Lüdecke kritisiert Vatikan-Erklärung als "entwürdigend und toxisch"
Der emeritierte Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke hat die Anfang vergangener Woche veröffentlichte Erklärung "Fiducia supplicans" scharf kritisiert. "Solche Barmherzigkeit ist entwürdigend und toxisch", schrieb Lüdecke über die im Vatikan-Dokument ermöglichte Segnung homosexueller Paare und von Paaren in "irregulären Situationen" in einem am Donnerstag veröffentlichten Beitrag im Online-Magazin "Eule". Der in dem Papier als Möglichkeit beschriebene Segen integriere entsprechende Paare nicht in die Kirche, sondern bestätige die dort vorherrschende "liturgische Apartheid", so der Kirchenrechtler. "Das Willkommen der klerikal repräsentierten mütterlichen Kirche gilt weder der Beziehung noch den Partnern, wie sie sind, sondern nur, wie sie nach Gottes klerikal ausgelegtem Plan sein sollen." Die Kirche verspreche vordergründig Zuwendung, lehne das Ausleben der sexuellen Orientierung queerer Menschen aber weiterhin ab. Sie verlange den Verzicht auf sexuelle Handlungen, was anteilige Selbstverleugnung bedeute. "Das sind potentiell krankmachende Doppelbotschaften", schrieb Lüdecke.
Vor anderthalb Wochen hatte das Dikasterium für die Glaubenslehre überraschend "Fiducia supplicans" veröffentlicht. Darin beschreibt der Vatikan den Rahmen, in dem die Segnung von homosexuellen, unverheirateten und wiederverheirateten Paaren möglich ist. Gleichzeitig hält das Schreiben fest, dass Geistliche diese Paare nicht im Rahmen eines Gottesdienstes segnen dürfen. Zudem müsse eine Verwechslung mit einer kirchlichen Trauung ausgeschlossen werden. Die Erklärung hatte zu unterschiedlichen Reaktionen geführt: Die Deutsche Bischofskonferenz hatte "Fiducia supplicans" ausdrücklich begrüßt, andere nationale Bischofskonferenzen – vor allem in Afrika – hatten nach der Veröffentlichung des Vatikan-Dokuments die Segnung homosexueller Paare offiziell verboten.
Pastoral subtiler Demütigung in Vatikan-Erklärung
Lüdecke kritisierte die in Deutschland weitgehend positive Aufnahme der Erklärung: "Als Beobachter weiß man nicht, worüber man mehr entsetzt sein soll, über die verlogene und letztlich unmenschliche Erklärung aus Rom oder deren entweder chronisch naive oder aber instrumentelle papalistische Bejubelung." Wer das Dokument des Glaubensdikasteriums lobend begrüße, animiere entsprechende Paare, die Feier "selbst gezimmerter paraliturgischer Rituale" in Anspruch zu nehmen und sich damit teilweise selbst zu verleugnen. Es sei jedoch angebrachter, dabei zu helfen, "sich vom Anerkennungsbedürfnis durch dieses klerikale Moralregime zu emanzipieren", so Lüdecke.
Auch mit Papst Franziskus ging Lüdecke hart ins Gericht: Der Pontifex präsentiere in der Vatikan-Erklärung eine Pastoral subtiler Demütigung derart, dass sie überwiegend als liberale Öffnung wahrgenommen werde. "Dabei besteht die jesuitische Schläue des Papstes nicht – wie bisweilen gemutmaßt wird – darin, mit versteckten Codes oder Agenden zu arbeiten, sondern vielmehr darin, glauben zu machen, er täte das." Mit "Fiducia supplicans" gebe es keine Veränderung der kirchlichen Lehre. Auch mit dem vom Papst vorangetriebenen Thema Synodalität ändere sich kaum etwas in der Kirche. "Franziskus beherrscht virtuos die Kunst, verbal ein Reformklima zu erzeugen, in dem Beharrung blühen kann." So spreche das Kirchenoberhaupt von "heilsamer Dezentralisierung", regiere jedoch in päpstlicher Souveränität wie kaum einer seiner Vorgänger, so Lüdecke. (rom)