Die Parteiprogramme zur Bundestagswahl – Teil 4

Viele Überschneidungen mit kirchlichen Positionen: Die Grünen

Veröffentlicht am 01.02.2025 um 00:01 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 8 MINUTEN

Berlin ‐ In ihrer Frühphase waren die Grünen für die katholische Kirche ein rotes Tuch. Doch diese Zeiten sind lange vorbei – inzwischen pflegen Ökopartei und Kirche ein gutes Verhältnis. Das zeigt sich auch im Wahlprogramm der Grünen für den Bundestag, das aus katholischer Sicht kaum Zumutungen bereithält.

  • Teilen:

Robert Habeck hängt der Ruf an, Züge eines Predigers zu haben. Immer wieder greifen Medien in Porträts dieses Bild auf, um den Kanzlerkandidaten der Grünen und seine öffentlichen Auftritte zu beschreiben. "Der Spiegel" fragte Habeck in einem Interview zu Beginn des Jahres sogar ganz direkt, ob er mal überlegt habe, Prediger zu werden. Zur Begründung führten die interviewenden Redakteure an, dass die Videos des Politikers sie an Predigten erinnerten: "Sehr getragen, durchdrungen von einem heiligen Ernst, und es mündet immer in Zuversicht: Sehet her, alles wird gut, ich verkünde euch die frohe Botschaft."

Auch wenn Habeck in seiner Antwort zunächst eine "gewisse Despektierlichkeit" der Fragesteller gegenüber der frohen Botschaft kritisierte – bezogen auf die Beschreibung seiner Videos gab er den Interviewern indirekt recht. Er denke, so der 55-Jährige, "wir brauchen eher mehr davon". Seinen Kommunikationsstil beschrieb er in diesem Zusammenhang so: "Ich zeige Lösungen auf. Ich beschreibe die Wirklichkeit ungeschminkt, nehme Sorgen und Nöte ernst, versuche aber da nicht stehen zu bleiben, sondern aufzuzeigen, dass eine gemeinsame Kraftanstrengung zu etwas Gutem führen kann." Den Prediger-Vergleich dürfte Habeck, der nach eigenem Bekunden in einer "sehr christlichen" Familie aufwuchs, später aber aus der evangelischen Kirche austrat, mit solchen Aussagen weiter zementieren.

Wahlprogramm mit predigtartigem Ton

Das Wahlprogramm der Grünen passt vor diesem Hintergrund gut zum eigenen Kanzlerkandidaten. Denn auch das wird von einem durchaus predigtartigen Ton durchzogen. Schon die Einleitung unter der missionarisch anmutenden Überschrift "Zusammen wachsen" klingt stellenweise wie die appellative Predigt in einem typischen Sonntagsgottesdienst. "Jetzt kommt es auf die Kraft unseres Zusammenlebens an, in dem die Menschen auch in diesen herausfordernden Zeiten so viel einbringen und leisten", heißt es in der Einleitung etwa. Oder auch: "Gerade weil die Stärke unseres Landes daraus entsteht, dass jede und jeder dazugehört, unabhängig von der Herkunft, brauchen wir auch eine neue Kraft der integrativen Gesellschaft. Was wir damit meinen: gemeinsam in Vielfalt." Damit ist der Sound gesetzt, der sich durch das weitere Wahlprogramm zieht, das mit 72 Seiten übrigens satte 200 Seiten kürzer ist als das Programm vor der Bundestagswahl 2021.

Bild: ©picture alliance/dpa | Daniel Löb

Robert Habeck, dem Kanzlerkandidaten der Grünen, hängt der Ruf an, Züge eines Predigers zu haben.

Den aktuellen Herausforderungen angemessen legt das Programm diesmal den Schwerpunkt auf eine Stärkung der Wirtschaft und die Sicherung von Frieden und Freiheit. Der Klimaschutz, eigentlich das traditionelle Kernthema der Partei, kommt dagegen weniger prominent vor – er taucht überwiegend im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Modernisierung des Landes auf. Ein Grund dafür dürfte das Debakel um das mit Blick auf den Klimaschutz vorangetriebene Heizungsgesetz sein, das die Grünen in der zu Ende gehenden Legislaturperiode viele Sympathien und wohl auch Wählerstimmen kostete.

