Die Parteiprogramme zur Bundestagswahl – Teil 2

Gerechtigkeit und Gaza: Wo die Linke und der Papst sich einig sind

Veröffentlicht am 23.01.2025 um 00:01 Uhr – Von Felix Neumann – Lesedauer: 

Bonn ‐ Bei der Linkspartei ist das Soziale Trumpf im Wahlkampf: Jedes Thema wird auf Gerechtigkeit getrimmt. Aus kirchlicher Sicht gibt es einige Konfliktpunkte, aber auch Positionen, die die Linke mit Papst Franziskus teilt – und für die er Kritik einstecken musste.

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Die Linke setzt ganz auf soziale Themen in ihrem Wahlprogramm für die vorgezogene Bundestagswahl. Von den gut 60 Seiten des Programms deklinieren die ersten 20 verschiedene soziale Themen von Inflation und Wohnen über das Steuersystem und soziale Sicherheit bis Gesundheit und Pflege durch, bis mit dem Kapitel zur Friedenspolitik ein erstes Thema behandelt wird, das nicht klassische Sozialpolitik behandelt. Aber auch im Rest des Programms zieht sich das Soziale als roter Faden durch die Liste der Themen und Vorhaben.

Friedenspolitik ist auch das einzige Thema abseits der Sozialpolitik, das es unter die acht im Kurzwahlprogramm hervorgehobenen Punkte geschafft hat – auch die Klimapolitik wird dort von Gerechtigkeitsfragen her behandelt. Mittel der Wahl sind dabei staatliche Interventionen und Umverteilung statt einer marktwirtschaftlichen Ordnungspolitik.

Klimaschutz und Gerechtigkeit

Diese Stoßrichtung wird schon im von den Spitzenkandidaten Heidi Reichinnek und Jan van Aken unterzeichneten Vorwort deutlich: "Die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich ist eines der größten Probleme unserer Zeit." Als Zielgruppe macht die Linke dabei "die Mehrheit der Gesellschaft" aus – und das bedeutet aus Sicht der Linken: "Menschen, bei denen das Geld kaum zum Leben reicht" und die, "die keine Lobby haben", arbeitende Menschen und Familien. Will man die wenig religiös geprägte Linke in theologischen und sozialethischen Kategorien analysieren, wird eine "Option für die Armen" formuliert, wie sie die Theologie der Befreiung stark macht – freilich ohne religiöse Begründung.

Heidi Reichinnek (links), Spitzenkandidatin der Partei Die Linke zur Bundestagswahl 2025, und Jan van Aken (2. v. links), Bundesvorsitzender der Partei Die Linke.
Bild: ©picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Heidi Reichinnek und Jan van Aken sind die Spitzenkandidaten der Linken für die Bundestagswahl. Im Programm schreiben sie: "Unsere Leitlinie heißt: Wir gemeinsam gegen die da oben."

Dazu passt auch die Forderung, das Finanzierungsziel der Entwicklungshilfe von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erfüllen, sowie nach einem Schuldenschnitt für Länder des globalen Südens. Beim Klimaschutz fordert die Linke nicht nur eine sozialverträgliche Umsetzung in Deutschland, sondern auch mehr Mittel für die Unterstützung von Ländern des globalen Südens beim Klimaschutz und für die Minderung von Klimaschäden – eine Forderung, die auch viele kirchliche Verbände stellen.

Krieg und Frieden

Krieg ist für die Linkspartei kein legitimes Mittel der Politik. Ausdrücklich verurteilt sie den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine, setzt aber statt auf weitere Aufrüstung auf eine Verhandlungslösung. Sanktionen sollen so gestaltet werden, dass sie "direkt auf die Kriegskasse des Kreml zielen", statt die Bevölkerung zu treffen. Im Nahostkonflikt spricht die Linke vom "Unrecht der Besatzung der palästinensischen Gebiete", das aber "niemals eine Rechtfertigung für den menschenverachtenden Terror der Hamas" sein dürfe.

Der 7. Oktober rechtfertige auch nicht die "brutalen Völkerrechtsverbrechen der israelischen Armee in Gaza oder im Libanon". Ausdrücklich begrüßt die Partei die Bestrebungen des Internationalen Gerichtshofs, die Verantwortlichen auf beiden Seiten zur Verantwortung zu ziehen – mit ähnlichen Positionen hat jüngst Papst Franziskus für Empörung gesorgt.

