Der CDU-Politiker über die Ampel, das "C", Friedrich Merz und die Kirche

Amthor: Die Abschaffung des "C" stand zu keinem Zeitpunkt im Raum

Veröffentlicht am 12.10.2023 um 00:01 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 

Berlin ‐ Zur Hälfte der Legislaturperiode zieht CDU-Politiker Philipp Amthor im katholisch.de-Interview eine Zwischenbilanz der Politik der Ampel bei ethischen und kirchenpolitischen Themen. Außerdem äußert er sich zur Debatte um das "C", zu den Aussagen von Parteichef Merz über Migranten und zur Lage der Kirche.

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Philipp Amthor ist einer der auffälligsten Köpfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und neben der Fraktionsspitze um Parteichef Friedrich Merz einer der Wortführer der Union im Parlament. Im Interview mit katholisch.de spricht Amthor zur Hälfte der aktuellen Legislaturperiode über die Zwischenbilanz der Ampelregierung bei ethischen und kirchenpolitischen Fragen, den Wert und die Zukunft des "C" im Parteinamen sowie die jüngsten, kontrovers diskutierten Äußerungen seines Parteichefs über Migranten. Außerdem äußert sich der 30-Jährige, der sich 2019 hat taufen lassen, über die aktuelle Lage der katholischen Kirche und die Missbrauchsaufarbeitung.

Frage: Herr Amthor, wenn man Kirchenvertreter nach ihrer Meinung zur Ampelregierung fragt, hört man in der Regel recht wertschätzende Töne. Man sei sich zwar nicht in allem, aber doch in vielem einig und stehe in gutem Kontakt, heißt es dann. Viele Beobachter sehen das jedoch anders. Wie nehmen Sie die Situation wahr?

Amthor: Zunächst: Ich habe Verständnis dafür, dass Kirchenvertreter nicht nur kritisch, sondern auch wertschätzend über die Ampelregierung sprechen, weil ja auch die Kirchen mit den derzeitigen politischen Mehrheitsverhältnissen umgehen müssen. Und um gegenüber der Regierung kirchenpolitische Erfolge zu erzielen, ist ein konstruktiver Umgangston sicher hilfreich. Gleichwohl nehme ich atmosphärisch sehr stark wahr, dass das Sensorium der Ampel-Regierung für die gesellschaftliche und politische Relevanz von Religion und Kirche äußerst schwach ausgeprägt ist. Sinnbildlich für diesen Missstand denke ich etwa an die Kreuz-Entfernung im Friedenssaal von Münster vor dem G7-Außenministertreffen oder an die absurde Kritik führender Ampelpolitiker an einem Bibelspruch auf dem Berliner Stadtschloss. Insgesamt scheinen Religion und Kirche für diese Regierung keine Herzenssache zu sein – und so macht sie auch Politik.

Frage: Das positive Urteil über die Ampel aus den Kirchen überrascht auch deshalb, weil vor allem die katholische Kirche in der ersten Hälfte der Legislaturperiode einige Kröten schlucken musste – allen voran die Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen. Inzwischen blickt man in der Kirche mit Sorge auf die Diskussion um Paragraf 218, der zumindest in Teilen der Koalition zur Disposition steht. Berlins Erzbischof Heiner Koch sagte jüngst: "Die Streichung von Paragraf 218 wäre ein dramatischer Angriff auf den Schutz ungeborener Kinder." Wie blicken Sie auf die Thematik?

Amthor: Erzbischof Koch hat mir aus dem Herzen gesprochen und ich bin ihm für seine klaren Worte sehr dankbar. Wir müssen uns unbedingt klar machen, dass es bei der Diskussion um Paragraf 218 StGB aber auch nicht nur um eine für uns Christen sehr relevante Frage geht, sondern um wichtige Grundpfeiler unserer Verfassungsrechtsordnung. Unser Grundgesetz ist von dem klaren Verständnis getragen, dass das menschliche Leben und seine Würde eben nicht erst mit der Geburt beginnen und dass der Staat am Anfang und am Ende des Lebens eine besondere Verantwortung für den Lebensschutz zu tragen hat. In diesem Zusammenhang ist es aus meiner Sicht eine christliche und verfassungsrechtliche Notwendigkeit, dass sich starke Stimmen aus der Gesellschaft und den Kirchen für das ungeborene Leben einsetzen.

