Kirchenhistoriker: Kirche hat heute ein Medienpapsttum
Aus Sicht des Augsburger Kirchenhistorikers Jörg Ernesti spielen Medien für die Ausübung des Papstamtes in der Moderne eine entscheidende Rolle. "Heutzutage muss man geradezu von einem Medienpapsttum sprechen, da die mediale Ausstrahlung für die katholischen Kirchenführer eine zentrale Rolle spielt", schreibt Ernesti in einem Beitrag für die "Herder Korrespondenz" (Dezember-Ausgabe). Im 17. und 18. Jahrhundert hätten sich die Kardinäle aus kirchenpolitisch unterschiedlichen Lagern häufig nur auf einen alten und kränklichen Papst einigen können, in der Hoffnung, dass bei einem bald wieder anstehenden Konklave die Karten neu gemischt würden. "Einen älteren oder kränklichen Papst ohne starke mediale Ausstrahlung zu wählen, ist heutzutage dagegen nicht mehr vorgesehen", schreibt der Kirchenhistoriker.
In den vergangenen anderthalb Jahrhunderten sei die vatikanische Medienlandschaft immer weiter ausgebaut worden. So seien beispielsweise alle relevanten päpstlichen Dokumente auf der Internetseite des Vatikans frei und kostenlos zugänglich. "Keine andere Religionsgemeinschaft bietet einen vergleichbaren Service", so Ernesti. Diese Linie ließe sich bis zu Papst Franziskus weiterziehen, der im Rahmen seiner Kurienreform den gesamten vatikanischen Medienbereich gestrafft und das neu geschaffene Kommunikationsdikasterium gleichberechtigt neben die anderen Kurienbehörden gestellt habe. "Das ist keine zufällige, sondern eine konsequent verfolgte und durchaus beabsichtigte Entwicklung."
"Der Grat zum Personenkult ist äußerst schmal"
Als Beispiel für die stärkere Sichtbarkeit des Papsttums durch dessen Medienpräsenz führt Ernesti an, dass Studierenden der Theologie heute oftmals kein einziger Name eines Papstes des 17. oder 18. Jahrhunderts einfalle. "Diese Epoche hat keine Päpste hervorgebracht, die sich dem kollektiven Gedächtnis der katholischen Christenheit eingeprägt haben, sieht man vielleicht von großen päpstlichen Mäzenen wie Urban VIII., Innozenz X. oder Alexander VII. und ihrem Beitrag zur römischen Barockkunst ab."
In der starken medialen Präsenz der Päpste sieht der Kirchenhistoriker aber auch negative Seiten. So gebe es in der Moderne eine "nicht ungefährliche Fokussierung auf die Person des jeweiligen Amtsträgers", warnt Ernesti. "Der Grat zum Personenkult ist äußerst schmal." Aufgrund der großen Erwartungen bestehe auch eine beträchtliche Fallhöhe. Diese sei etwa Pius XII. und Paul VI. zum Verhängnis geworden.
Zudem habe sich seit 1800 der Akzent vom Amt des Papstes auf das Charisma des jeweiligen Amtsträgers verschoben. "Während man vorher die Person als Träger des päpstlichen Amtes geehrt hat, ehrt man jetzt einen Papst primär für sein persönliches Charisma", schreibt Ernesti. In den vergangenen zwei Jahrhunderten sei die katholische Kirche damit mehr denn je zur Papstkirche geworden. (cbr)