Overbeck nach Weltsynode: 2024 muss es um bessere Argumente gehen
Nach vier Wochen Weltsynode zieht der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck eine Zwischenbilanz zum Synodenprozess der Weltkirche. Vieles sei gut, manches habe ihn aber gestört, gibt er zu. Im Gespräch mit katholisch.de berichtet Overbeck von konfrontativen Begegnungen und zahmen Kompromissen hinter verschlossenen Türen. 2024 müsse sich manches ändern, fordert er und hofft vor allem auf einen fundierteren Meinungsaustausch bei der zweiten Etappe der Weltsynode.
Frage: Bischof Overbeck, Sie haben in Rom gesagt, der Synodale Weg in Deutschland war ein Weg der Erneuerung. Was war das erste Treffen der Weltsynode in Rom für Sie?
Franz-Josef Overbeck: Für mich war das erste Treffen der Weltsynode in Rom auch eine Erneuerung. Natürlich auf einer anderen Ebene und auch unter anderen Bedingungen als der Synodale Weg in Deutschland. In Rom wurde beispielsweise sehr deutlich, dass das Schritttempo von Veränderungsprozessen je nach Kontinent, politischen und kirchlichen Bedingungen sehr unterschiedlich ist. Dabei spielen Mentalitäten eine große Rolle. Das Verständnis, wie Katholisch-Sein gehen soll und was Katholisch-Sein beinhaltet, ist sehr verschieden.
Frage: Sie sagen, man bewege sich auf anderen Ebenen. Was meinen Sie damit?
Overbeck: Wenn wir über die Rolle der Frau sprechen, über sexuelle Orientierungen und Vielfalt oder über Machtfragen, dann ist das je nach Kultur, Geschichte und Erfahrungen der jeweiligen Ortskirchen mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen verbunden. Theologie hat mit Denkweisen zu tun und die sind je nach Herkunft unterschiedlich. Ganz deutlich wurde das beispielsweise bei der Frage "Wer ist ein Priester und wie lebt er?"
Frage: Sie saßen jetzt vier Wochen hinter verschlossenen Türen. Können Sie das vielleicht illustrieren?
Overbeck: In unserer deutschen Gesellschaft ist die Frage der Gleichberechtigung von Frau und Mann eine völlig andere als z.B. in vielen anderen Gesellschaften des globalen Südens. Das braucht fast keine Erklärung, sondern ergibt sich aus den Welten, in denen wir jeweils leben und geprägt werden. Besonders gilt das für die Reflexion auf das Leben mit der Kirche. Genau das haben wir in Rom sehr deutlich erlebt. Das war für mich nichts Neues, aber für alle, die weniger in weltkirchlichen Zusammenhängen unterwegs sind als ich, war das erstaunlich.
Frage: Hatten Sie denn den Eindruck, auch Verständnis für die deutsche Herangehensweise zu finden?
Overbeck: Am Anfang habe ich bei vielen eine sehr skeptische Haltung wahrgenommen. Manche waren wirklich ablehnend. Das hat sich im Laufe der Zeit aber verändert, weil das Verständnis angesichts der öffentlichen Diskussion unserer Synodalversammlung für die Themen wuchs. Ich glaube, dass die Beteiligung von Frauen mit Stimm- und Beratungsrecht eine ganz andere Benennung dieser Themen erst möglich gemacht hat.
Frage: Wie schlägt Ihnen so eine ablehnende Haltung entgegen?
Overbeck: Es kommen dann manche, die mir sagen, etwas sei nicht katholisch. Das ist ein Denkmuster, das ich bereits aus vielen anderen Zusammenhängen kenne. Im Verlauf der Synode hörte ich solche Bemerkungen immer weniger, dafür wurden sie zunehmend nachdenklicher. Geholfen hat dabei durchaus die Methode der runden Tische, an denen wir saßen, und vor allem das sogenannte Gespräch im Heiligen Geist. Wir konnten uns durch Zuhören und durch gemeinsames Herausfiltern von Gemeinsamkeiten und Unterschieden kennenlernen.
Frage: Wie haben Sie diese Arbeitsmethode empfunden?
