ZdK-Vizepräsident und Theologe war Berater bei Weltsynode

Söding: Papst hat Synode durch Verzicht auf eigenes Schreiben gestärkt

Veröffentlicht am 27.10.2024 um 13:49 Uhr – Von Roland Müller – Lesedauer: 

Rom ‐ "Die Synode endet und die Synodalität beginnt": So blickt der Theologe Thomas Söding auf die Zeit nach der Weltsynode, die nun zu Ende gegangen ist. Im katholisch.de-Interview erläutert Söding, der als Experte bei der Synode dabei war, welche Auswirkungen die Beratungen für die Kirche haben werden.

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Nun ist der vom Papst ins Leben gerufene weltweite synodale Prozess an sein Ende gekommen. Die Weltsynode zum Thema Synodalität hat am Samstag einen Abschlusstext veröffentlicht, der vom Papst direkt angenommen wurde. Franziskus verzichtete auf das sonst übliche nachsynodale Schreiben. Für den Bochumer Neutestamentler Thomas Söding war das eine eindeutige Bestärkung der Synode. Im Interview mit katholisch.de zieht der theologische Berater der Weltsynode eine umfassende Bilanz.

Frage: Die Weltsynode ist nun vorbei. Wie lautet Ihre Bilanz mit Blick auf die vergangenen vier Wochen?

Söding: Die Synode hat hart gearbeitet und das Meta-Thema Synodalität weiterentwickelt. Im Vergleich zum letzten Jahr ist es zwar nicht gelungen, scharf die Punkte herauszuarbeiten, an denen es nun strukturelle Änderungen geben müsste. Aber es war trotzdem gut, dass wir uns als Kirche der Situation vergewissert haben, in der wir uns befinden. Zudem hat man sich wechselseitig versprochen, eine synodale Kirche zu sein, die aufbricht und zusammenbleibt.

Frage: Meinen Sie mit wechselseitig die Hierarchie und die Gläubigen?

Söding: Hierarchie und Gläubige, Nord und Süd, West und Ost – die Synode war ein weltkirchliches Unterfangen. Bei ihr gibt es nicht Mehrheit und Opposition, stehen sich nicht die Bischöfe und der Rest der Kirche gegenüber. Es ist ein neues Miteinander trainiert worden und das wird seine Wirkung haben. Der Papst hat entschieden, kein eigenes postsynodales Schreiben zu veröffentlichen, sondern die Erklärung der Synode, so wie sie jetzt ist, der Kirche zu übergeben: mit seiner vollen Rückendeckung. Das ist ein großer Schritt nach vorn.

Frage: Bei welchen Punkten hätte es Ihrer Meinung nach Entscheidungen für strukturelle Veränderungen geben müssen?

Söding: Zum einen müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass es eine wirkliche Dezentralisierung in der Kirche gibt. Zum anderen müssen überall dort, wo es um Zukunftsfragen der Kirche geht, gemeinsame Beratungen und Entscheidungen vorgeschrieben werden. Das wurde mit der Ankündigung rechtlicher Klärungen verbunden, teilweise aber auch nur mit Appellen. Was die Synode deutlich überschattet hat, war die Entscheidung, strittige Themen auszuklammern. Dazu gehört – am wichtigsten – die Frage nach der Rolle der Frauen in der Kirche. Deswegen gab es großen Unmut innerhalb der Synode, und der zuständige Kardinal Fernández musste zurückrudern. Das Thema ist nicht von der Bildfläche verschwunden, der Diakonat von Frauen bleibt offen, ebenso die Möglichkeiten, Frauenrollen zu stärken, auch in der Liturgie und der Gemeindeleitung. Das reicht noch nicht aus, aber in der katholischen Kirche ist etwas in Bewegung gekommen. Immerhin heißt es jetzt, die Frage nach dem Zugang von Frauen zum Diakonat sei "offen", während es früher hieß, die Zeit für eine positive Antwort sei nicht "reif".

Frage: War die Frage nach Ämtern und mehr Einfluss für Frauen auch bei Teilnehmern aus dem globalen Süden ein wichtiges Thema? Oder doch eher bei den Delegierten aus den westlichen Ländern?

