FDP: Liberale Selbstvergewisserung mit traditioneller Kirchen-Distanz
Es dürfte wohl keine bewusste Anspielung auf das Neue Testament sein, wenn die FDP von einer "guten Nachricht" spricht. Schließlich stehen die Freien Demokraten traditionell nicht gerade im Ruf, eine besonders kirchennahe Partei zu sein. Dennoch haben sie in der Präambel ihres Wahlprogramms ein Evangelium (griechisch für "gute Nachricht") zu verkünden: "Alles lässt sich ändern". Bedarf sehen die Liberalen viel: Der Wohlstand sei in Gefahr, die irreguläre Migration noch nicht ausreichend unter Kontrolle gebracht, Demokratie und Grundrechte nicht mehr selbstverständlicher gesellschaftlicher Konsens. Das liberale Gegenmittel: "Mehr Freiheit für mehr Menschen“ – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftspolitisch.
"Alles lässt sich ändern" lautet auch die Überschrift des FDP-Programms für die Bundestagswahl. Bislang ist es nur ein Entwurf, final beschlossen werden soll es am 9. Februar. Es ist in weiten Teilen eine Art liberale Selbstvergewisserung nach der gescheiterten Ampel-Koalition. Deren von vielen als desaströs empfundene Bilanz und die "D-Day"-Affäre um ein internes Strategiepapier haben die Glaubwürdigkeit der FDP schwer beschädigt. Daher steht für die Freien Demokraten bei der Bundestagswahl einiges auf dem Spiel – Umfragen zu Folge könnte sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern und somit wie bereits 2013 den Einzug in das Parlament verpassen.
Liberale Kernthemen
Punkten will die Partei vor allem mit klassischen liberalen Lösungen für Kernthemen wie Wirtschaft oder Steuerpolitik samt Entschlackung des Sozialstaats. Weniger staatliche Subventionen und weniger Staatsverschuldung ist die Devise. Dazu soll das Steuergesetz reformiert werden, samt Abschaffung des Solidaritätszuschlags und Anpassung der Einkommensteuer an die Inflation. Flankierend steht die FDP für einen umfassenden Abbau der Bürokratie ein, um Unternehmen zusätzlich zu entlasten.
Großen Augenmerk legen die Liberalen in ihrem Programm – wie die anderen Parteien in diesem Wahlkampf – auch auf das Thema Migration: Sie soll nach klaren Regeln gesteuert werden. Für diejenigen, die als qualifizierte Kräfte in den deutschen Arbeitsmarkt einwandern wollen, sollen die Hürden gesenkt werden; beim Thema Asyl will die FDP Verschärfungen. So befürwortet sie auch die Erprobung von Zurückweisungen an den deutschen Außengrenzen.

Migration soll nach klaren Regeln gesteuert werden, fordert die FDP.
Religionspolitische Themen spielen in klassischer liberaler Tradition nur eine untergeordnete Rolle. Die FDP gesteht Religionsgemeinschaften durchaus eine gesellschaftliche Rolle zu, diese soll sich aber nicht von anderen gesellschaftlichen Playern unterscheiden. Die FDP verzichtet in ihrem Programm daher auch darauf, die Rolle von Kirchen oder religiösen Gemeinschaften explizit zu würdigen. Doch die Liberalen wollen eine Reform des Staatskirchenrechts: Es soll in ein Religionsverfassungsrecht umgewandelt werden, das die rechtliche Basis für alle Religionsgemeinschaften bildet, "die das Gleichheitsgebot und die Glaubensvielfalt, die Grundrechte sowie die Selbstbestimmung ihrer Mitglieder anerkennen". Im Blick hat die FDP dabei aber besonders den Islam und seine Verbände in Deutschland: Sie sollen einer kritischen Prüfung unterzogen werden.
Der entsprechende Punkt im Wahlprogramm enthält auch einen Satz zu den Staatsleistungen: Bund und Länder sollten – man kann sich das "endlich" dazu denken – dem Verfassungsauftrag nachkommen, die Staatsleistungen abzulösen. Dies ist seit Jahren eine FDP-Forderung, schon im Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2021 war sie enthalten. Diese Forderung eint sie mit SPD und Grünen – dennoch gelang es der Ampel-Koalition in der vergangenen Legislaturperiode nicht, ein Rahmengesetz dafür zu verabschieden. Schwer vorstellbar, dass dies angesichts der voraussichtlichen Mehrheitsverhältnisse im kommenden Bundestag gelingen wird. Zumal es auch auf Seiten der Bundesländer bislang wenig Bereitschaft gibt, das Thema Staatsleistungen anzugehen.