Um den vor allem von den Parteien rechts der Mitte angefachten Zorn gegen zu starke finanzielle Belastungen der Bürger durch den Klimaschutz nicht weiter zu befeuern, streben die Grünen in diesem Bereich nun Entlastungen an – vor allem mit Hilfe des schon lange geplanten Klimageldes, das "in der nächsten Legislatur so schnell wie möglich eingeführt werden und dann direkt und ohne vorherige Beantragung auf das Konto eingehen" soll, um die steigenden CO2-Preise auszugleichen. Sollten die Grünen dieses Projekt in einer neuen Bundesregierung durchsetzen können, würden sie damit auch eine Forderung katholischer Sozialverbände wie der Caritas oder der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung erfüllen, die sich schon lange für ein Klimageld starkmachen.

Große Gemeinsamkeiten zwischen Grünen und Kirche

Überhaupt lassen sich inzwischen bei vielen Themenfeldern große Gemeinsamkeiten zwischen den Grünen und kirchlichen Positionen feststellen. Hatten Kirchenvertreter wie der Kölner Kardinal Joseph Höffner die Grünen in den 1980er-Jahren noch als für Katholiken unwählbar deklariert, haben sich beide Institutionen mit der Zeit immer stärker angenähert. Wie groß die Nähe inzwischen geworden ist, zeigte sich zuletzt im November bei einem "Spitzengespräch" zwischen Vertretern des Bundesvorstands der Grünen mit Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz, das nach Angaben der Konferenz von einer "positiven und vertrauensvollen Atmosphäre" geprägt war. Beide Seiten hätten ihr gemeinsames Anliegen bekräftigt, "für eine offene Gesellschaft einzutreten und die Demokratie zu verteidigen", hieß es danach.

Bild: ©Fotolia.com/kamilpetran

Die Umweltpolitik ist eines von mehreren Themenfeldern, bei denen es Überschneidungen zwischen dem Wahlprogramm de Grünen und kirchlichen Positionen gibt.

Dies schlägt sich auch im Wahlprogramm der Grünen nieder, in dem die Partei ausdrücklich "den Beitrag der Kirchen sowie der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zum demokratischen und sozialen Zusammenhalt" würdigt. Dieser Zusammenhalt entsteht nach Ansicht der Grünen dort, "wo Menschen zusammenkommen, bei der Arbeit oder in der Schule, beim Sport oder Musik machen oder beim Einsatz für gute Zwecke oder dem gemeinsamen Feiern. Im Dorfgemeinschaftshaus, auf dem Fußballplatz oder in Kirchen, Moscheen oder Synagogen kann Demokratie lebendig werden."

Inhaltliche Überschneidungen in mehreren Politikfeldern

Inhaltliche Überschneidungen zwischen Partei und Kirche finden sich im Wahlprogramm noch bei weiteren Politikfeldern – zum Beispiel in der Umweltpolitik. Hier schreiben die Grünen: "Wenn wir die Umwelt schützen, schützt sie uns auch. Klimaschutz ist Menschenschutz." Damit klingen sie ganz ähnlich wie Papst Franziskus, der 2015 in seiner Umweltenzyklika "Laudato si" seine Sorge um die Erde als das "gemeinsame Haus" formuliert hatte. In der Außenpolitik sprechen sich die Grünen unter anderem für eine weitere Stärkung der Europäischen Union und eine Fortsetzung der Unterstützung der Ukraine aus – beides sind Positionen, die auch in der Kirche Unterstützung finden. Zumal die Grünen mit Blick auf den Abwehrkampf der Ukraine gegen Russland im Wahlprogramm auf die Forderung nach der weiteren Lieferung schwerer Waffen verzichten und stattdessen die "vielfältigen diplomatischen Friedensbemühungen" der Ukraine unterstützen.