Frage: Die Kritiker von Paragraf 218 argumentieren vor allem mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frau. Wie bewerten Sie das?

Amthor: Natürlich schützt unsere Verfassung auch das notwendige Selbstbestimmungsrecht von schwangeren Frauen. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht immer wieder betont, aber dabei zugleich auch deutlich gemacht, dass die Rechte schwangerer Frauen natürlich nicht absolut stehen, sondern immer mit entgegenstehenden Rechtsgütern abgewogen werden müssen. In einer lebensbejahenden Verfassung wie dem Grundgesetz kommt dem Lebensrecht ungeborener Kinder dabei ein Höchstrang zu, der eine Abtreibung eben nicht nur zu einer Frage der Selbstbestimmung von Frauen macht, sondern sie als Fremdbestimmung über das ungeborene Leben versteht. Diese Grundentscheidung der Mütter und Väter des Grundgesetzes war und ist richtig.

Frage: Bundesfamilienministerin Lisa Paus setzt sich dafür ein, Schwangerschaftsabbrüche künftig außerhalb des Strafrechts zu regeln; seit März soll eine Kommission entsprechende Möglichkeiten prüfen. Ist es denkbar, dass die Union diesen Weg mitgeht?

Amthor: Den Reformideen von Frau Paus ist die Verfassungswidrigkeit aus meiner Sicht geradezu auf die Stirn geschrieben. Das Bundesverfassungsgericht hat klar entschieden, dass es in unserer Rechtsordnung ein funktionierendes Schutzkonzept für das ungeborene Leben braucht, das aus meiner Sicht zwingend im Strafrecht verankert bleiben muss. Der von der Familienministerin und von anderen Vertretern linker Parteien angezettelte Kulturkampf gegen die bestehenden Regelungen des Lebensschutzes macht mir große Sorgen. Ich habe es immer als großes Privileg empfunden, dass wir in Deutschland durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und durch die gefundenen politischen Kompromisse bei der gesetzlichen Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen eigentlich einen gesellschaftlichen Konsens hatten. Dieser Konsens wird durch die Politik der Ampel nun massiv bedroht, was ich für hochgefährlich halte. Etwa am Beispiel der USA lässt sich sehr gut erkennen, welche schlimmen gesellschaftlichen Verwerfungen ein politisches Aufschnüren von gefundenen Kompromissen in Fragen des Schwangerschaftsabbruchs bewirken kann.

„Wenn noch mehr Jahre tatenlos verstreichen, fürchte ich, dass der Appetit linker Parteien auf eine kirchenunfreundlichere Lösung wachsen wird.“

—  Zitat: Philipp Amthor zur Frage der Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen

Frage: Ruhiger geworden ist es zuletzt um das Thema Staatsleistungen. Die Koalition ist mit dem Ziel angetreten, diese Leistungen abzulösen. Die Bundesländer, die die wohl in die Milliarden gehende Ablösung am Ende bezahlen müssten, sind jedoch skeptisch bis ablehnend. Wie wird es mit diesem Vorhaben weitergehen?

Amthor: Es ist im Leben immer schwierig, die Rechnung ohne den Wirt zu machen. Das gilt in besonderer Weise auch für die Frage der Ablösung der Staatsleistungen. Denn hier muss der Bund quasi ein Gesetz zu Lasten Dritter auf den Weg bringen – nämlich zu finanziellen Lasten der Bundesländer. Umso wichtiger wäre es, dass sich die Bundesregierung eng mit den Ländern abstimmt. Dieser Dialog findet derzeit aber nur unzureichend statt. Insofern sehe ich nicht, dass wir bei diesem Thema bald substanzielle Fortschritte erleben werden. Aber das passt ja durchaus in das Gesamtbild dieser Bundesregierung.

Frage: Nun steht die Ablösung der Staatsleistungen aber bereits seit mehr als 100 Jahren als Auftrag in der Verfassung. Das kann doch nicht auf Dauer ignoriert werden, oder?

Amthor: In der Tat kann niemand damit zufrieden sein, dass es für diesen unerfüllten Auftrag aus der Weimarer Reichsverfassung bis heute noch keine Lösung gibt. Und auf eine Problemlösung durch bloßes Aufschieben braucht auch niemand zu hoffen. Ganz im Gegenteil: Wenn noch mehr Jahre tatenlos verstreichen, fürchte ich, dass der Appetit linker Parteien auf eine kirchenunfreundlichere Lösung wachsen wird. Schon allein insoweit wäre es gut, wenn es bald zu einer Lösung käme. Allerdings kann das nicht mit der Brechstange funktionieren.

