Standpunkt

Warum ich gerne ein kritisch-loyaler Katholik bin

Veröffentlicht am 09.11.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
"Ich bin Kirche, weil..."

Bonn ‐ Trotz menschlicher Schwächen und Abgründe findet Andreas Püttmann in der Kirche immer wieder Schimmer vom "Licht der Welt". In seinem Kommentar schreibt er, warum er kaum anders kann, als in der Kirche zu bleiben.

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Entgegen anderer "Standpunkt"-Pläne schließe ich mich heute gern der Aktion "Ich bin Kirche weil" an. Obwohl die bittersten Enttäuschungen meines Lebens mir Paradechristen zufügten. Obwohl ich alle Laster, denen man außerhalb der Kirche begegnet, auch in ihrem "inner circle" fand, manche sogar häufiger. Obwohl historische Irrtümer wie die Bekämpfung der Menschenrechte den katholischen Wahrheitsanspruch ebenso erschüttern wie die wissenschaftlich ignorante Diskriminierung von LGBTQ-Personen bis in die Gegenwart. Der Missbrauch Minderjähriger durch rund 5 Prozent der Priester in Deutschland empört, auch wenn ich die 19 Unbescholtenen von 20 im Blick behalte und christianophoben Trittbrettfahrern des Skandals entgegentrete.

Böses und Dummes in der Kirche zerstörten meine Loyalität bisher nicht. Gewiss auch, weil ich als Kind gleichsam wie Obelix in den Zaubertrank fiel und kaum anders kann, als aus kirchlichen Vollzügen des Glaubens Kraft, Trost und Zuversicht zu schöpfen. Gottesdienste erlebe ich, wie das Grundgesetz sagt, als Zeiten "seelischer Erhebung". Gute Erfahrungen mit Frauen und Männern Gottes, die meinen Lebensweg säumen, erfüllen mich mit Dankbarkeit. Kirche bietet Kristallisationspunkte des Idealismus. Ihre Kernbotschaft hält an zu Empathie, Demut und Gelassenheit, aber auch zu Anstrengung, kritischem Geist und Tapferkeit. Sie ist ein Kulturspeicher und pflegt Humanitätsressourcen – unverzichtbar gerade jetzt, wo Verrohung, Ängste und Radikalisierung um sich greifen. Dass kirchennahe Christen weniger extremistisch wählen, spricht für einen guten Einfluss von Kirchenbindung. Deutsche Bischöfe und Laienverbände waren hier fast durchweg klar in der Unterscheidung der Geister. Soziologische Studien weisen die Kirchen als "Motoren" sozialen Vertrauens und Engagements aus, die auch international verbinden und uns sprechfähig gegenüber anderen Religionen machen.

Eine Weltkirche ist wie ein großer Tanker, der Kurskorrekturen nur langsam vollzieht und kulturelle Ungleichzeitigkeit auf dem Globus beachten muss. Das sehe ich nach, solange Lern- und Reformfähigkeit sich in der Kirche bemerkbar machen. Gegen den sexuellen Missbrauch wurde schon mehr unternommen als oberflächliche Beobachter sehen (wollen). In den Fokus aller Reform gehört der verletzliche Mensch als "Ebenbild Gottes" sowie das Risiko von Machtmissbrauch. Dafür setze ich mich gern weiter als kritisch-loyaler Katholik ein. Mein Verständnis für Freunde, die austraten, ist zwar gewachsen, aber ich selbst spüre die Kirche noch als Heimat, als Lebensraum meines Glaubens und Hoffens, als Bildungsinstanz für mein Gewissen. Ich finde in ihr, trotz menschlicher Schwächen und Abgründe, immer wieder Jesus Christus und das Vorbild der Heiligen, kurzum: einen Schimmer vom "Licht der Welt".

Von Andreas Püttmann

Der Autor

Andreas Püttmann ist Politikwissenschaftler und freier Publizist in Bonn.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.