Gänswein zu neuem Job als Papstbotschafter: "Die Umstellung war enorm"
Als Privatsekretär war er die rechte Hand von Benedikt XVI., später wurde er Präfekt des Päpstlichen Hauses unter Papst Franziskus. Dieser ernannte Erzbischof Georg Gänswein im Juni zum Nuntius für die drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland. Seit Herbst hat der 68-Jährige die Akkreditierung und lebt in Vilnius, der Hauptstadt Litauens. Dort sprach er im Interview über seine neue Aufgabe an der Nato-Ostflanke.
Frage: Herr Erzbischof, vom Vatikan nach Vilnius. Wie wurden Sie Nuntius im Baltikum?
Gänswein: Nach dem Tod von Benedikt XVI. teilte mir Papst Franziskus mit, dass ich den Vatikan zu verlassen und in mein Heimatbistum Freiburg zurückzukehren habe. Eine Entscheidung, die es zu verdauen galt. Der Umzug erfolgte Anfang Juli 2023. Fast ein Jahr später, im Juni dieses Jahres, ernannte mich Papst Franziskus überraschend zum Apostolischen Nuntius im Baltikum. Die Umstellung war enorm. Ich war in meinem bisherigen Leben nie in einer diplomatischen Vertretung tätig. Zwar hatte ich als Präfekt des Päpstlichen Hauses viele Berührungen und Kontakte auf diplomatischer und politischer Ebene. Diplomaten und Politiker im Vatikan zu empfangen, ist das eine, Apostolischer Nuntius und damit Repräsentant des Heiligen Stuhls irgendwo auf der Welt zu sein, das andere. Nun bin ich in Litauen und widme mich mit Energie und Gottvertrauen der herausfordernden Aufgabe.
Frage: Eine herausfordernde Aufgabe – und eine gefahrvolle? Wie ist die Atmosphäre so dicht an der Grenze zu Russland?
Gänswein: Der Ukraine-Krieg hat gerade hier im Baltikum, das Russland an der Ostgrenze zum Nachbar hat, einiges gründlich verändert. Die Menschen in allen drei baltischen Ländern sind von einer Besorgnis erfüllt, die atmosphärisch spürbar ist, unabhängig von der konkreten Gefahr, die vom Osten droht. Die Sorge um den Erhalt des Friedens ist allgegenwärtig und beeinflusst nolens volens den Alltag. Sollte sich der Krieg ausbreiten, würden die baltischen Staaten vermutlich die ersten sein, die es trifft. Es bedarf des inneren Widerstands, sich nicht von Angst und Not anstecken, gar beherrschen zu lassen. Da tun Hoffnung und Vertrauen ebenso gut wie not.
Frage: Welche Schwerpunkte haben Sie sich persönlich für Ihre Zeit gesetzt?
Gänswein: Die habe nicht ich gesetzt, sondern die setzt mir meine Aufgabe. Zum einen bin ich der diplomatische Vertreter des Heiligen Stuhls und habe diesbezüglich eine eher politische Aufgabe zu bewältigen – und auf der anderen Seite als Repräsentant des Papstes gegenüber den Bischöfen und den katholischen Gläubigen eine eher pastorale. Das sind komplementäre Aufgabenfelder, die ein Mit- und Füreinander verlangen. Dabei ist wohltuend wahrzunehmen, dass die Kirche von der Regierung, politischen Autoritäten und staatlichen Behörden mit Respekt und Noblesse behandelt wird. Darin kommt auch zum Ausdruck, dass Glaube und Kirche in der Gesellschaft Gewicht haben, in gewisser Hinsicht Garanten für Hoffnung und Zuversicht sind.
Frage: Welche diplomatischen Ziele verfolgt der Vatikan hier an der sogenannten Nato-Ostflanke?
Gänswein: Ein wesentliches Ziel ist die tatkräftige Mithilfe beim Erhalt des Friedens. Der Vatikan ist bekanntlich keine militärische, ökonomische oder finanzielle, sondern eine spirituelle "Macht". So wird er hier auch wahrgenommen. Diese spirituelle, moralische "Macht" ist von großer Bedeutung für das alltägliche Leben. Ganz konkret gilt das im Hinblick auf Einrichtungen und Organe, die im Namen der Kirche Not lindern und Menschen beistehen, die der Hilfe bedürfen, und zwar im Kleinen wie im Großen, ob von außen wahrnehmbar oder nicht. Papst, Kirche, Vatikan üben eine moralische Ausstrahlung aus, die die Menschen spüren, die ihnen Hoffnung gibt und Perspektiven eröffnet, was von keiner anderen Institution so geleistet werden kann.
Frage: Und wie steht es um die Rolle des Heiligen Stuhls als Vermittler im Ukraine-Krieg?
Gänswein: Der Heilige Stuhl und Papst Franziskus versuchen auf verschiedenen Wegen und Ebenen zu vermitteln. Wir wissen um die zahlreichen Friedensappelle, aber auch um die konkreten Hilfen, selbst wenn das nur als Tropfen auf den heißen Stein erscheint. Der Vatikan versucht, mit allen Kräften zu diesem Ziel beizutragen, wissend um die beschränkten Mittel, die zur Verfügung stehen. Bei vielen Gelegenheiten erinnert Papst Franziskus an die Grausamkeit des Krieges und appelliert an das Gewissen der Mächtigen, endlich Frieden zu schließen. Der unablässige Aufruf zum Frieden, und nicht vor Widerständen zu resignieren, ist ein wesentliches Element vatikanischer Diplomatie.
Frage: Die drei baltischen Länder haben teilweise sehr große russischsprachige Minderheiten, die orthodox sind. Wie steht es vor diesem Hintergrund um die Ökumene?
Gänswein: Im Hinblick auf das Verhältnis mit den lutherischen und anderen protestantischen Gemeinschaften konnte ich ein herzliches Miteinander feststellen. Eine wohltuende Erfahrung in diesem angespannten Gesamtrahmen. Die Bischöfe sagen mir, dass das persönliche Miteinander aufgrund der äußeren Widerwärtigkeiten langsam gewachsen ist, vor allem im gemeinsamen Aushalten erlebter Not und Verfolgung in der Sowjetzeit. Im Hinblick auf die orthodoxen Kirchen sieht das im Augenblick leider anders aus. Der Ukraine-Krieg und die innerorthodoxen Schwierigkeiten haben im Baltikum zu einem Stillstand ökumenischer Bemühungen geführt, der nach menschlichem Ermessen erst dann überwunden werden kann, wenn die Friedensfrage geklärt ist. Viele orthodoxe Priester haben sich vom Moskauer Patriarchat nicht nur distanziert, sondern mit ihm gebrochen.
Frage: Sie meinen das gerade errichtete Exarchat (Verwaltungsgebiet) des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel in Litauen?
Gänswein: Das ist das deutlichste Zeichen dieses Bruches. Viele orthodoxe Priester im Baltikum, die dem Moskauer Patriarchat unterstellt sind, haben öffentlich den politischen Kurs des Patriarchen kritisiert und sich aus Protest von dessen Jurisdiktion losgesagt. Deutlicher kann ein Bruch mit dem zuständigen hierarchischen Vorgesetzten nicht zum Ausdruck gebracht werden. Aufgrund dieser prekären Lage innerhalb der orthodoxen Hierarchie sind gegenwärtig ökumenische Begegnungen auf der Ebene der Bischöfe nicht möglich, was auf katholischer Seite mit Besorgnis zur Kenntnis genommen wird.