Ordensfrau über Armut und Reichtum

Benediktinerin: "Im Kloster habe ich nichts und doch alles"

Veröffentlicht am 05.10.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Themenwoche

Fulda ‐ Angela Rumstadt ist vor 30 Jahren Benediktinerin geworden. Bei ihrem Eintritt ins Kloster durfte sie zwar einige Gegenstände mitnehmen, doch sie lernte schnell, darauf zu verzichten. Im katholisch.de-Interview spricht die Ordensfrau über Armut und Reichtum im Kloster und worauf sie bis heute nicht verzichten mag.

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Schwester Angela Rumstadt ist Benediktinerin in der Abtei zur Heiligen Maria in Fulda. Vor 30 Jahren hat sie ihre Gelübde auf Lebenszeit abgelegt. Sie hat Gehorsam, Stabilitas und klösterlichen Lebenswandel gelobt. Heute ist sie 56 Jahre alt und arbeitet im Klosterladen der Abtei. Im katholisch.de Interview erklärt die Benediktinerin was sie unter "Armut" versteht und worauf sie nicht verzichten möchte.

Frage: Schwester Angela, würden Sie sich als arm bezeichnen?

Schwester Angela: Auf keinen Fall! Ich habe alles im Kloster, was ich brauche. Ich bin versorgt mit dem Nötigsten, anders als viele Menschen, die große Not leiden. Ich bezeichne nichts als "mein eigen". Der Heilige Benedikt schreibt, dass wir uns an keine materiellen Dinge klammern sollen. Daher teilen wir uns im Kloster fast alles. Es heißt also "unsere" Schürze, "unser" Buch. Ich kann alles gebrauchen und nutzen: Ich habe sozusagen eine große Kirche, 2000 Quadratmeter Garten, zwei Autos, 78 Räume, einige Handys und noch einiges mehr.

Frage: Wieviel Geld haben Sie persönlich im Kloster zur Verfügung im Monat?

Schwester Angela: Bei uns ist es so, dass wir kein festes Taschengeld zur Verfügung haben. Wenn wir etwas benötigen, bekommen wir das entsprechende Geld. Oder die Schwester in der Verwaltung besorgt, was gebraucht wird.

Frage: Wenn Sie die Gegenstände in Ihrer Klosterzelle zählen, wie viele sind es?

Schwester Angela: In meiner Klosterzelle gibt es viel zu viele Dinge. Es ist ein ganz normales Zimmer. Da ist ein Regal mit Büchern und CDs, ein Schreibtisch, ein Telefon, eine Gebetsecke und ein schönes Bett. Ich will nicht an diesen Sachen hängen. Also wenn jemand von mir etwa ausleihen möchte, bekommt er es auch. Aber es fällt mir schwer, mein Gesangbuch herzugeben, denn da habe ich viele persönliche Anmerkungen eingetragen. Meine Flöte gebe ich auch ungerne aus der Hand. Aber wenn ich drauf verzichten müsste oder wir das als Gemeinschaft aus einer Not heraus verkaufen müssten, wäre ich dazu bereit.

Frage: Welche Gegenstände tragen Sie immer bei sich?

Schwester Angela: Ich habe immer Schlüssel und Handy bei mir. Den Schlüssel brauche ich, damit ich in die verschiedenen Bereiche des Klosters komme und das Handy, um für meine Mitschwestern erreichbar zu sein. Ich trage auch immer ein kleines Herz aus Olivenholz bei mir. Das ist ein persönliches Geschenk von meinem Bruder. Als ich vor 30 Jahren ins Kloster eingetreten bin, dachte ich, ich werde meine Familie nie mehr sehen. Heute ist das aber nicht mehr so. Unsere innere Zugehörigkeit zueinander ist seitdem sogar noch intensiver geworden, auch wenn wir uns nicht so oft sehen.

Bild: ©Abtei Fulda / Arnulf Müller

Schwester Angela Rumstadt im Habit und mit Schleier beim Chorgebet. Bis vor einem Jahr hat sie ihren Schleier noch getragen. Nun verzichtet ihr Konvent komplett darauf.

Frage: Sie tragen seit einem Jahr keinen Schleier mehr. Ist das auch ein Verzicht für Sie?