Overbeck: In den ersten zwei Wochen der Synode war das eine sehr fruchtbare Möglichkeit, miteinander in Kontakt zu kommen und einander zuzuhören. Durch die Methode konnten wir herausarbeiten, welche Themen es gibt, an denen wir arbeiten müssen und was uns sonst noch bewegt.
Frage: Also ein voller Erfolg?
Overbeck: Im zweiten Teil hätten meines Erachtens viel stärker die theologischen Perspektiven in den Blick genommen werden müssen, um zu vielen Themen und Fragen dann gut weiterarbeiten zu können.
Frage: Der Papst sagte im Vorfeld, es gehe bei der Synode auf keinen Fall um den Streit um das bessere Argument. Würden Sie denn sagen, dass diese Methode trotz dieser Einschränkung zielführend war?
Overbeck: Für die erste Etappe dieses Weges hat sie sich bewährt. Ich glaube aber, dass es im nächsten Jahr auch um die Auseinandersetzung um das bessere Argument gehen muss. Es braucht tragfähige Perspektiven für gewisse Entscheidungen, die im Abschlussdokument angedacht sind. Es braucht 2024 offenere Gespräche, in denen auch die schwer versöhnbaren Positionen der Weltkirche deutlich werden und in denen um Gemeinsames gerungen wird.
Frage: Das heißt mehr Konfrontation und Streit?
Overbeck: Ja, es wird auch eine Auseinandersetzung um gangbare Wege brauchen. Es muss 2024 vor allem zu einem fairen Austausch von Argumenten kommen.
Frage: Glauben Sie, dass die Weltsynode Auswirkungen auf Ihre Mitbrüder hat, die Reformforderungen und dem synodalen Rat bisher ablehnend gegenüberstehen?
Overbeck: Nein, davon habe ich noch nichts gehört.
„Man sollte nicht übersehen, dass zu queeren Menschen überhaupt etwas im Text steht und der Passus mit über 80-prozentiger Mehrheit positiv beschieden wurde. Das war schon fast ein Wunder.“
Frage: Lassen Sie uns auf das Abschlusspapier schauen. Im Vergleich zu dem, was es in Deutschland beim Synodalen Weg gab, liest sich alles deutlich sittsamer und defensiver. Wie würden Sie das einschätzen?
Overbeck: Das Papier ist zweifellos ein Kompromisstext, der so formuliert ist, dass über 80 Prozent der Synodalen zustimmen konnten. Das war gut. Wir müssen uns klarmachen, dass die Perspektiven, mit denen Katholiken in Deutschland in einer stark säkularisierten Gesellschaft leben, arbeiten und nachdenken, schlichtweg andere sind als in vielen anderen Gesellschaften dieser Welt, die sich manche Fragen so noch nie gestellt haben. Daher ist es nicht angeraten, einen Vergleich mit den Ergebnissen in Frankfurt herzustellen. Wir sollten eher fragen: Wo kommen unsere Themen auch vor? Und dabei ist deutlich geworden, dass die Themen des Synodalen Weges der Kirche in Deutschland auch in der Weltkirche vorkommen.
Frage: Das Synodendokument betont zum Beispiel, dass es für jeden wichtig sei zu erfahren, dass er oder sie zur Kirche gehört. Die Partizipations-Modelle, die dahinterstehen, bleiben alle im Rahmen des Kirchenrechts. Ist Erneuerung so überhaupt möglich?
Overbeck: Natürlich ist Erneuerung so möglich. Der Rahmen des Kirchenrechts ist gerade in diesen Fragen sehr weit gesteckt. Das hängt im konkreten Alltag wesentlich mit der Art und Weise zusammen, wie der Bischof sein Amt versteht und seine Diözese leitet. Und da wird schon in Deutschland deutlich, dass das unterschiedlich wahrgenommen wird. Vielleicht ist das sogar ein Hinweis auf postmoderne Vielfalt in der Kirche.
Frage: Das Synodendokument schlägt zur Aufwertung der Rolle der Frau in der Kirche zum Beispiel die Laientaufe vor. Auch Gemeindeleitung durch Laien wäre eine Option, heißt es. Beides ist kirchenrechtlich möglich und in Ihrem Bistum Praxis. Wie kommunizieren Sie Ihren Leuten, dass Sie eigentlich über Selbstverständlichkeiten in Rom gesprochen haben?