Lebensschutz

Von den klassischen unter "Lebensschutz" abgehandelten Themen kommt nur eines im Linken-Wahlprogramm vor, das aber mit Vehemenz: Die Partei fordert eine ersatzlose Abschaffung von § 218 StGB. Abtreibung soll nicht mehr im Strafrecht geregelt werden, sondern "als medizinischer Eingriff gelten, der zur gesundheitlichen Versorgung dazu gehört". Dazu brauche es eine bessere Versorgungslage für ungewollt Schwangere – gemeint ist wohl ein einfacherer Zugang zu Abtreibungen – und freiwillige statt verpflichtende Beratungsangebote. Die immer noch ausstehende gesetzliche Regelung der Suizidbeihilfe wird ebenso wenig aufgegriffen wie der Umgang mit Präimplantationsdiagnostik. Ein deutliches Bekenntnis gibt es zu künstlicher Befruchtung. Kinderwunschbehandlungen sollen auch bei unverheirateten Paaren sowie in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften von den Krankenkassen zumindest teilfinanziert werden.

Papst Franziskus hält eine Rede.
Bild: ©picture alliance/Stefano Costantino (Archivbild)

Papst Franziskus hat sich auch für eine rechtliche Überprüfung des Genozid-Vorwurfs gegen Israel ausgesprochen – und damit Proteste ausgelöst.

Bei anderen Aspekten des Lebensschutzes liegt die Linkspartei weniger über Kreuz mit Positionen der katholischen Kirche, etwa bei Forderungen nach einer Bekämpfung von Kinderarmut, selbstbestimmten Altern und Zugang zu Gesundheit und Pflege sowie dem Umgang mit Menschen mit Behinderungen: Inklusion soll nicht nur auf formale Bildung reduziert werden, sondern auch in der Arbeitswelt durchgesetzt werden, Barrierefreiheit soll in allen Bereichen verwirklicht werden, die UN-Behindertenrechtskonvention umfassend umgesetzt werden.

Lebensschutz ist auch bei der Flüchtlingspolitik zentral: Beim Umgang mit Flucht will die Linke statt einer Abschottung Europas die Situation von Geflüchteten verbessern: Abschiebungen werden abgelehnt, Geflüchtete sollen mit ihrer Ankunft eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis haben, Kommunen sollen finanziell unterstützt werden, damit sie ihre Aufgaben bei der Versorgung von Geflüchteten erfüllen können. Statt Sammelunterkünften soll es eine dezentrale Unterbringung geben, Sachleistungen und Bezahlkarten werden abgelehnt.

Das Thema Flucht und Abschottung ist zentral für die internationale und Europapolitik der Linken: Der EU-Grenzschutz Frontex soll zugunsten eines zivilen europäischem Seenotrettungsprogramms abgeschafft werden, "Flüchtlingsdeals" mit Staaten wie der Türkei sowie "Milizen und Diktatoren" gekündigt werden, die Kosten über eine europäische Fluchtumlage verteilt werden. Deutlich spricht sich die Linke für das Asylrecht als Menschenrecht aus – das zuletzt immer stärker unter Druck geratene Kirchenasyl wird nicht eigens erwähnt; mit einer Verwirklichung der Ziele der Linkspartei wäre es aber wohl ohnehin obsolet.

Religionspolitik

Religionspolitische Ziele fasst die Linke in einem knappen Abschnitt unter der Überschrift "Religionsfreiheit" zusammen. Darin bekennt sie sich gleich zu Beginn zur Verteidigung des Rechts auf Religionsfreiheit und fasst darunter "das Recht der Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses". Im Blick ist also nicht nur die negative Religionsfreiheit, wie man es von einer dezidiert linken Partei erwarten könnte, sondern auch die positive, also der Schutz der Ausübung von Religion. Ausdrücklich bekennt sich die Partei zur Verteidigung jüdischer und muslimischer Menschen sowie aller anderen religiösen Minderheiten gegen Diskriminierungen aufgrund ihrer Religion.