Söding: In der Kirche gibt es weltweit mangelnde Rechte für Frauen. Schon bei der einleitenden Konsultation und auch bei den Beratungen ist sehr deutlich geworden, dass das keineswegs nur ein deutsches oder europäisches, sondern ein weltweites Thema ist. Gleichzeitig leisten Frauen weltweit wichtige pastorale und katechetische Arbeit. Wir müssen die starke Rolle von Frauen in der Kirche weltweit endlich stärker wahrnehmen und daraus auch Konsequenzen ziehen. Zu Anfang der Synode hat es viele Ideen seitens des Vatikan gegeben, welche Extra-Dienste für Frauen in der Kirche geschaffen werden könnten, um die zentrale Frage nach der sakramentalen Ordination zu beruhigen. Das hat nicht funktioniert, die Frage nach der Frauenweihe ist weiterhin gestellt und benötigt eine Antwort. Ich bin überzeugt, dass nachhaltige synodale Strukturen hier eine markante Veränderung in der Kirche herbeiführen werden.

Thomas Söding spricht bei der Vollversammlung des ZdK
Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Thomas Söding ist Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) und Mitglied des Synodalen Ausschusses. Der Seniorprofessor für Neues Testament an der Ruhr-Universität Bochum war theologischer Berater bei der Weltsynode.

Frage: Wurde in der Synodenaula über diese Themen auch kontrovers gestritten?

Söding: Die Synode hat durch die Methode der spirituellen Konversation sehr viel Respekt untereinander erzeugt. Für mich war es die vierte Teilnahme an einer Synode. Ich kenne frühere Synoden, in denen Kardinäle übereinander hergefallen sind – das hat es dieses Mal nicht gegeben. Es gab auch keinen Aufstand trotz des großen Unmuts gegenüber dem Glaubensdikasterium. Aber es gab eine nachhaltige Beschäftigung mit den Realitäten des kirchlichen Lebens. Ich würde das als leisen Protest bezeichnen, der sich darin gezeigt hat, dass einige Themen immer wieder, von der Realität inspiriert, angesprochen, in Berichten der Tischgruppen aufgeschrieben, von den Theologen – zu denen ich gehörte – eingeordnet wurden und so Eingang in den Schlusstext gefunden haben.

Frage: Würden Sie der Schweizer Synodalen Helena Jeppesen-Spuhler zustimmen, dass sich die Synode nicht mehr alles gefallen lässt, weil sie selbstbewusster geworden ist?

Söding: Durch die zwei Generalversammlungen der Synode 2023 und jetzt 2024 ist eine stärkere wechselseitige Vertrautheit entstanden. Das Selbstbewusstsein der Synode ist größer geworden, aber es ist auch wichtig, zu sehen, dass sich im Vatikan kein abgehobener Zirkel von elitären Katholiken getroffen hat, die systematisch Veränderungen durchsetzen wollen. Sondern es waren Gläubige, die die Stimme ihrer Ortskirchen sind und wollen, dass die Kirche nach vorne kommt. Gegenüber dem Glaubensdikasterium ist das offen gesagt worden. Ich hoffe, dass die Botschaft dort auch angekommen ist.

Frage: Wie beurteilen Sie das Abschlussdokument?

Söding: Es versucht mit biblischen Bildern, vor allem aus dem Johannesevangelium, einen spirituellen Zugang zu den vielen organisatorischen Fragen in der Kirche zu schaffen. Das ist meiner Meinung nach gelungen. Es werden Maria Magdalena, Petrus und der sogenannte Lieblingsjünger genannt, was bedeutet, dass die ausschließliche Fixierung auf die Kirche der Bischöfe in der Nachfolge der Apostel aufgebrochen wird. Das Abschlussdokument macht eine qualifizierte Form des Zusammenhalts stark, aber nicht in Form der Rechthaberei. Wichtige Leitworte sind Konversion, Schuldeingeständnis und die Bereitschaft, sich für die Zukunft neu aufzustellen. Der Text wird auch expliziter und nennt Vorgaben, in welchen Strukturen Entscheidungsprozesse ablaufen sollten. Das Ganze wurde auch vor dem Eindruck geschrieben, dass die Kirche der Welt etwas zu sagen hat. Sie muss für Gerechtigkeit eintreten und daher ihre internen Probleme so lösen, dass sie ihre Mission erfüllen kann.

