Benedikt-Berater Mückl weist neue Vorwürfe gegen Ratzinger zurück
Nach Ansicht des Staatskirchenrechtlers Stefan Mückl beweist die Unterschrift von Joseph Ratzinger auf einem Dokument im Fall des Priesters H. nicht, dass der damalige Glaubenspräfekt von dessen Missbrauchstaten wusste. In einem Interview mit der Zeitung "Die Tagespost" begründete Mückl am Mittwoch seine Einschätzung mit der Verwaltungspraxis im Vatikan. Es sei zwar richtig, dass der in der Glaubenskongregation mit der Sache befasste Sachbearbeiter die Vorgeschichte von Priester H. kannte. Das Erzbistum München und Freising hatte im Vatikan für H. die Erlaubnis beantragt, aufgrund dessen Alkoholismus und wegen seiner im alkoholisierten Zustand verübten Taten die Eucharistie mit Traubensaft zu feiern. In der abschließenden Antwort des Präfekten sei diese aber nicht erwähnt worden. "Man muss dabei die kuriale Verwaltungspraxis kennen: Jedes Schriftstück eines Dikasteriums wird, unabhängig von der Bedeutung des Inhalts, vom Präfekten oder, wenn dieser verhindert ist, vom Sekretär unterschrieben. Anders als etwa bei den staatlichen Ministerien in Deutschland unterschreibt nicht der sachbearbeitende (und aktenkundige) Beamte 'in Vertretung'", so Mückl, der zum Beraterkreis des emeritierten Papstes im Umgang mit dem Münchner Gutachten gehörte.
Praktisch müsse man sich das so vorstellen, "dass dem Präfekten regelmäßig eine mehr oder weniger umfangreiche Unterschriftenmappe vorgelegt wird, die allein die verfahrensabschließenden Schriftstücke enthält, nicht aber den dazu gehörenden Aktenstoff", so Mückl weiter. Daher sei der Schluss von der Unterschrift unter ein Schriftstück auf nähere Kenntnis der Hintergründe "mindestens gewagt". Der Jurist, der im Zusammenhang mit dem Münchner Gutachten für Benedikt XVI. die Akten einsehen konnte, bestätigte wie zuvor schon das Erzbistum München und Freising, dass es den Schriftwechsel gebe, über den der Bayerische Rundfunk und das Recherchezentrum "Correctiv" berichtet hatten. "Auch ich hatte ihn im Rahmen der Akteneinsicht für Papst Benedikt gesehen", so Mückl. Der Vorgang wird auch im Gutachten selbst knapp erwähnt: "Auf entsprechenden Antrag der Erzdiözese München und Freising erhielt Priester X. von der zuständigen Behörde in Rom im Oktober 1986 die Erlaubnis, mit Traubensaft zu zelebrieren", heißt es im Sonderband zum Fall X, wie der Fall im Münchner Gutachten heißt.
Der Fall des Essener Diözesanpriesters H. ist einer der schwerwiegendsten Fälle, die im Anfang 2022 vorgestellten Münchner Missbrauchsgutachten dargestellt wurden. Er wurde in den 1980er Jahren in Garching in der Seelsorge eingesetzt, obwohl es zuvor schon in seinem Heimatbistum Vorwürfe gegen ihn gegeben hatte und trotz einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs in seiner Zeit als Geistlicher in Grafing bei München. Auch im jüngst vorgestellten Essener Gutachten wird der Fall auf Grundlage der Akten des Ruhrbistums noch einmal dargestellt. Die Rolle und der Kenntnisstand des damaligen Erzbischofs Ratzinger wurden im Kontext des Münchner Gutachtens kontrovers diskutiert. Im Nachgang zur Veröffentlichung des Gutachtens musste sich Benedikt XVI. hinsichtlich einer Aussage gegenüber den Gutachtern korrigieren und einräumen, dass er an der Ordinariatssitzung im Februar 1980 teilgenommen hatte, in der über H. gesprochen wurde. Der Fehler sei aber "nicht aus böser Absicht heraus geschehen", sondern "Folge eines Versehens bei der redaktionellen Bearbeitung seiner Stellungnahme". Dies tue ihm "sehr leid", und er bitte, dies zu entschuldigen, ließ der emeritierte Papst Ende Januar 2022 mitteilen. Im vergangenen Oktober bestätigte das Erzbistum München und Freising Presseberichte, dass auch ein weiterer mutmaßlicher Missbrauchstäter in Garching eingesetzt worden war. Mückl übte im vergangenen Jahr bereits scharfe Kritik am Vorgehen der Gutachter, die mit ihrem Vorgehen die Unschuldsvermutung umkehren würden. (fxn)