Religionsverfassungsrechtlich steht die institutionelle Entflechtung von Staat und Religionsgemeinschaften sowie die Gleichbehandlung aller Religionen und Weltanschauungen im Vordergrund: Die Militärseelsorge soll durch einen Seelsorgevertrag abgelehnt werden, der eine gleichberechtigte Betreuung der Soldatinnen und Soldaten durch alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften garantiert. Wer hier Vertragspartner sein soll und wie die Seelsorge ausgestaltet werden soll, wird nicht ausgeführt. Alle Religionsgemeinschaften sollen als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfasst sein können. An welche Bedingungen der Körperschaftsstatus geknüpft sein soll, wird nicht ausgeführt – bei muslimischen Gemeinschaften scheiterte eine Anerkennung in der Vergangenheit neben der Heterogenität des Islams in Deutschland unter anderem daran, dass die Gemeinden die für Körperschaften notwendige Einzelmitgliedschaft ihrer Mitglieder abgelehnt haben zugunsten einer Organisation, die auf Moscheegemeinden und deren Verbände setzt.

Kopftuchverbot für muslimische Lehrerin
Bild: ©picture alliance/Jens Kalaene

Dürfen Lehrerinnen und andere Beamtinnen Kopftuch tragen? Diese Frage ist seit Jahren umstritten. Die Linke positioniert sich klar.

Beim Arbeitsrecht vertritt die Linke die Gewerkschaftsposition: Das "Sonderarbeitsrecht" der Kirchen und ihrer caritativen und diakonischen Einrichtungen soll abgeschafft werden – in die Wahlprogramme von SPD, Grünen und FDP hat diese noch bei der letzten Bundestagswahl vorhandene Forderung es nicht mehr geschafft: Der im Ampel-Koalitionsvertrag verankerte und ohne Konsequenzen abgeschlossene Prüfauftrag des kirchlichen Arbeitsrechts scheint bei den anderen Parteien dieses Thema von der Agenda genommen zu haben. Ausdrücklich fordert die Linke weiterhin ein Streikrecht auch in kirchlichen Einrichtungen sowie eine Anpassung der betrieblichen Mitbestimmung in kirchlichen Einrichtungen an das Betriebsverfassungsgesetz, von dem religiöse und caritative Einrichtungen bisher ausgenommen sind.

Bei der Finanzierung von Religionsgemeinschaften setzt die Linke ebenfalls auf das Prinzip der Gleichbehandlung: "In einer weltanschaulich und religiös vielfältigen Gesellschaft müssen alle die gleichen Möglichkeiten der Finanzierung haben." Das soll nicht durch eine Ausweitung der Finanzierung der Kirchen erreicht werden: Die Beitragserhebung will die Linke bei allen Religionen in die Hände der Religionsgemeinschaften geben anstelle des bisherigen Einzugs der Kirchensteuer durch den Staat. Die Staatsleistungen sollen dem Verfassungsauftrag entsprechend abgelöst werden – auch das ein Thema, das sich die Ampel erfolglos vorgenommen hatte.

Besonders im Blick ist der Islam, für den das Recht auf freie Religionsausübung stark gemacht wird. Verbote religiös motivierter Kleidung und eine Einschränkung von Beschäftigtenrechten aufgrund religiös motivierter Kleidung lehnt die Linke ab und verweist dabei auf muslimische Frauen und deren Selbstbestimmungsrecht – 2005 hatte die Regierungsmehrheit aus SPD und der Linken-Vorgängerpartei PDS im Berliner Abgeordnetenhaus noch mit ihrem letztlich gescheiterten Neutralitätsgesetz religiös motivierte Kleidung aus den Behörden verbannen wollen. Analog zum Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus wollen die Linken einen Beauftragten gegen antimuslimischen Rassismus einführen. Das muslimische Zuckerfest soll ebenso wie das jüdische Jom Kippur staatlicher Feiertag werden, "denn der Islam und das Judentum gehören zu Deutschland".

Ein allgemeines Bekenntnis zu Religionsgemeinschaften in ihrer gemeinschaftsbildenden und sinnstiftenden Funktion für die Gesellschaft gibt es bei der Linkspartei anders als bei den meisten anderen Parteien nicht. Institutionell wird Religionspolitik als Gleichbehandlung und Entflechtung vom Staat verstanden, Religionsfreiheit ist primär ein individuelles Recht, weniger ein institutionelles. Nur an einer Stelle sucht die Linke ausdrücklich den Schulterschluss mit den Kirchen: Zusammen mit den Gewerkschaften werden sie genannt als Mitstreiter für einen erwerbsarbeitsfreien Sonntag.

Von Felix Neumann