Frauen, Migranten und Zivilisten als Gesichter der Hoffnung

Zwischen Drama und Hoffnung: Neues Buch des Papstes zum Heiligen Jahr

Veröffentlicht am 21.12.2024 um 00:01 Uhr – Von Mario Trifunovic – Lesedauer: 

Bonn/Rom ‐ Dramatisch ist der Appell des Papstes: Die Zeiten sind stürmisch und von Instabilität und Katastrophen gezeichnet. Doch es gibt Gesichter der Hoffnung, meint Franziskus in einem neuen Buch – Frauen, Migranten, Zivilisten in Kriegsgebieten. Doch einige Aussagen sorgen für Gesprächsstoff.

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Das neue Buch von Papst Franziskus und dem Journalisten Hernan Reyes Alcaide, "La speranza non delude mai" (deutsch: Die Hoffnung enttäuscht nie), beginnt mit einem eindrucksvollen Bild: ein Boot, das durch stürmische Gewässer fährt – ein Symbol für die Krisen unserer Zeit. Die stürmische Fahrt steht für die globalen Herausforderungen, von Kriegen über Umweltkatastrophen bis hin zu sozialer Ungleichheit. Trotz dieser düsteren Bilder und vor allem der aktuellen Weltlage stellt der Papst die Hoffnung in den Mittelpunkt und ruft dazu auf, sich nicht von Angst und Resignation überwältigen zu lassen.

Das Buch ist vor wenigen Wochen anlässlich des Heiligen Jahres 2025 erschienen und will aufzeigen, wie Christinnen und Christen als "Pilger der Hoffnung" leben sollen. Ein sogenanntes annus sanctus, Heiliges Jahr, ist in der katholischen Kirche ein besonderes Jubiläumsjahr. Dabei gewährt der Papst den Gläubigen unter bestimmten Bedingungen einen vollkommenen Ablass von ihren Sünden. Diese Jubeljahre haben eine lange Geschichte: Papst Bonifatius VIII. soll um 1300 das erste dieser Art ausgerufen haben, an dem aller Wahrscheinlichkeit nach auch Dante Alighieri teilgenommen hat. Ursprünglich, so geht die Geschichte weiter, sollte das nächste Jubeljahr erst nach 100 Jahren folgen, doch der Abstand wurde immer kürzer – in 1350 rief Clemens VI. das zweite Jubeljahr aus. Ab 1475 war schließlich jedes 25. Jahr ein Jubeljahr mit entsprechend hohen Besucherzahlen in Rom. 

Hoffnung versus Optimismus

Mit dem neuen Buch greift Franziskus gleich das Motto des Heiligen Jahres 2025 auf. Darin warnt er eindringlich davor, Hoffnung mit bloßem Optimismus zu verwechseln. Optimismus sei eine oberflächliche und vorübergehende Haltung, die von den Medien oft als "Wundermittel" vermarktet werde: schnelle Lösungen also, die aber keine tiefgreifende Veränderung bewirken. Hoffnung hingegen, so der Papst, sei eine tiefere Gewissheit, die inmitten von Herausforderungen Orientierung und Halt gebe. Dabei illustrierte der Pontifex die Hoffnung an verschiedenen Gesichtern: an dem einer schwangeren Frau, eines Migranten, eines Zivilisten in Kriegsgebieten und eines Großvaters. Diese individuellen Geschichten zeigten, dass Hoffnung in unterschiedlichen Kontexten und Erfahrungen lebendig sein kann. Jedes dieser Gesichter wird in den Kapiteln des Buches thematisiert.

Sockel des Obelisken auf dem Petersplatz
Bild: ©adobestock/tauav

Diese Jubeljahre haben eine lange Geschichte: Papst Bonifatius VII. soll um 1300 das erste dieser Art ausgerufen haben, an dem aller Wahrscheinlichkeit nach auch Dante Alighieri teilgenommen hat.

Wie schon in den einleitenden Worten versucht Franziskus, das Drama mit der Hoffnung tanzen zu lassen, etwa wenn er im Eröffnungskapitel angesichts des demographischen Winters zu einem Frühling der Hoffnung aufruft. Die Geburt von Kindern sei einer der wichtigsten Indikatoren für die Hoffnung eines Volkes, schreibt er und nennt im gleichen Atemzug die niedrige Geburtenrate eine "soziale Notlage". Er fordert einen gesellschaftlichen Frühling, der Mut zur Familiengründung macht, und kritisiert das Konsumverhalten und die Überbewertung der Freizeit als Hindernisse. Praktische Probleme wie Wohnungsnot und wirtschaftliche Unsicherheit, die nicht nur Italien, sondern auch andere europäische Länderwie Deutschland belasten, spricht der Papst jedoch nicht an. 

