Der Antimodernismus braucht kein Update
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Einem Wiedergänger gleich greift überwundenes Gedanken"gut" um sich. Die offene Ablehnung der errungenen Fundamente von Rechtsstaatlichkeit, tolerabler Meinungsfreiheit und eines informiert seriösen Diskurses werden hoffähig. Die Brandmauer gegen Rechts bekommt Risse. Der Gang durch die exekutiven Instanzen mag in unserem Breiten noch lange nicht das höchste Staatsamt erreichen, das Symbolbauten der liberalen Humanität zum Sturm freigäbe. Doch wird der Rechtsdruck immer deutlicher sichtbar: Das individuelle Recht auf Asyl wird zum Spielball um die Gunst von Wähler:innenstimmen, der starke Staat prägt die Grenzen Europas und die religiöse Rechte im gelobten Land gelobt nicht eher zu ruhen, bis die "Ihrigen" unter Weinstock und Feigenbaum ausruhen. Evangelikale Prediger:innen ohne Theologiestudium (aber mit viel Geistgewissheit) verbünden sich mit hohen Klerikern (ohne Arbeit) und russlandaffinen Vorkämpfer:innen (nicht in Putin-Land) im Namen des Lebensschutzes gegen eine "familienzerstörende Agenda": Querdenken auf christlich und katholisch!
Alternative Fakten hatten schon einmal Konjunktur: Der Antimodernismus erreichte unter Pius X. (1903–1914) seinen Höhepunkt. Basierend auf einer Verschwörungserzählung, wonach alle Errungenschaften der Moderne die Zerstörung der gottgegebenen Ordnung beförderten, musste es zum Schwur kommen – der Antimodernisteneid (bis 1967 in Geltung!). Damals wie heute: Der Endzeitkampf tobt gegen eine "Weltverschwörung des deep state", die "Gender-Ideologie" (nebst Sternchen), die "deutsch-synodal-elitär-akademische Zerstörung des Katholischen", die "Islamisierung Europas" oder die Überfremdung des Schrebergartens. O tempora, o mores!
Zudem herrscht grassierende Panik in den Ordinariatsetagen. Der erneute – wenig überraschende – Massenexodus der (mehrheitlich moderaten und liberal-aufgeklärten) Katholik:innen verlangt nach Antworten. Möge die Brandmauer nach Rechtskatholisch nicht in Frage gestellt werden! Die selbsternannten "Heiligen der letzten katholischen Tage" können die verquere Katakombenexistenz fast nicht erwarten. Die Stimme der (katholischen) Christ:innen sollte sich deswegen mit brennender Sorge und steigendem Befremden am hellen Licht des Tages in unserer und für unsere Gesellschaft erheben: Radikales Sektierertum, totalitäre Regime, menschen- und damit gottverachtender Ungeist sind keine Option!
Der Autor
Oliver Wintzek ist Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Katholischen Hochschule in Mainz. Zugleich ist er als Kooperator an der Jesuitenkirche in Mannheim tätig.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.