Frage: Das ist nicht besonders konkret. Was bleibt von der Synode ohne richtige kirchenpolitische Entscheidungen?

Söding: Die Methode der spirituellen Konversation war wichtig, um die Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenzuführen. Die Fokussierung auf Probleme und kontroverse Debatten hätten eine Ausweitung der Methoden gebraucht. Die hat es nicht gegeben. Dennoch war die Synode kein Papiertiger, sondern hat auf der einen Seite eine klare Positionsbeschreibung geliefert und auf der anderen Seite eine Orientierung für die Zukunft. Allerdings sind jetzt die Ortskirchen gefordert, sich noch intensiv mit der Synodalität auseinanderzusetzen. Die Verfassungsfrage in der Kirche ist aufgeworfen, sie ist noch nicht beantwortet. Man kann sich jetzt nicht mehr hinter Rom verstecken, um Reformen zu verhindern. Für die Ortskirchen, wie für uns in Deutschland, ist das eine Aufforderung, die neuen Möglichkeiten zu nutzen und mit der Weltkirche und dem Vatikan im Gespräch zu bleiben.

Blick in die Audienzhalle bei den Beratungen der Weltsynode
Bild: ©KNA/Vatican Media/Romano Siciliani

Blick in die Audienzhalle bei den Beratungen während der Weltsynode im Oktober 2024 im Vatikan.

Frage: Aber es bleibt dabei, dass die Synode keine Entscheidungen treffen kann, sondern das letztlich weiterhin beim Papst liegt.

Söding: Die katholische Kirche ist eine Kirche mit dem Papst, das ist richtig. Ich will aber die Gegenthese wagen, dass es ohne den Papst keine Synode gegeben hätte. Zu den Zukunftsaufgaben gehört sicherlich eine synodale Einbindung des Papstamtes ins Gefüge der Kirche. Da hat es bei der Synode erste Anzeichen gegeben, aber noch keine klare Veränderung. Durch seine häufige Anwesenheit hat Franziskus der Synode gegenüber bereits seinen Respekt gezeigt. Er hat sie durch seinen Verzicht auf ein eigenes Schreiben gestärkt: Er hat sich zu eigen gemacht, was die Synodenmitglieder mit großer Mehrheit abgestimmt haben. Die beiden Hauptthemen der Synode, Dezentralisierung und Partizipation, liegen Franziskus am Herzen.

Frage: Mit der Synode ist auch der weltweite synodale Prozess geendet, der 2021 vom Papst ins Leben gerufen wurde. Ist das nun das Ende oder geht die Arbeit jetzt weiter?

Söding: Die Synode endet und die Synodalität beginnt. In den Ortskirchen müssen nun die Impulse der Synode aufgenommen werden. Das ist sehr unterschiedlich: In Deutschland sind wir schon sehr weit mit der Entwicklung synodaler Strukturen und Prozesse. Aktuell gibt es den Synodalen Ausschuss bei uns – auch, um in einem guten Austausch mit Rom zu bleiben und zu weltkirchlich anerkannten Lösungen zu kommen, die uns in Deutschland weiterhelfen, in der Kontinuität des Synodalen Weges. In sehr vielen anderen Ländern gibt es diese synodalen Strukturen nicht. In diesen Ortskirchen wurden nun die Kräfte gestärkt, die eine größere Beteiligung an den Prozessen der Entscheidungsverantwortung wollen. Eindeutig geschwächt wurden die Vertreter der alten klerikalen Machtstrukturen. Für mich ist es zudem eine wichtige Frage, was sich auf der europäischen Ebene tun wird. Es gab bei der Synode ein ganz klares Signal, dass die kontinentale Ebene gestärkt werden soll. Angesichts der Geschichte Europas ist es sehr wichtig, dass sich die Kirche auf unserem Kontinent aufrafft, synodale Prozesse und mehr Beteiligung dauerhaft zu entwickeln. Für mich ist zudem klar, dass das Konzept der "Bischofssynode plus" fortgeführt wird. Der Papst hat gesagt, dass er seine Entscheidung, nicht nur Bischöfe mit Sitz und Stimme in die Synode zu berufen, nicht bereut hat. Es ist eines seiner Zukunftsprojekte. Die Entscheidungswege, wie die nichtbischöflichen Mitglieder gefunden werden, bedürfen aber einer Verbesserung.