Globalisierung der Gleichgültigkeit 

Dennoch bleibt Franziskus sich treu, wenn er – wie in seinen Ansprachen –, die Globalisierung der Gleichgültigkeit beanstandet. Diese ergreife die Welt und vergrößere die Kultur des Selbst, so das Kirchenoberhaupt. Bei dieser Gelegenheit kritisiert er sowohl den Kapitalismus als auch den Individualismus "als einzig mögliche Dimension der Verwirklichung des Menschen". Der Mensch könne sich nicht selbst retten, so Franziskus. Das habe auch die Corona-Pandemie gezeigt, die die ganze Welt heimgesucht habe. Ebenso die Verflechtung der Herausforderungen für die Menschheit und die Beschleunigung eines dritten Weltkrieges. Dabei seien es immer die Kleinen, die Armen, die einfachen Menschen und vor allem die Ausgegrenzten gewesen, die die Menschen das Hoffen gelehrt und die Hoffnung am Leben erhalten hätten. "Es gibt keine Hoffnung für diejenigen, die sich verschließen und nur auf ihr eigenes Wohl bedacht sind", meint er.

Und wenn es um das eigene Wohlergehen geht, um die Konsumgesellschaft, in der jeder nur an sich selbst denkt, dann darf auch ein weiteres von Franziskus oft kritisiertes Thema nicht fehlen: die Abtreibung. Er kritisiert sie als eine der "makabersten Formen der Wegwerfkultur", die "im Zuge starker ideologischer Kampagnen einiger Machtzentren globalisiert" werde. Der Friede aber, so der Papst, verlange unter anderem die Verteidigung des Lebens.

Völkermord-Aussagen sorgten für Kritik

Mit dem Thema Frieden beschäftigt sich der Pontifex vor allem in einem späteren Kapitel, das den Titel "Das Gesicht des Zivilisten im Krieg" trägt. Darin schreibt er über die Zivilbevölkerung, die unter "diesem punktuellen Dritten Weltkrieg" leidet. Die Bilder der offenen Konflikte in vielen Teilen der Welt hätten Bilder von Menschen hinterlassen, die "feige aus der Ferne ermordet wurden", von entführten jungen Menschen oder von Journalisten, die versuchten, "Licht auf Ereignisse zu werfen" und dabei selbst zu Zielen geworden seien.

Bild: ©dpa/Picture Alliance/Ettore Ferrari

Mit dem neuen Buch greift Franziskus gleich das Motto des Heiligen Jahres 2025 auf. Darin warnt er eindringlich davor, Hoffnung mit bloßem Optimismus zu verwechseln.

Ein weiterer Punkt, den der Papst anspricht, hatte bereits vor dem Erscheinen des Buches für Aufsehen gesorgt, als Passagen daraus in der Presse veröffentlicht wurden. "Nach Ansicht einiger Experten weist das Geschehen in Gaza die Merkmale eines Völkermords auf", ist der Papst überzeugt. "Wir sollten sorgfältig prüfen, ob es in die von Juristen und internationalen Gremien formulierte technische Definition passt."  Israel erwähnt der Pontifex nicht direkt. 

Diese Äußerung stieß jedoch auf heftige Kritik seitens jüdischer Vertreter weltweit, weshalb der Chefdiplomat des Heiligen Stuhls, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, den Genozid-Vorwurf einige Tage später zurückwies und erklärte: "Der Papst hat gesagt, was die Position des Heiligen Stuhls ist, und das ist, dass wir diese Dinge untersuchen müssen, weil es technische Kriterien gibt, um das Konzept des Völkermords zu definieren." Anliegen und Interesse des Vatikans sei, dass der Krieg im Nahen Osten bald beendet werde. Auf die Frage nach einem möglichen Antisemitismus beim Genozid-Vorwurf sagte Parolin, die Position des Heiligen Stuhls sei in dieser Hinsicht klar: "Wir haben ihn immer verurteilt und werden ihn auch weiterhin verurteilen, und wir werden uns bemühen, genau die Bedingungen zu schaffen, damit es wirklich eine ernsthafte Verurteilung und einen ernsthaften Kampf gegen dieses Phänomen geben kann."

Trotz der politischen Aussagen, die für Diskussionen sorgten, versteht sich das Buch insgesamt aber als Einladung, inmitten der aktuellen Herausforderungen auf die Hoffnung zu setzen und aktiv an einer besseren Welt mitzuarbeiten. Dabei verbindet Franziskus poetische Reflexionen mit klaren Mahnungen: Die Zukunft liegt in den Händen der Gesellschaft von heute.  So wünscht sich der Papst, dass sich Christinnen und Christen bewusst auf das "epochale Großereignis", wie das Heilige Jahr gerne genannt wird, vorbereiten, um mit neuem Vertrauen den großen Herausforderungen zu begegnen. Ob das gelingt, bleibt erstmal offen.

Von Mario Trifunovic

Buchtipp

Papa Francesco, "La speranza non delude mai - Pellegrini verso un mondo migliore", Piemme, 2024, 176 Seiten, 17 Euro.