Im Schatten von Carlo Acutis – Wer sind die neuen Heiligen?
Auf einem Bild sieht man ihn in Bergsteiger-Outfit, mit lässigem Hemd und Pfeife: Pier Giorgio Frassati. Der bereits von Papst Johannes Paul II. seliggesprochene Italiener war ein lebensfroher, beliebter junger Mann, passionierter Bergsteiger und Student des Bergbauingenieurwesens. Am 7. September soll er gemeinsam mit Carlo Acutis von Papst Leo XIV. heiliggesprochen werden.
Einen Monat später, im Oktober, sollten weitere Heilige folgen, darunter der armenisch-katholische Erzbischof Ignatius Choukrallah Maloyan, der 1915 während des Völkermords an den Armeniern hingerichtet wurde, und der Katechist Peter To Rot aus Papua-Neuguinea, der während der japanischen Besatzung im Zweiten Weltkrieg für sein pastorales Wirken sein Leben ließ. Zudem werden drei Ordensfrauen geehrt: Vincenza Maria Poloni aus Verona, Maria del Monte Carmelo Rendiles Martínez aus Venezuela und Maria Troncatti. Aus Venezuela stammt auch der Arzt José Gregorio Hernández, der sein Leben der Versorgung der Armen widmete.
Dass der 2006 mit nur 15 Jahren an Leukämie verstorbene Carlo Acutis unter allen neuen Heiligen die größte Aufmerksamkeit auf sich zieht, war zu erwarten – nicht zuletzt wegen des großen Hypes um den "Cyber-Apostel" oder "Influencer Gottes", wie er genannt wird. Auch zahlreiche säkulare Medien berichteten über den ersten Millenial, der vor seiner Heiligsprechung steht. Die katholische Kirche profitiert von seiner Popularität: Die Strategie, ein jugendlicheres Image zu pflegen, scheint aufzugehen, indem gezielt vorbildhafte junge Menschen ins Zentrum gerückt werden. In dieses Bild passt auch Frassati. Doch wer war der Mann?
Bedürftige und Berge
Pier Giorgio wurde 1901 in eine angesehene Familie geboren. Sein Vater Alfredo war Diplomat, Gründer der bis heute erscheinenden Tageszeitung "La Stampa” – und Agnostiker. Pier Giorgio hingegen engagierte sich politisch in der von der katholischen Soziallehre inspirierten Italienischen Volkspartei und verbrachte während der Botschafterzeit seines Vaters in Deutschland einige Zeit in Berlin und Freiburg – bei der Familie des Jesuiten und Theologen Karl Rahner.
Anders als sein Vater schlug Pier Giorgio keine diplomatische oder journalistische Laufbahn ein. Schon als Kind entwickelte er ein Herz für die Armen, hielt sein Engagement jedoch lange vor den Eltern verborgen. Eines Abends kam er verspätet zum Abendessen und wurde zurechtgewiesen, schwieg jedoch über den Grund seiner Verspätung. Niemand wusste, dass er auf dem Heimweg sein letztes Geld einem Bedürftigen geschenkt hatte und zu Fuß gehen musste. Auch zu seinem Studienabschluss stellte er seine Prioritäten unter Beweis: Als sein Vater ihm die Wahl zwischen einem neuen Auto oder einer Auszahlung anbot, entschied er sich für das Geld – um es den Armen zugutekommen zu lassen.
Schon als Kind entwickelte Pier Giorgio Frassati ein Herz für die Armen, hielt sein Engagement jedoch lange vor den Eltern verborgen.
Seine freie Zeit verbrachte Pier Giorgio oft beim Sport und beim Bergsteigen in den italienischen Alpen. Seine Schwester Luciana berichtete von einem der etwa 44 dokumentierten Aufstiege. Nach einem anstrengenden Tag auf den Mucrone hätten sie und ihre Freunde völlig erschöpft die Berghütte erreicht, kaum noch fähig, die Augen offen zu halten – bis Pier Giorgio sie aufforderte zu beten. "Wenig begeistert versuchten wir, mit ihm mitzubeten, doch bald verstummten wir und vertrauten unsere Gebete allein seiner Stimme an", erinnerte sich Luciana.
Im Dienst der Armen – nicht nur Frassati
Im Sommer 1925 verschlechterte sich Pier Giorgios Gesundheitszustand nach Besuchen in Turins Elendsvierteln rapide. Als er nicht an der Beerdigung seiner Großmutter teilnahm, tadelte ihn seine Mutter, er sei nie da, wenn man ihn brauche. Kurz darauf erhielt er die Diagnose Poliomyelitis (Kinderlähmung). Am 1. Juli zeigten sich die ersten Lähmungserscheinungen, am 4. Juli starb Frassati im Alter von 24 Jahren. Zu seiner Beerdigung kamen nicht nur Persönlichkeiten aus Politik, Medien und Wirtschaft, sondern auch Hunderte von Armen, die er regelmäßig besucht und unterstützt hatte.