Schwester Angela: Für mich ist das Ablegen des Schleiers kein Verzicht, im Gegenteil: Es gibt mir in all den Tätigkeiten meines Alltags viel mehr Freiraum und Bewegungsfreiheit. Es befreit mich von Kopfschmerzen und Schwerhörigkeit und damit fällt auch die äußerliche Distanz im Kontakt mit Menschen weg. Es ist für unser Kloster ein Experiment, auf das wir uns eingelassen haben. Alle Schwestern haben den Schleier abgelegt. Mir tut das sehr gut.

Frage: Sie sagen, Sie haben den tollsten Arbeitsplatz der Welt. Was würden sie tun, wenn er Ihnen genommen würde?

Schwester Angela: Ich bin sicher, dass es dann einen anderen entsprechend schönen Arbeitsplatz im Kloster für mich gäbe. Übrigens ist das Singen für mich die schönste und schwierigste Aufgabe. In dieser Hinsicht habe ich mir schon sehr oft Gedanken gemacht, wie ich damit umgehen würde und könnte, wenn ich einmal nicht mehr singen könnte. Dafür habe ich aber noch keine Antwort gefunden.

Frage: Wie viele Gegenstände hatten Sie, bevor Sie ins Kloster eingetreten sind?

Schwester Angela: Ich hatte eine eigene Wohnung und ein Auto. Das habe ich alles verkauft und vieles verschenkt. Alles, was ich nicht unmittelbar auf meiner "Zelle" benötigt habe, hatte ich bei meinem Eintritt ins Kloster abgegeben. All das wurde in einem Zimmer aufbewahrt und war nicht mehr zugänglich für mich, es war erstmal weg. Das war mir aber egal. Damals zählte für mich nur der Gedanke: Ich will da leben, ich will Nonne werden. Ich bin einfach in das neue Leben hineingesprungen. Und dann habe ich gemerkt, dass ich alles, was ich besitze, auch lassen kann. Mit der Profess unterschreibt man auch, dass alle Güter in die Gemeinschaft übergehen und damit allen gehört. Ich hatte keinen Anspruch mehr darauf. Alles, was ich mitgebracht hatte, wurde zum Gemeingut. Ich habe nichts und doch alles. Wie so oft und Gott sei Dank, hat mir meine zuständige Novizenmeisterin damals aber erlaubt, dass ich zum Beispiel das Bett, dass ich mitgebracht hatte, in meine Zelle mitnehmen darf. Das Bett hat mein Vater selbst gebaut. Bis heute schlafe ich darin.

Bild: ©katholisch.de/Madeleine Spendier

Die Abteikirche der Benediktinerinnen in Fulda liegt mitten in der Stadt und umgeben von einem schönen Garten.

Frage: Was war der bislang schwerste Verlust in Ihrem Leben?

Schwester Angela: Der Tod meines Vaters und 20 Jahre später der Tod meiner Mutter

Frage: Sie verzichten auf Familie und eigene Kinder. War das schwer für Sie?

Schwester Angela: Ja, das ist ein sehr großer Verzicht für mich. Ich habe mich anfangs viel damit auseinandergesetzt. Früher hatte ich viel mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet. Das war so ein Reichtum, den ich lassen musste. Das habe ich im Kloster unendlich vermisst. Anfangs wollte ich auch wieder austreten, weil ich Ehe und Partnerschaft vermisst habe und weil ich dachte, ich will Kinder haben. Aber ich spürte dann, dass der Wunsch zu bleiben, stärker war und ich bewusst verzichten konnte. Heute weiß ich, dass mein Weg richtig war. Seitdem ist Frieden in mir. Dafür genieße ich es umso intensiver, wenn mich meine Nichten und Neffen im Kloster besuchen oder wir Schulgruppen hier haben.

Frage: Wenn Sie eine Sache oder eine Person zurückhaben könnten, wer oder was wäre das?

Schwester Angela: Alles, was ich verloren habe, habe ich anders wiedergefunden.

Frage: Was haben Sie dazugewonnen, durch den Verzicht beim Eintritt ins Kloster?