Frage: Wie könnte denn Ihrer Ansicht nach eine gute Lösung aussehen?

Amthor: Eine gute Lösung kann nur gemeinsam mit den Bundesländern und mit den Kirchen gefunden werden. Vor einer einseitigen Brachiallösung durch den Bund auf Kosten der übrigen Beteiligten kann ich die Ampel nur warnen. Sie sollte auf einen möglichst schonenden Übergang setzen. Andernfalls wären jahrelange Rechtsstreitigkeiten vorprogrammiert. Jenseits der klassischen Modelle einer Ablösungszahlung hat übrigens der renommierte Staatskirchenrechtsprofessor Michael Germann für die Konrad-Adenauer-Stiftung einen bedenkenswerten Vorschlag erarbeitet. So könnten die Staatsleistungen etwa auch dadurch abgelöst werden, dass die Ablösungsschuld in die Staatsschuldenverwaltung integriert wird, wodurch etwa eine Umschuldung in fest oder dynamisch verzinste, handelbare Staatsanleihen mit passend gestaffelten Laufzeiten möglich wäre, die an die Kirchen als Gläubiger übertragen werden könnten. Ein durchaus kompliziertes Thema, aber es braucht eine Lösung.

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Bild: ©picture alliance/Daniel Kalker

Seit längerer Zeit diskutiert die CDU nun bereits über die Bedeutung des "C" für die Partei.

Frage: Blicken wir mal auf Ihre Partei. Seit Jahren gibt es immer wieder Diskussionen um das "C" im Parteinamen. Mal ganz persönlich gefragt: Was bedeutet das "C" für Sie?

Amthor: Zunächst einmal hat das "C" aus meiner Sicht keinerlei ausschließende, sondern eine unglaublich einladende Wirkung – auch gegenüber Nichtchristen.

Frage: Das sieht Andreas Rödder, der bis vor Kurzem die Grundwertekommission Ihrer Partei geleitet hat, aber anders. Nach der verlorenen Bundestagswahl 2021 hat er in einer Wahlanalyse erklärt, dass das "C" eine Barriere für Nichtchristen sein könne und es deshalb "gute Gründe für eine Flurbereinigung in der Namensfrage" gebe ...

Amthor: Moment! Andreas Rödder, den ich persönlich sehr schätze, ist sicher nicht der Kronzeuge für die Notwendigkeit der Abschaffung des "C". Das hat er nie gefordert, auch wenn ihm das fälschlicherweise immer wieder unterstellt wird. Die von ihm angestoßene Debatte hat im Rahmen des Entstehungsprozesses unseres neuen Grundsatzprogramms stattdessen zu einer klaren Selbstvergewisserung geführt, dass das "C" für uns nicht nur ein historischer Bestandteil des Parteinamens, sondern auch und gerade in der Gegenwart ein unentbehrlicher inhaltlicher Wert ist. Eine ernstliche Abschaffung des "C" stand dabei aber zu keinem Zeitpunkt im Raum – auch nicht für Andreas Rödder.

Frage: Gut, dann noch einmal gefragt: Was bedeutet das "C" für Sie?

Amthor: Neben seinem einladenden Charakter verbinde ich mit dem "C" vor allem das christliche Menschenbild, das für die Politik ja ganz konkrete Ableitungen bereithält – für die Würde des Menschen und in der Begrenzung von Macht, da der Staat und die Menschen generell immer nur die vorletzten Antworten geben können. Dieses Menschenbild führt zu Leitfragen: Was bedeutet für uns Verantwortung? Wie organisieren wir unseren Sozialstaat? Und vor allem – wir sprachen bereits darüber – wie schützen wir den Wert des menschlichen Lebens an dessen Beginn und Ende? Diese und weitere Fragen werden übrigens – ohne aus dem Nähkästchen zu plaudern – auch das neuen CDU-Grundsatzprogramm durchdringen, das wir im kommenden Jahr verabschieden werden.