Den Armen zugewandt war auch der venezolanische Arzt José Gregorio Hernández, der im Oktober heiliggesprochen werden soll. Aus gesundheitlichen Gründen musste er seinen Traum, Priester zu werden, zweimal aufgeben. Stattdessen wurde er Arzt. In der Bevölkerung wurde er als "Doktor der Armen" verehrt. Von seinem eigenen Geld kaufte er Medikamente und behandelte Bedürftige kostenlos. Mit 54 Jahren ist er schließlich bei einem Verkehrsumfall ums Leben gekommen, seine sterblichen Überreste befinden sich heute in der Kirche La Candelaria in Caracas (Venezuela). In Venezuela wurde er rasch nach seinem Tod als "Doktor der Armen" verehrt und somit zu einem "Volksheiligen". Ebenso entstand die Sitte, ihn nicht nur bei Krankheit, sondern auch um Schutz bei größeren Reisen zu bitten.
Den Armen zugewandt war auch der venezolanische Arzt José Gregorio Hernández, der im Oktober heiliggesprochen werden soll.
Ebenfalls aus Venezuela stammt Maria del Monte Carmelo Rendiles Martínez, Gründerin der Kongregation der "Dienerinnen Jesu". Sie widmete ihr Leben der Bildung und Armenfürsorge, obwohl sie selbst nur mit einem Arm geboren wurde. Ihre Ordensschwestern sehen in ihrem Vermächtnis eine Einladung an alle Gläubigen, ihren Lebensweg mit Entschlossenheit zu gehen – nach dem Vorbild von Mutter Carmen, wie sie genannt wurde. Zudem sei ihre Spiritualität von Hoffnung geprägt gewesen, die aus ihrem Gottvertrauen erwuchs. In Venezuela freut man sich besonders darüber, dass Mutter Carmen nun heiliggesprochen wird, denn sie ist die erste Heilige des Landes.
Karitative Taten höchste Priorität
Mit Mutter Carmen und dem Arzt Hernández wird auch die italienische Ordensfrau und Missionarin Maria Troncatti heiliggesprochen. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete sie als Rotkreuzschwester in einem Militärkrankenhaus, bevor sie 1922 als Missionarin nach Ecuador ging. Dort wirkte sie unter anderem als Krankenschwester, Orthopädin, Zahnärztin und Wundärztin und setzte sich unermüdlich für die Bevölkerung ein. Troncatti starb mit 86 Jahren bei einem Flugzeugabsturz. Ihre Reliquen liegen heute in Macas, in der Provinz Morona Santiago. Aufgrund ihres Engagements und der Verdienste hatte sie den Beinamen "La Madrecita" erhalten – das Mütterchen.
Auch Luigia Poloni widmete ihr Leben früh der Nächstenliebe. Gemeinsam mit ihrem Vater engagierte sie sich karitativ, später fand sie in dem deutschen Priester Charles Steeb einen Freund und geistlichen Wegbegleiter. Zusammen gründeten sie eine Ordensgemeinschaft mit dem Ziel, die barmherzige Liebe Gottes zu verkünden. Für Poloni waren wohltätige Taten eine der höchsten Prioritäten im Leben: Sie besuchte Kranke und Waisen, kümmerte sich um Arme und Leidende. Schließlich erkrankte sie selbst an einem Tumor, der trotz Operationen nicht heilte. Ihre Ordensgemeinschaft wuchs über Verona hinaus und breitete sich auch auf anderen Kontinenten aus.
Von spiritistischen Strömungen zu den Domikanern
Zu guter Letzt wird auch Bartolo Longo heiliggesprochen. Während seines Studiums wandte er sich spiritistischen Strömungen zu, denen er aber nach einer schweren Krise den Rücken kehrte. 1871 wurde er Mitglied des dritten Ordens der Dominikaner und nahm den Namen Rosario an. Longo ist bekannt für den Wiederaufbau einer Kirche in Pompei, die mit dem Gnadenbild "Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz" erst zum Wallfahrtsort und 1939 zur Basilika erhoben wurde. Mit seiner Frau, Gräfin Mariana di Fusco, engagierte er sich für Waisen und Kinder von Gefangenen. 1906 übergaben beide das Heiligtum dem Vatikan.
Die Sorge um Bedürftige, Kranke und Arme verbindet das Leben der künftigen Heiligen. Mit ihrer Heiligsprechung setzt auch Papst Leo XIV. den von Franziskus eingeschlagenen Weg fort und rückt die Armen weiter in den Mittelpunkt. "Eine arme Kirche für die Armen", sagte Franziskus mehrfach und machte es zu seinem Programm. Auch Leo betonte immer wieder: Die Armen stehen nicht am Rand, sondern im Zentrum der Kirche.