Schwester Angela: Wenn es wirklich Verzicht um eines Größeren willen war, dann war der Gewinn immer die größere Freiheit, die leeren Hände, die das je Schönere fassen und aufnehmen konnten. Die Hingabe und das Freisein für den Gesang, das Gotteslob, das Gebet. Vielleicht vor allem: Unendlich viele Möglichkeiten, Gott, den Menschen und mir zu begegnen. Meine alte Liebe zur Musik neu zu erfahren.

Frage: Würden Sie sich als reich bezeichnen?

Schwester Angela: Unbedingt!

Bild: ©Abtei Fulda / Arnulf Müller

Der Kapitelsaal der Benediktinerinnen in Fulda. Hier finden wichtige Zusammenkünfte und Besprechungen, Abstimmungen und Wahlen statt wie die Wahl der Äbtissin oder die Einkleidung einer Novizin.

Frage: Was empfehlen Sie Menschen, die darunter leiden, dass Sie weniger haben oder verzichten sollen?

Schwester Angela: Das kann ich so pauschal nicht beantworten. Da müsste ich denjenigen oder diejenigen Menschen vor mir sehen und die jeweiligen Hintergründe und Umstände sehen. Ich helfe jemanden in bitterer Armut nicht, wenn ich ihm einen Satz aus dem Evangelium präsentiere und sage: "Selig, die arm sind vor Gott." Ich habe so vieles geschenkt bekommen, was wohl außerhalb meines klösterlichen Lebens nicht möglich gewesen wäre, davon bin ich überzeugt.

Frage: Welche Worte über Armut vom Heiligen Benedikt sind Ihnen wichtig?

Schwester Angela: Das ist ja das Faszinierende, dass Benedikt in seiner Ordensregel gar nicht von Armut spricht. Auch wenn im Mönchtum allgemein die radikale Armut als Ideal gilt, so gibt es bei Benedikt kein Kapitel darüber. Im 33. Kapitel schreibt er: "Der Mönch soll nichts haben, was er sich selbst genommen hat, und alles haben, was ihm zugeteilt wird." Das gefällt mir an Benedikts Idee so gut, dass der Abt, der  ja Christus im Kloster vertritt, sorgt, und dass der Mönch sich darauf verlassen darf, dass ein anderer sorgt, und er sich nicht selbst alles raffen und nehmen muss.

Frage: Gibt es auch Worte vom Heiligen Benedikt über Reichtum?

Schwester Angela: Im Kapitel über die Gäste, und wie man sie aufnehmen soll, schreibt Benedikt, dass man sich vor allem den Armen und Pilgern zuwenden soll und ihnen besonderen Eifer schenken soll. Denn in ihnen empfängt man Christus selbst. Das Auftreten der Reichen dagegen verschaffe sich ja von selbst Beachtung. Mit eine der schönsten Stellen ist für mich aber in seinem Prolog zur Regel, wo es heißt: "Wer aber im klösterlichen Leben und im Glauben fortschreitet, dem wird das Herz weit, und er läuft in unsagbarem Glück der Liebe den Weg der Gebote Gottes!" Das ist doch der größte Reichtum, den man haben kann: mit einem weiten Herzen im unsagbaren Glück der Liebe unterwegs zu sein.

Frage: Worauf könnten Sie niemals verzichten?

Schwester Angela: Ich brauche das Du im Gegenüber, also im Menschen und in Gott. Und ich brauche das Gefühl und manchmal auch das Wissen, geliebt zu sein. Und wenn ich mich als arm bezeichnen würde, dann als arm, weil ich oft noch viel zu wenig Vertrauen in Gottes Liebe und Sorge für mich habe.

Von Madeleine Spendier

Themenwoche: Armutskrise in Deutschland: "Schau hin!"

Armut – fünf Buchstaben, die wohl jedem Angst machen und die in Zeiten von Energiekrise und allgemeiner Inflation bedrohlich an Bedeutung gewonnen haben. Die Preissteigerungen der vergangenen Monate treffen viele Menschen in Deutschland; die immer länger werdenden Schlangen vor den "Tafeln" sind ein alarmierendes Anzeichen dafür. Mit einer Themenwoche blickt katholisch.de vom 3. bis 9. Oktober in Artikeln und Videos aus christlicher Sicht auf das Thema.