Weiter für Reform von Paragraf 218
Gesellschaftspolitisch bietet die FDP – auch das ist wenig überraschend – Themen auf, die oft konträr zu katholischen Positionen stehen. In der Debatte um Paragraf 218 (auch hier gab es trotz politischer Mehrheit keine Änderung in der vergangenen Legislaturperiode) setzen sich die Liberalen weiterhin für eine Reform ein, die zu einer Legalisierung führen soll. Dazu soll allen Frauen die Kostenübernahme einer Abtreibung ermöglicht und existierende Möglichkeiten medikamentöser Methoden zugänglich gemacht werden. Konfliktpotenzial bietet auch der Vorschlag für ein neues Gesetz zur Fortpflanzungsmedizin. Die FDP will die Eizellen- sowie die Embryonenspende legalisieren und die nicht-kommerzielle Leihmutterschaft ermöglichen. Zudem wollen sich die Liberalen dafür einsetzen, dass Kinderwunschbehandlungen unabhängig von Familienstand oder sexueller Orientierung besser gefördert werden. Dazu soll auch unverheirateten Paaren eine Adoption gestattet werden. Außerdem betont die FDP, dass zu einem freien Leben auch ein Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben gehöre.
Es sind jedoch nicht nur klassische bioethische Themen, bei denen der ein oder die andere kirchlich Engagierte Bauchschmerzen bekommen könnte. Beispiel Klimapolitik: Die FDP bekennt zwar sich zu den Zielen der Klimapolitik und der Nachhaltigkeit, sieht allerdings beispielsweise Kernfusion als zukunftsträchtige Technologie und will den deutschen Ausstieg aus der Kernenergie rückgängig machen. Es sollen vor allem Kernkraftwerke der neuen Generation in Deutschland gebaut werden können. Zumindest das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hat dazu eine klare Haltung: "Der Ausstieg aus der Kernenergie ist richtig. Kernenergie ist nicht ökologisch nachhaltig", erklärte ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp angesichts der Abschaltung des letzten deutschen Atomkraftwerks im April 2013.

Eine Reform von Paragraf 218 steht nach wie vor auf der Agenda der FDP.
Auch die von der FDP angedachte Reform der Entwicklungszusammenarbeit dürfte im Bereich der Kirchen und ihrer Hilfswerke wenig Anklang finden. Einerseits wollen die Liberalen eine Integrierung des Entwicklungshilfeministeriums in das Auswärtige Amt; zusätzlich sollen die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit künftig strategisch entlang der wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands und der EU priorisiert werden. FDP-Chef Christian Lindner koppelte das zuletzt auch an das Thema Migration und betonte, dass es Entwicklungshilfe für Afghanistan künftig nur noch dann geben solle, wenn Deutschland ein Rückführungsabkommen mit Kabul abschließt. Caritas International entgegnete daraufhin, Entwicklungshilfe dürfe niemals Druckmittel für eigene Interessen sein.
Doch gerade außenpolitisch gibt es Positionen, die auch in der Kirche Unterstützung haben dürften. Unter anderem spricht sich die FDP für eine weitere Stärkung der Europäischen Union und eine Fortsetzung der Unterstützung der Ukraine aus. Dazu bekennt sich die FDP angesichts aggressiver Autokratien wie China und Russland zu einer multilateralen Weltordnung, "in der die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren gilt". Menschenrechtsverletzungen, Unterdrückung und Diskriminierungen sollen konsequenter geahndet werden.
Gemeinsame Position mit ZdK
Und auch auf anderer Ebene gehen FDP und kirchliche Organisationen Hand in Hand. So fordert die FDP, dass Artikel 3 im Grundgesetzt um die sexuelle Identität ergänzt werden soll. Das bedeutet: Künftig soll dort auch stehen, dass niemand wegen seiner Sexualität diskriminiert werden darf. Auch das ZdK hat bei seiner letzten Vollversammlung beschlossen, dass Artikel 3 des Grundgesetzes geändert und queere Menschen darin aufgenommen werden sollen.
Für eine "Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners", die sich nur in „Trippelschritten“ den großen Herausforderungen der Zeit nähere, sei keine Zeit mehr, schreibt die FDP in ihrem Wahlprogramm – auch als Reflexion der Erfahrungen in der Ampelkoalition. Die Liberalen stilisieren sich in ihrem Programm als Kraft, die eine umfassende Modernisierung Deutschlands in vielen Bereichen anschieben will. Sie möchte wieder mitregieren, und zwar am liebsten als Juniorpartner der CDU. Ob das allerdings klappt, ist mehr als fraglich.