Frage: Sie betonen die Bedeutung des "C". Mit Blick auf Ihre Partei hat man gleichwohl den Eindruck, dass die Relevanz dieses Buchstabens abnimmt. Unter anderem fällt auf, dass führende Vertreter die CDU inzwischen häufig als "bürgerlich" und seltener als "christlich" bezeichnen. Kritiker wie der Publizist Andreas Püttmann halten das für einen Fehler, weil das Adjektiv "bürgerlich" weniger inhaltliche Substanz habe und als soziales Unterscheidungsmerkmal zur Abgrenzung nach unten dienen könne. Was sagen Sie dazu?

Amthor: Das sehe ich ganz anders. Zunächst: In unserer CDU-Grundwertecharta verdrängt der Begriff der Bürgerlichkeit die drei traditionellen Wurzeln der CDU – christlich-sozial, liberal und konservativ – nicht, sondern ergänzt diese lediglich. Und in der Substanz des Begriffs geht es uns bei Bürgerlichkeit übrigens nicht um eine soziale Abgrenzung von privilegierten Menschen "nach unten", die historisch ohnehin seit dem Konstitutionalismus überkommen ist, sondern um eine selbstbewusste Abgrenzung aufgeklärter Bürger "nach oben" – quasi im Sinne einer bürgerlichen Selbstbehauptung gegenüber einem bevormundenden Obrigkeitsstaat. Ich halte das gerade in einer Zeit für wichtig, in der insbesondere grüne Ideologen glauben, dass der Staat bis in die Privatsphäre der Menschen hinein alles regeln sollte.

„Ich habe nicht den Eindruck, dass die Worte von Friedrich Merz zur Spaltung der Gesellschaft beitragen, sondern dass sich eine solche Gefahr vor allem aus dem fortgesetzten Kleinreden von Problemen durch die Ampelkoalition und durch Teile der Medien ergibt.“

—  Zitat: Philipp Amthor zur Diskussion um die Zahnarzt-Aussage von CDU-Chef Merz

Frage: Sie haben das christliche Menschenbild als Stichwort genannt und auch dessen Bedeutung betont. Wie passen dazu die wiederholten verbalen Ausfälle Ihres Parteivorsitzenden Friedrich Merz gegenüber Migranten? Zuletzt sprach er polemisch-abwertend über abgelehnte Asylbewerber, die angeblich alle beim Zahnarzt sitzen, sich die Zähne neu machen lassen und den Deutschen die Termine wegnehmen.

Amthor: Mich hat die jüngste Diskussion und die Schärfe der Kritik an Friedrich Merz schon sehr verwundert. Wenn ausgerechnet Ampelvertreter wie Nancy Faeser, die bei der Bewältigung zentraler politischer Herausforderungen offensichtlich überfordert sind, jetzt Haltungsnoten an den Oppositionsführer verteilen wollen, kann man doch nur noch den Kopf schütteln. Friedrich Merz hat in pointierten Worten auf ein Problem hingewiesen, das auch Joachim Gauck vor vielen Jahren schon zutreffend benannt hat: Bei aller Offenheit unserer Herzen – unsere Aufnahmefähigkeit ist begrenzt. Das gilt insbesondere mit Blick auf unsere Infrastruktur. Unser Gesundheitssystem steht ebenso wie unsere Kitas, unsere Schulen und unser Wohnungsmarkt unter einem zunehmenden Druck ungesteuerter Zuwanderung. Wenn wir die Akzeptanz des Asylrechts in der Bevölkerung nicht weiter aufs Spiel setzen wollen, müssen wir alles dafür tun, dass diese Infrastruktur nicht weiter kollabiert. Auf nichts anderes hat Friedrich Merz – absolut zu Recht – hingewiesen.

Frage: Viele Menschen, gerade auch im Raum der Kirchen, haben seine Worte als polemisch und spaltend wahrgenommen. Halten Sie es – bei aller notwendigen Kritik an der Politik der Ampelregierung – wirklich für angemessen, dass der Vorsitzende einer christdemokratischen Partei sich abwertend über Migranten äußert und damit zur Spaltung der Gesellschaft beiträgt?

