Nach dem Scheitern des Bündnisses von SPD, Grünen und FDP

Mehr Schatten als Licht: Eine Bilanz der Ampel aus kirchlicher Sicht

Veröffentlicht am 08.11.2024 um 00:01 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 

Berlin ‐ Nach knapp drei Jahren ist die Ampelkoalition im Bund mit einem lauten Knall zerbrochen. Damit dürften auch zahlreiche kirchen- und religionspolitische Projekte wie die Ablösung der Staatsleistungen obsolet sein, die sich SPD, Grüne und FDP vorgenommen hatten. Katholisch.de zieht eine Bilanz.

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Die Ampelkoalition ist endgültig gescheitert. Am Mittwochabend entließ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), weil er mit dem Parteivorsitzenden der Liberalen keine Basis mehr für eine handlungsfähige Regierung sehe, erklärte Scholz in einem eilig terminierten Pressestatement im Bundeskanzleramt. "Zu oft hat Bundesminister Lindner Gesetze sachfremd blockiert. Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen", sagte der SPD-Politiker in seiner von vielen Beobachtern als Abrechnung mit dem FDP-Chef gewerteten Erklärung. Es gebe keine Vertrauensbasis für die weitere Zusammenarbeit. "So ist ernsthafte Regierungsarbeit nicht möglich", betonte Scholz, der zugleich einen Weg zu einer möglichen Neuwahl des Bundestags im März kommenden Jahres ankündigte.

Nach der Erklärung des Kanzlers überschlugen sich die Ereignisse im politischen Berlin. Zuerst antwortete Christian Lindner mit einem ebenfalls harschen Statement in Richtung Scholz, anschließend zog die FDP weitere Minister aus der Regierung zurück. Allerdings nicht Bundesverkehrsminister Volker Wissing: Dieser erklärte am Donnerstagmorgen überraschend seinen Austritt aus der FDP und seinen Verbleib in der Regierung. Der Bundeskanzler habe ihn in einem vertraulichen Gespräch gefragt, ob er bereit sei, das Ministeramt unter den neuen Bedingungen fortzuführen – und er habe dies bejaht. Die Opposition wiederum forderte eine sofortige Neuwahl des Bundestags. "Wir können es uns einfach nicht leisten, jetzt über mehrere Monate hin eine Regierung ohne Mehrheit in Deutschland zu haben und anschließend über weitere Monate einen Wahlkampf und möglicherweise mehrere Wochen Koalitionsverhandlungen zu führen. Das muss jetzt schnell gehen", sagte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz ebenfalls am Donnerstagmorgen.

Unruhige Stunden im Berliner Regierungsviertel

Auch wenn vieles in diesen unruhigen Stunden im Berliner Regierungsviertel noch unklar ist – die Ampelkoalition ist Geschichte. Und damit dürften auch zahlreiche kirchen- und religionspolitische Projekte obsolet sein, die sich das Bündnis aus SPD, Grünen und FDP in seinem Koalitionsvertrag im Dezember 2021 vorgenommen hatte.

Bild: ©picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Die Ampelkoalition unter dem Trio Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz ist Geschichte. Damit dürften auch zahlreiche kirchen- und religionspolitische Projekte des Bündnisses obsolet sein.

Allen voran dürfte das für die Ablösung der Staatsleistungen gelten – einem der zentralen verfassungsrechtlichen Vorhaben der Koalition. "Wir schaffen in einem Grundsätzegesetz im Dialog mit den Ländern und den Kirchen einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen", hatten die drei Parteien in ihrem Vertragswerk festgehalten. Sie wollten damit schaffen, was in mehr als 100 Jahren zuvor nie ernsthaft angegangen worden war – nämlich den schon in der Weimarer Reichsverfassung formulierten Auftrag zur Beendigung der historisch begründeten jährlichen Entschädigungszahlungen in Höhe von zuletzt rund 600 Millionen Euro an die beiden großen Kirchen durchzusetzen.

Allerdings: Obwohl die Koalition das Projekt spätestens ab ihrem zweiten Amtsjahr erkennbar vorantrieb, gerieten insbesondere die Beratungen mit den Bundesländern – die die konkreten Ablösesummen an die Kirchen am Ende zahlen müssten – bald ins Stocken. Nach und nach sprachen sich immer mehr Ministerpräsidenten – auch der SPD – gegen eine Ablösung der Staatsleistungen aus. So erklärte etwa Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) im Mai 2023: "Die Ministerpräsidenten aller Bundesländer sind sich einig, dass die Leistungen, die wir für die Kirchen verwenden, dort sehr gut aufgehoben sind." Er sehe derzeit wichtigere Themen, mit denen sich die Politik auseinandersetzen müsse. "Deshalb werden wir keine Eile an den Tag legen, dieses Thema anzugehen", so Weil, der damals den Vorsitz der Ministerpräsidenten-Konferenz innehatte.

Veto der Länder gegen Ablösung der Staatsleistungen

Trotz des Vetos aus den Ländern gab die Ampel das Projekt bis zuletzt nicht auf. Im Gegenteil. Noch im Sommer kündigte die Koalition unverdrossen für diesen Herbst das geplante Grundsätzegesetz an – "mit großem eigenem Spielraum und jahrzehntelangen Übergangsfristen", wie die religionspolitischen Sprecher von SPD, Grünen und FDP, Lars Castellucci, Konstantin von Notz und Sandra Bubendorfer-Licht Ende August erklärten. Dies sei auch und gerade im Sinne der Kirchen, die sich deutlich kooperativer und gesprächsbereiter als manche Vertreter der Länder zeigten, kritisierten die drei Politiker. Die FDP sprach gar von einer Blockadehaltung der Länder, die die Koalition dazu zwinge, das Ende der Staatsleistungen ohne die von den meisten Experten als zwingend notwendig erachtete Beteiligung des Bundesrats auf den Weg zu bringen.

Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht

Die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen war eines der zentralen verfassungsrechtlichen Vorhaben der Koalition. Sie kam jedoch nicht zustande.

Doch dazu kam es nicht mehr; das vorzeitige Ende der Ampel setzte dem Vorhaben ein Ende. Und dabei dürfte es bis auf Weiteres auch bleiben. Denn: Nachdem die letztlich zuständigen Bundesländer in den vergangenen zwei Jahren klar signalisiert haben, dass sie an einer Ablösung der Staatsleistungen kein Interesse haben, ist kaum vorstellbar, dass eine neue Bundesregierung – noch dazu, wenn sie von der Union angeführt werden sollte – das Vorhaben weiterverfolgt.

Weitere unerledigte Projekte aus dem Koalitionsvertrag

Dies dürfte auch für weitere unerledigte kirchen- und religionspolitische Projekte aus dem Koalitionsvertrag gelten – wie etwa für die von den drei Parteien geplante Weiterentwicklung des Religionsverfassungsrechts "im Sinne des kooperativen Trennungsmodells" und die Angleichung des kirchlichen an das staatliche Arbeitsrecht. Insbesondere bei Teilen von SPD und Grünen ist das kirchliche Arbeitsrecht seit langem umstritten, schließlich nutzen die Kirchen damit weitgehende Möglichkeiten des Grundgesetzes, um ein eigenes System des Arbeits- und Tarifrechts zu schaffen. So sind Streiks und Aussperrungen bei katholischer und evangelischer Kirche sowie ihren Sozialverbänden Caritas und Diakonie verboten, Tarifverhandlungen finden in eigenen, auf Konsens ausgerichteten Gremien statt. Zuletzt hatte im Frühjahr die Gewerkschaft Verdi in einer an die Bundesregierung gerichteten Petition analog zum Koalitionsvertrag eine weitgehende Angleichung des kirchlichen Arbeitsrechts an die für alle Arbeitnehmer geltenden Regeln gefordert – doch auch dies blieb ohne Konsequenzen.

Immerhin: Bei einem vom Bundearbeitsministerium initiierten Dialogprozess zur Zukunft des kirchlichen Arbeitsrechts tagten im vergangenen Jahr Vertreter von Politik, Gewerkschaften und Kirchen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Zu den Ergebnissen äußerte sich die Bundesregierung nicht. Formal hat die Koalition mit diesem Prüfprozess den Koalitionsvertrag jedoch erfüllt, schließlich war die Reform des kirchlichen Arbeitsrechts dort nur als "Prüfauftrag" vereinbart worden.

Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Einigermaßen erfolgreich war die Ampel dagegen – aus katholischer Sicht: ausgerechnet – bei der Umgestaltung der Gesetzgebung zu Schwangerschaftsabbrüchen. Zur von Teilen der Koalition angestrebten Abschaffung des Strafrechtsparagrafen 218 kam es aber nicht mehr.

Dünn ist die Bilanz der Ampel nach Ansicht von Experten auch beim Thema Religionsfreiheit. Zwar führten SPD, Grüne und FDP nach ihrem Amtsantritt das erst in der vorangegangenen Legislaturperiode auf Initiative der Union eingerichtete Amt des Religionsfreiheitsbeauftragten fort – an der Amtsführung des Anfang 2022 installierten Beauftragen Frank Schwabe (SPD) gab es im politischen Berlin jedoch viel Kritik. Schwabe habe es nicht geschafft, dem Menschenrecht der Religionsfreiheit mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen und eine starke Stimme etwa für verfolgte Christen zu werden, sagten Kirchenvertreter und Oppositionspolitiker in vertraulichen Gesprächen.

Streit um Regelungen zu Abtreibungen

Einigermaßen erfolgreich war die Ampel dagegen – aus katholischer Sicht: ausgerechnet – beim Thema Lebensschutz und zwar konkret bei der Umgestaltung der Gesetzgebung zu Schwangerschaftsabbrüchen. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt strich das Bündnis das Werbeverbot für Abtreibungen aus dem Strafgesetzbuch – ein Vorhaben, dass zuvor immer an der Union gescheitert war. Aus Sicht der katholischen Kirche war die Streichung des Paragrafen eine herbe Niederlage, schließlich hatte sie lange für dessen Erhalt geworben. Noch kurz vor der Abstimmung im Parlament erklärte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing, dass die beabsichtigten Änderungen bei den Abtreibungsregeln den Schutz des ungeborenen Lebens zurücknähmen und nicht für sich in Anspruch nehmen könnten, fortschrittlich und modern zu sein. Doch er blieb von der Koalition ungehört.

Nicht mehr umsetzen konnte die Ampelregierung dagegen die zumindest von Teilen des Bündnisses angestrebte Abschaffung des Strafrechtsparagrafen 218 – und damit die weitgehende Legalisierung von Abtreibungen. Eine von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission hatte Mitte April Empfehlungen für eine neue, liberalere Regelung vorgelegt. Demnach sollte eine Abtreibung in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen komplett freigestellt und rechtmäßig sein – doch die dafür notwendige Gesetzgebung konnte nicht mehr auf den Weg gebracht werden. Dies lag auch an der Uneinigkeit der zuständigen Minister: Während Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) für eine Streichung des Paragrafen kämpfte, machte der bisherige Justizminister Marco Buschmann (FDP) klar, er sei für die Vorschläge der Kommission nicht zu gewinnen sei, und auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schien nicht sonderlich interessiert, sich für eine liberalere Regelung zu verkämpfen.

Von Steffen Zimmermann