Pfarrer Meurer: Habe AfD-Plakate aus demokratischen Gründen abgehängt

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Er ist der "Don Camillo aus Vingst" und hat im Kirchenkeller seiner Gemeinde eine Fabrik gegen Armut aufgebaut. Pfarrer Franz Meurer packt an, verlässt sich selten auf Politik und weiß: Demokratie bedeutet nicht Glück für alle, sondern ist mit Anstrengung verbunden. Wie konkret Zusammenleben in seinen Gemeinden aussieht, wie er nach 57 Jahren Mitgliedschaft auf die CDU blickt und warum er einmal das Gesetz gebrochen und AfD-Wahlplakate abgehängt hat, erzählt er im Interview zur bevorstehenden Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen.
Frage: Pfarrer Meurer, Sie sind seit 57 Jahren Mitglied der CDU.
Meurer: Ja klar, bei uns gab es damals nur die CDU. Wo ich jetzt arbeite, sage ich manchmal aus Blödsinn: Ich bin das jüngste CDU-Mitglied.
Frage: Passt die Arbeit der Partei immer zu Ihren Überzeugungen?
Meurer: Es ist so, ich werde wenig von der CDU eingeladen. Ich werde oft von der Linken eingeladen. Ich werde von den Grünen eingeladen und von der SPD natürlich auch. Die wollen dann etwas über christliche Soziallehre hören, also das, was unser Papst jetzt als Namen genommen hat (als Namens-Nachfolger von Papst Leo XIII. und dessen Verdienst um die katholische Soziallehre, Anm. d. Red.). Die Soziallehre der Kirche ist ja rheinischer Kapitalismus, also ein Kapitalismus, der nicht nur die Shareholder, sondern auch die Stakeholder sieht, die die Arbeit machen. In Köln sagt man: "Ich loss dich nit em Riss" ("Ich lasse dich nicht zurück"). Das ist das Versprechen der Kommunalpolitik: Du kannst dich darauf verlassen.
Frage: Wo genau ist Ihr Platz in der Partei?
Meurer: Natürlich bin ich in der CDU bei den Sozialausschusslern, und wir Sozialausschussler sind, wenn man so will, eigentlich viel linker als die meisten SPD-Leute und Grüne sowieso. Wir hätten gar nichts gegen Verstaatlichung, wenn es dem Menschen nützt. Dieses Denken vom Menschen her, inkarnativ, ist zutiefst theologisch begründet. Gott ist Mensch geworden. Der hat nicht irgendetwas heruntergebeamt, ein Programm geschmissen oder einen Blitz vom Himmel. Nein, der hat an unserem Leben teilgenommen. Das muss man nur mal bedenken. Ich würde fast sagen, mehr Demokratie als Weihnachten kann man sich doch nicht vorstellen.
Sozialpfarrer Franz Meurer setzt sich auch für obdachlose Menschen ein.
Frage: Sie äußern sich sehr gerne politisch, das haben Sie immer getan. Es gibt auch viele, die machen das ganz bewusst nicht. Warum gehen Sie mit Ihrer politischen Meinung raus?
Meurer: Ja, weil Mission herausgehen heißt, das ist überhaupt keine Frage. Die Basis der Kirche ist Diakonie, in unserer Kirche ist das auch wirklich so – auf über 800 Quadratmetern. Die Mitte ist Liturgie, dass wir Gottesdienst feiern, Gott die Ehre geben und ihn in den Mittelpunkt stellen. Die Auswirkung ist "Koinonia", also Gemeinschaft, Kirchencafé, also dass man etwas zusammen macht und dass man die Räume allen zur Verfügung stellt. Und "Martyria" – Glaubenszeugnis – heißt, auf Anfrage zu sagen, welchen Beitrag wir Christen leisten können, wie wir uns eine gerechte Welt vorstellen, wie wir meinen, dass Kommunalpolitik sein muss.
Frage: Welche Themen sind Ihnen dabei die dringlichsten?
