht für sich zu behalten, sondern aktiv auf eine gerechtere Verteilung hinzuwirken.
Gerade angesichts der derzeitigen Krisensituation in Deutschland und der Welt kommt dem Teilen auch heute wieder eine besondere Bedeutung zu. Das spürt beispielsweise die Katholische Hochschulgemeinde in Köln. Seit über drei Jahren hat sie einen fest installierten Schrank und Kühlschrank gut sichtbar im Eingangsbereich ihrer Räumlichkeiten aufgestellt. Dieser wird von einer Foodsharing-Plattform betrieben. Zu den Öffnungszeiten der KHG können dort Lebensmittel abgelegt und abgeholt werden. Im Internet und den sozialen Netzwerken wird dann immer wieder über den aktuellen Füllstand berichtet. So will die Hochschulgemeinde etwas gegen das Wegwerfen von Lebensmitteln tun – und für Bedürftige in der Gesellschaft.
"So stelle ich mir unseren Auftrag vor"
"Für uns ist das sehr passend, weil wir eine Plattform für karitatives, christliches Teilen sein können", sagt Martin Bartsch, Hochschulseelsorger im Mentoratszentrum der KHG. Er schätzt, dass Studierende nur rund ein Drittel der Menschen ausmachen, die das Angebot wahrnehmen. Die Menschen müssen sich dafür nicht anmelden, sondern können das Angebot anonym nutzen – auch um einer gewissen Schamgrenze zu begegnen. Gespräche mit den Nutzerinnen und Nutzern des Angebots oder den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, die Kühlschrank und Schrank reinigen, gebe es trotzdem immer wieder, sagt Bartsch. Für ihn ist das Foodsharing-Angebot in der KHG eine große Freude, wie er betont. "So stelle ich mir unseren Auftrag vor: Aus dem Geist der Fürsorge und der Achtung vor dem Leben handeln, ohne große Worte."
Grundsätzlich gehört die Diakonia, der Dienst am Nächsten und am Notleidenden zu den drei Grundvollzügen der Kirche und bildet damit eine wichtige Säule des christlichen Auftrags. Und Teilen findet nicht nur auf materieller, sondern auch auf persönlicher Ebene statt. Schon in der Weltgerichtsperikope im Matthäusevangelium nennt Jesus den Besuch kranker Menschen als Beispiel für das Bekenntnis zu ihm: "Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." (Mt 25,40)
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Dieser Form der tätigen Nächstenliebe sieht sich auch die Organisierte Nachbarschaftshilfe St. Michael im Stuttgarter Stadtbezirk Sillenbuch-Riedenberg verpflichtet. 1978 ist dort aus der üblichen Hilfe unter Nachbarn ein professionelles Unterstützungsangebot geworden, das bis heute fortbesteht. 28 Helferinnen und zwei Helfer unterstützen alte, kranke oder behinderte Menschen für eine geringe Aufwandsentschädigung bei alltäglichen Dingen. So begleiten sie Klientinnen und Klienten beispielsweise bei Arztbesuchen oder Behördengängen, gehen mit ihnen spazieren oder in den Gottesdienst, helfen im Haushalt oder entlasten Angehörige, um ihnen Ruhephasen im sonst belastenden Alltag zu ermöglichen.
Vor allem der persönliche Kontakt sei dabei wichtig, sagt Sylvia Wörner. Die ausgebildete Krankenschwester übernimmt die Einsatzleitung für die Nachbarschaftshilfe. "Ich finde es wichtig, den Menschen zu helfen und ich versuche deshalb immer, eine Lösung zu finden", sagt sie. Oftmals ist sie die erste Ansprechperson für die Menschen im Stadtbezirk. Genau wie bei ihr geht es auch bei den Helferinnen und Helfern darum, einfach zuzuhören und da zu sein. Aus diesen persönlichen Begegnungen entstünden oftmals sehr besondere Beziehungen zwischen den Helfenden, die meist selbst im Rentenalter sind, und den Klientinnen und Klienten. Einige würden inzwischen sogar gemeinsam Weihnachten feiern, erzählt Wörner. "Da geht mir das Herz auf, wenn ich daran denke."