In der Entwicklungspolitik wird ebenfalls eine große Nähe der Grünen zu kirchlichen Positionen deutlich. Während AfD und FDP eine Abschaffung des Entwicklungsministeriums fordern, setzen sich die Grünen für ein weiterhin starkes entwicklungspolitisches Engagement der Bundesrepublik ein. "Wir wollen eine eigenständige Entwicklungspolitik, die strukturelle Ungerechtigkeiten abbaut und weltweit gleichberechtigte Partnerschaften gestaltet", heißt es im Programm wörtlich. Konkret will sich die Partei für eine "vorausschauende und kohärente Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik" einsetzen, die Krisen und Konflikte frühzeitig erkennt und mit gezielten und koordinierten Maßnahmen menschliches Leid verhindert. Außerdem will sie – ganz im Sinne der proklamierten feministischen Außen- und Entwicklungspolitik – die "Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen, Mädchen und marginalisierten Gruppen" weltweit stärken und sich dafür stark machen, dass Deutschland seine internationalen Zusagen einhält und mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens in Entwicklungszusammenarbeit investiert.

Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Bei der Frage, ob der Schwangerschaftsabbruch weiterhin im Strafrecht geregelt bleiben soll, liegen Grüne und Kirche über Kreuz.

Wohlwollend dürften Kirchenvertreter darüber hinaus die Forderungen der Partei in der Migrationspolitik beurteilen, die sich deutlich von den mitunter radikalen Abschiebeforderungen der meisten anderen Parteien unterscheidet – auch wenn die Grünen ebenfalls erklären, dass nicht jeder, der nach Deutschland kommt, auch bleiben kann. "Wer nach individueller Prüfung auf asyl- und aufenthaltsrechtliche Voraussetzungen sowie nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel kein Aufenthaltsrecht hat und bei dem keine Abschiebungshindernisse entgegenstehen, muss zügig wieder ausreisen", heißt es im Wahlprogramm. Insgesamt aber setzt sich die Partei deutlich für eine humane Flüchtlingspolitik ein und mahnt etwa ein "konsequentes Vorgehen gegen illegale Pushbacks" an. Außerdem bekennt sie sich explizit zum Grundrecht auf Asyl, zur Genfer Flüchtlingskonvention und zum Kirchenasyl.

Bei der Abtreibungsfrage liegt man über Kreuz

Doch natürlich gibt es auch Themen, bei denen das Wahlprogramm der Grünen mit kirchlichen Positionen über Kreuz liegt. Markantestes Beispiel ist sicher das Thema Abtreibungen: Hier halten die Grünen an ihrem Ziel fest, Schwangerschaftsabbrüche "grundsätzlich außerhalb des Strafrechts" zu regeln – eine Forderung, die im scharfen Gegensatz zur kirchlichen Position steht. Auch die familienpolitischen Positionen der Partei mit ihren sehr offenen Definitionen von Ehe und Familie und ihrem Einsatz für queeres Leben dürften zumindest für Reibungen mit katholischen Überzeugungen sorgen. Andere potenzielle Konflikthemen wie die noch ausstehende Neuregelung der Suizidbeihilfe, die Ablösung der Staatsleistungen oder Änderungen beim kirchlichen Arbeitsrecht werden im Programm dagegen ausgeklammert.

Ob es für die Grünen am Ende für eine Regierungsbeteiligung reichen wird, muss sich erst noch zeigen. Aus katholischer Perspektive wäre eine Koalition unter Beteiligung der Ökopartei aber wohl kein Grund für größere Sorgen. Zu groß sind die Schnittmengen und die gegenseitige Wertschätzung. Die wenigen Themen, bei denen man noch uneins ist, dürften in den kommenden Jahren zudem kaum eine Rolle spielen, weil andere Fragen drängender sind und die wahrscheinliche Regierungsbeteiligung der Union insbesondere die katholische Kirche davor schützen dürfte, etwa in ethischen Fragen allzu viele Kröten schlucken zu müssen.

Von Steffen Zimmermann