Meurer: Zum Beispiel: "Housing First". Das ist wissenschaftlich nachgewiesen. Bevor man Obdachlosen, Drogensüchtigen und Menschen in Not mit allen möglichen Sachen wie Entschuldung, medizinischer Versorgung, Essen und Trinken hilft, hilft es zuerst mal, ein Obdach, eine Wohnung, zur Verfügung zu stellen. Und "Housing First", also eine Verteilungsgerechtigkeit herzustellen, die auch klug ist, ist doch total wichtig. Wir gehen als Christen aber weiter. Wir sagen mit Amartya Sen, dem berühmten indischen Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften: Wir brauchen eine Ermöglichungsgerechtigkeit. Deswegen haben wir doch Kindergärten als Kirche. Wir sagen: Alle Kinder müssen die Chance haben, zu lernen, sie müssen Deutsch lernen können, sie müssen in die Lage versetzt werden, überhaupt etwas aus sich zu machen. Ermöglichungsgerechtigkeit, nicht nur Chancengerechtigkeit, was ich als FDP-Mitglied sagen würde. Nein, als Christ muss ich sagen: Ermöglichungsgerechtigkeit.
Frage: In Ihren Gemeinden sind Sie zuständig für 23.000 Menschen. 4.000 davon beziehen Sozialleistungen. Sind diese Menschen von Ihrer Leidenschaft, die Sie für die Kommunalpolitik mitbringen, ansteckbar?
Meurer: Das ist verschieden. Wichtig ist, dass wir was machen. Man muss an der Basis beginnen. Wir machen zum Beispiel jeden Morgen an unserer Gesamtschule ein Frühstück. Der Leiter der Gesamtschule macht da mit. Wir finanzieren das, also nicht wir oder ich, sondern über Spenderinnen und Spender. Wir haben das Schulcafé eingerichtet. Oder wenn wir eine multireligiöse Feier haben, zum Beispiel an den letzten Tagen vor Weihnachten, wird da natürlich vom Imam aus dem Koran gesungen. Da singt aber auch a cappella der Lehrerinnenchor "Maria durch ein Dornwald ging". Da sind die Schüler völlig außer sich. Wir essen das Brot, wir leben vom Glanz, sagt Hilde Domin. Wir müssen es schön machen. Wo es arm ist, darf es nicht ärmlich sein. Das ist Kommunalpolitik.
„Ich sage, wer arbeiten kann, wer fit ist, der soll auch irgendwas machen. Da müssen die Bedingungen aber gut sein.“
Frage: Sie setzen sich für diese Menschen ein und Bundeskanzler Friedrich Merz spricht zeitgleich von mehr Sanktionen für Bürgergeldempfänger. Das Wort "Arbeitspflicht" geistert da herum. Reiben Sie sich daran?
Meurer: Ich bin da persönlich relativ rigoros. Ich sage, wer arbeiten kann, wer fit ist, der soll auch irgendwas machen. Da müssen die Bedingungen aber gut sein. Und es ist doch gerade der Sinn einer Volkspartei, dass völlig verschiedene Sichten der Wirklichkeit zusammenkommen. Was aber diese Parteien und die SPD und auch die Grünen verbindet, ist doch, dass wir sagen: Wir wollen es nach demokratischen Regeln organisieren. Das ist der entscheidende Faktor.
Frage: Sie haben mal Wahlplakate der AfD abgehängt. Wieso haben Sie das gemacht?
Meurer: Das habe ich aus Gründen der Demokratie gemacht. Eine türkische Frauengruppe, mit der ich Ausflüge gemacht habe, fragte mich, ob ich meine Meinung geändert hätte. Ich sagte: Wieso? Da fragten sie, ob ich nicht vor meiner Kirche die Plakate gegen die Großmoschee gesehen hätte. Da bin ich herumgefahren und habe gesehen, die waren in ganz Köln. Und zwar hatten sie die Plakate schlauerweise so hoch gehängt, dass man sie normal gar nicht sieht, wenn man als Radfahrer nur auf die Straße guckt. Dann blieb mir nichts anderes übrig, als mal ein Signal zu setzen und die Plakate selbstverständlich abzuhängen. Und dann musste ich selbstverständlich vor Gericht und habe schön Strafe bezahlt, es war ja Diebstahl. Wenn Sie so wollen, können Sie das mit dem fünften Buch der Nikomachischen Ethik wieder glattbügeln. Manchmal muss man, um dem Gesetz und der Gerechtigkeit zu genügen, gegen das Gesetz handeln.