Frage: Welche Auswirkungen wird die Synode auf die Einrichtung des Synodalen Rats in Deutschland haben?

Söding: In unserer nächsten Sitzung im Synodalen Ausschuss Ende des Jahres werden wir uns sehr sorgfältig und ausführlich mit der Weltsynode in Rom beschäftigen. Wir sind selbstbewusst genug zu erkennen, dass wir in Deutschland etwas haben, um das man uns weltweit beneidet. Aber wir sind auch nicht vermessen und würden behaupten, dass wir nichts mehr zu lernen hätten. Das trifft etwa auf die Spiritualität der Synodalität zu. Bei der Synode wurden hierzu Signale ausgesendet, die wir in Deutschland aufnehmen sollten, auch wenn wir sie nicht einfach kopieren können. Außerdem kann uns die Weltsynode lehren, noch stärker den Gesamtzusammenhang der Kirche zu sehen. Diese beiden Punkte werden uns sicher dabei helfen, den Synodalen Rat gut auf die Beine zu stellen. Denn dieses Gremium soll nicht eine Art "Oberregierung" für die Kirche in Deutschland werden, sondern er wird die Kirche sprach- und handlungsfähig machen – und von Rom anerkannt sein.

„Was aus der Zeit gefallen ist, ist eine Politik des "Basta" seitens des Vatikan, die ich hier aber auch nicht erkannt habe.“

—  Zitat: Thomas Söding

Frage: Aber wie wollen Sie die Synodalität, wie sie auf der Weltsynode gelebt wurde, und die eher an der Demokratie ausgerichteten Auffassungen des Synodalen Weges in Deutschland zusammenbringen? Widerspricht sich das nicht wenigstens teilweise?

Söding: Ich habe da keine großen Bedenken, was unsere Chancen anbelangt, uns in Rom verständlich zu machen. Wir empfangen gerade durchaus konstruktive Signale aus dem Vatikan, die besser verstehen, was uns in Deutschland um- und antreibt. Für weichgekochte Kompromisse stehe ich nicht nur Verfügung, für die Aufklärung von Missverständnissen schon. In der Vergangenheit haben in Rom eher Menschen offene Ohren gefunden, die Karikaturen des Synodalen Wegs gezeichnet haben. Wenn man aber von Angesicht zu Angesicht spricht, sieht die Sache sofort anders aus. Die Synode hat die Grundlage bestätigt, auf der wir in Deutschland agieren können. Nun kommt es darauf an, dass wir das Beste daraus machen.

Frage: Wie beurteilen Sie das von Kardinal Fernández verlesene Statement des Papstes, dass die Zeit noch nicht reif für die Weihe von Diakoninnen sei – und das, obwohl schon so lange darüber gesprochen wird?

Söding: Diese Synode löst weit über einen Abschlusstext hinaus einen Prozess aus, der die Kirche insgesamt erfasst. Ich bin froh, Teil einer solchen Entwicklung zu sein. Mir ist es wichtig, nicht nur die Schwächen der Kirche zu kommentieren – ich bin lieber mittendrin dabei. Deshalb plädiere ich dafür, Veränderungen in der Kirche Schritt für Schritt voranzutreiben. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß. Wir müssen die Möglichkeiten, die sich jetzt in der Kirche ergeben, gut nutzen. Wenn man nicht sofort alle Ziele erreichen kann, ist es klug, Zwischenerfolge zu sichern und weiterzumachen. Was aus der Zeit gefallen ist, ist eine Politik des "Basta" seitens des Vatikan, die ich hier aber auch nicht erkannt habe.

Frage: Dafür benötigen Sie aber unter Umständen sehr viel Geduld.

Söding: Das ist klar. Man braucht Geduld, Kondition, ein wenig Klugheit und Ambition. Dabei helfen ein klarer Kurs und gute Nerven. Mir persönlich hilft, dass mein theologisches Fachgebiet das Neue Testament ist. Das schafft eine gewisse Distanz zu kirchenpolitischen Turbulenzen. Und es gibt Hoffnung. Jetzt geht es um die Zukunft der Kirche. Daran will ich mitarbeiten.  

Von Roland Müller