Getragen wird die Initiative von der katholischen Kirchengemeinde St. Michael Stuttgart-Sillenbuch, der es nicht darum geht, die Kosten für die Nachbarschaftshilfe auch wieder zu erwirtschaften, sondern die Aufwandsentschädigungen für die Klientinnen und Klienten möglichst gering zu halten, damit diese für alle leistbar bleiben. Ein früherer Pfarrer habe die Nachbarschaftshilfe als "Geh-hin-Kirche" bezeichnet, sagt Wörner. Aus ihrer Sicht ein sehr passender Begriff, da die Kirche aktiv zu den Menschen komme und sich nicht hinter Kirchenmauern verstecke: "Wir verstehen Nachbarschaftshilfe als christlichen Dienst am Nächsten – unabhängig von Geschlecht, Alter, Religion oder Staatsangehörigkeit."
Schon der Prophet Jesaja führt Nahrung, Obdach und Kleidung als Grundbedürfnisse des Menschen an, auf deren Erfüllung zu achten ist. "Bedeutet es nicht, dem Hungrigen dein Brot zu brechen, obdachlose Arme ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deiner Verwandtschaft nicht zu entziehen?" (Jes 58,7) Wie existenziell diese Grundbedürfnisse auch heute noch sind, merken viele Menschen angesichts explodierender Preise gerade auf schmerzhafte Weise.
Auch die Verantwortlichen der Caritas Wärmestube am Franziskanerkloster in Halberstadt bekommen das derzeit vor Augen geführt: 70 bis 80 Menschen nutzen täglich die Angebote der Einrichtung. Kurz nach der Wende wurde die Wärmestube von Franziskaner-Patres gegründet und wird heute von der Caritas geführt. Bedürftige Menschen erhalten hier kostenlos eine warme Mahlzeit, sie können sich waschen, ihre Kleidung ausbessern lassen oder neue Kleidung in der Kleiderkammer erhalten. Zudem gibt es eine sogenannte "kalte Tasche" mit Lebensmitteln, die die Menschen mitnehmen können.
"Der christliche Auftrag, eine Herberge zu geben, bekommt hier ein Gesicht"
Die Nachfrage nach den Angeboten der Halberstädter Wärmestube nimmt derzeit immer weiter zu, sagt der Sprecher der Caritas im Bistum Magdeburg, Stefan Zowislo. Gleichzeitig nehme der Nachschub an Lebensmitteln ab, auch wenn es weiterhin gesicherte Lieferwege gebe. Mit der Wärmestube will die Caritas in Halberstadt aber nicht nur die Grundbedürfnisse der bedürftigen Menschen erfüllen. Seit dem Auszug der letzten Patres aus dem ehemaligen Franziskanerkloster gibt es gleich um die Ecke auch zahlreiche Beratungsangebote, etwa eine Schuldnerberatung aber auch Hilfestellungen bei Behördengängen, dem Ausfüllen von Anträgen oder die Unterstützung bei Reintegrationsbemühungen. Zowislo fasst das so zusammen: "Der christliche Auftrag, eine Herberge zu geben, bekommt hier ein Gesicht."
Diese Initiativen und Einrichtungen sind nur ein paar Beispiele dafür, wie Teilen und Nächstenliebe in der Kirche ganz praktisch gelebt wird, um Menschen auch in der wirtschaftlich aktuell schwierigen Situation zu unterstützen. Damit erfüllt sie auch durch die Menschen in den Gemeinden und Einrichtungen ihren ureigenen Auftrag: "In allem habe ich euch gezeigt, dass man sich auf diese Weise abmühen und sich der Schwachen annehmen soll, in Erinnerung an die Worte Jesu, des Herrn, der selbst gesagt hat: Geben ist seliger als nehmen." (Apg 20,35)
Themenwoche: Armutskrise in Deutschland: "Schau hin!"
Armut – fünf Buchstaben, die wohl jedem Angst machen und die in Zeiten von Energiekrise und allgemeiner Inflation bedrohlich an Bedeutung gewonnen haben. Die Preissteigerungen der vergangenen Monate treffen viele Menschen in Deutschland; die immer länger werdenden Schlangen vor den "Tafeln" sind ein alarmierendes Anzeichen dafür. Mit einer Themenwoche blickt katholisch.de vom 3. bis 9. Oktober in Artikeln und Videos aus christlicher Sicht auf das Thema.