Amthor: Ich habe nicht den Eindruck, dass die Worte von Friedrich Merz zur Spaltung der Gesellschaft beitragen, sondern dass sich eine solche Gefahr vor allem aus dem fortgesetzten Kleinreden von Problemen durch die Ampelkoalition und durch Teile der Medien ergibt. Gerade auch Menschen, die sich in den vergangenen Jahren ehrenamtlich für Flüchtlinge engagiert haben, sagen mir inzwischen, dass für sie das Maß voll ist. Auch die Kommunen signalisieren seit Wochen und Monaten, dass sie am Limit sind und den vielen Menschen, die aufgrund der Untätigkeit der Ampel tagtäglich ungesteuert in unser Land kommen, nicht mehr vernünftig helfen können. In einer solchen Lage ist es eindeutig die Aufgabe der größten Oppositionspartei, den Finger in die Wunde zu legen und die Ampel endlich zu einer Korrektur ihrer Migrationspolitik zu bewegen.

Generalvikar Kollig, Erzbischof Koch, Kristin Wedekind und Pfarrer Johannes Schaan von der Gutachten-Kommission
Bild: ©KNA/Werner Schüring

Die Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Berlin (im Bild die Pressekonferenz zur Vorstellung des Berliner Missbrauchsgutachtens am 1. März 2022) – seinem Heimatbistum – bewertet Amthor insgesamt als gelungen.

Frage: Kommen wir zu Ihnen persönlich: Sie haben sich Ende 2019 taufen lassen und sind damit Mitglied der katholischen Kirche geworden. Wie blicken Sie auf die aktuelle Lage Ihrer Kirche?

Amthor: Zunächst einmal bin ich nach wie vor sehr dankbar für meine Taufe und für den Halt, den mir mein Glaube gibt. Mir ist es wichtig, das zu betonen, denn trotz aller Schwierigkeiten, denen sich die Kirche derzeit gegenüber sieht, sollten wir meiner Meinung nach viel stärker über die positive Kraft des Glaubens sprechen.

Frage: Dennoch ist die Lage der katholischen Kirche in Deutschland schwierig – insbesondere aufgrund des Missbrauchsskandals. Wie bewerten Sie den Umgang der Kirche mit diesem Skandal und die Aufarbeitungsbemühungen der vergangenen Jahre?

Amthor: Ich habe natürlich vor allem die Aufarbeitung in meinem Heimatbistum, dem Erzbistum Berlin, verfolgt und habe den Eindruck, dass das insgesamt sehr gut gelungen ist. Zugleich sehe ich den Aufarbeitungsprozess in der Kirche in Deutschland aber auch ambivalent: Einerseits ist es sicher notwendig und auch eine Stärke des Prozesses, dass man die Aufarbeitung dezentral auf Ebene der Bistümer durchführt. Allerdings führt die Ungleichzeitigkeit der Veröffentlichung der Missbrauchsgutachten natürlich dazu, dass in der Öffentlichkeit bisweilen der Eindruck entsteht, dass der Skandal kein Ende nimmt und immer neue Missbrauchsfälle ans Licht kommen, obwohl die Fälle ja meist schon Jahrzehnte zurückliegen. Kommunikativ ist das für die Kirche schwierig – was als Problembeschreibung aber natürlich nicht das Leid der Opfer relativieren soll, denen wir eine Aufarbeitung schulden.

Frage: Kritiker des Aufarbeitungsprozesses sagen, dass die Politik sich stärker hätte engagieren müssen, weil die Kirche die Aufklärung alleine nicht hinbekommt. Unter anderem gab es wiederholt die Idee einer staatlichen "Wahrheitskommission". Was sagen Sie dazu?

Amthor: Der Begriff der "Wahrheitskommission" weckt natürlich die vorhin erwähnte "bürgerliche Selbstbehauptung" in mir, die gegen die Vorstellung immunisiert, dass der Staat die Wahrheit gepachtet hat. Bei der strafrechtlichen Verfolgung von rechtswidrigen Handlungen handelt es sich selbstverständlich um eine staatliche Aufgabe, aber jenseits dessen kann ich nicht erkennen, warum der Staat besser zu einer Aufarbeitung innerkirchlicher und gesellschaftlicher Belange berufen sein soll als die Kirche selbst. Natürlich kann der Staat die Aufarbeitung unterstützen, wenn die Kirche das möchte – mehr aber auch nicht. Die Aufarbeitung der innerkirchlichen Implikationen des Missbrauchsskandals ist und bleibt in der Endkonsequenz insoweit vor allem eine Aufgabe der Amtskirche.

Von Steffen Zimmermann