Overbeck: Ich habe schon vor meiner Abreise gesagt, dass es sicherlich vieles gibt, was in der Weltkirche noch lange nicht besprochen ist, hier bei uns aber schon umgesetzt wird. Diese Form des unterschiedlichen Gehens bei Einheit aller im Glauben ist eine Herausforderung, vor der wir stehen. Das heißt nicht, dass wir gespalten sind. Mit dem weiten Blick der Weltkirche müssen wir sehen, dass wir mit dieser Unterschiedlichkeit leben lernen. Wer das nicht begreifen will, braucht einfach nur das Bistum Essen anzuschauen, um zu sehen, mit wie viel Kulturen wir hier zusammenleben müssen und dürfen und wir in Frieden gut miteinander leben – Gott sei Dank!
Frage: Im Abschlusstext heißt es: "Auf unterschiedliche Weise bitten auch Menschen, die sich aufgrund ihrer Ehesituation, Identität und Sexualität an den Rand gedrängt oder von der Kirche ausgeschlossen fühlen, darum, gehört und begleitet zu werden und dass ihre Würde verteidigt wird." Die Synode habe für sie ein tiefes Gefühl der Liebe, der Barmherzigkeit und des Mitgefühls. – Sie haben am Samstag über diesen Text abgestimmt. Stehen Sie hinter dieser Mitleidsrethorik?
Overbeck: Mitleidsrhetorik gefällt mir nie. Aber einen solchen Duktus hat es vor nicht allzu vielen Jahren auch in Deutschland gegeben. Man sollte nicht übersehen, dass zu queeren Menschen überhaupt etwas im Text steht und der Passus mit über 80-prozentiger Mehrheit positiv beschieden wurde. Das war schon fast ein Wunder. Mir war es wichtig, dass sich die Themen überhaupt in dem Dokument wiederfinden und wir jetzt damit weiterarbeiten können. Das ist auch ein Vorteil hinsichtlich der nächsten Schritte, die wir jetzt beim Synodalen Ausschuss in den Blick nehmen. Wäre "LGBTQ+" in dem Text genannt worden, wäre das für einige Menschen in der Aula einer gezielten Provokation gleichgekommen.
Frage: Die Diskussionen um die Rechte queerer Menschen und Frauen werden in Deutschland mit dem Verweis auf Menschenrechte geführt. Wie lässt sich die kirchliche Diskussion darüber in Deutschland überhaupt vermitteln?
Overbeck: Historisch kann man sagen, dass auch die Menschenrechte eine entsprechende Entwicklung seit ihrer Formulierung nach dem Zweiten Weltkrieg erfahren haben und weiterhin erfahren. Mit Blick auf LGBTQ+-Personen war Deutschland vor 20 oder 30 Jahren auch noch nicht so weit wie heute. Die Menschenrechte in ihrer jetzigen Form werden in vielen Staaten dieser Welt auch heute noch bestritten. Man muss nicht nur nach China schauen – auch anderswo ist das der Fall. Dieser Diskussion werden wir uns nicht nur in der Kirche stellen müssen. Ich persönlich positioniere mich eindeutig.
Frage: Lassen Sie uns noch auf die Synode 2024 schauen: Wo muss die Weltsynode mehr Mut aufbringen?
Overbeck: Wir haben schon unendlich viel Mut aufgebracht, uns all diesen Fragen zu stellen und sie nicht abzuweisen. Das wäre vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen. Wir werden viele Fragen der Anthropologie viel offener und intensiver diskutieren müssen. Auch im Blick auf die Lehre von der Kirche, der Ekklesiologie, werden wir große Herausforderungen in der Synodenaula zu bestehen haben. Ich wäre froh, wenn der Ständige Diakonat für Frauen als Berufung anerkannt würde und sich Schritt für Schritt umsetzen ließe. Zudem müssen wir uns viel klarer und ehrlicher zu den großen Fragen von Krieg und Frieden verhalten, die die Welt in diesen Tagen bewegen. Trotz der Kriege in der Ukraine und im Heiligen Land haben wir das nicht intensiv genug getan.