Zusammenarbeit in Lehre und Forschung

Warum sich ein Krankenhausverbund Unterstützung in der Theologie sucht

Veröffentlicht am 13.09.2025 um 00:01 Uhr – Von Beate Kampen – Lesedauer: 

Dortmund/Paderborn ‐ Eine theologische Fakultät und eine Krankenhausgesellschaft wollen enger zusammenarbeiten. Das Ziel: dem christlichen Profil katholischer Medizineinrichtungen nachgehen. Was genau dahintersteckt, erklären beide Seiten im katholisch.de-Interview.

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Katholische Krankenhäuser stehen vor den gleichen Herausforderungen wie alle anderen medizinischen Einrichtungen – der wirtschaftliche Druck steigt. In einem Gesundheitssystem voller Probleme sucht sich ein Krankenhausverbund im Raum Dortmund Unterstützung in der Theologie. Aaron Langenfeld, Rektor der Theologischen Fakultät Paderborn und Ralf Meyer, Leitender ärztlicher Direktor des St.-Johannes-Hospitals Dortmund, erklären im Interview, warum es gerade jetzt eine Zusammenarbeit von Theologie und Medizin brauche.

Frage: Herr Langenfeld, Medizin und Theologie, das scheint auf dem ersten Blick gar nicht zusammen zu passen. Was gibt es für Überschneidungen innerhalb der Disziplinen?

Langenfeld: Historisch gesehen gab es immer enge Berührungspunkte zwischen der Medizin und Theologie. Heute beschäftigen sich Theologen wie auch Mediziner etwa mit Fragen der Menschenwürde und des guten gesellschaftlichen Zusammenlebens.

Frage: Herr Meyer, was war der Grund, jetzt diese Kooperation einzugehen?

Meyer: Ethische Entscheidungen spielen im Krankenhausalltag eine größere Rolle als man denken mag. Sie gehen oft an die Fundamente von Überzeugungen und Glauben. Zum Beispiel, wenn eine intensivmedizinische Behandlung nicht mehr helfen kann und im schlimmsten Fall beendet werden soll. Darüber hinaus gibt es Themen, die eine Nummer größer sind – zum Beispiel die Krankenhausreform, die vorsieht Krankenhäuser stärker zu spezialisieren. Das bedeutet, dass vor allem kleinere Krankenhäuser weniger Leistungen anbieten werden. Diese politische Entscheidung wurde in der Öffentlichkeit nur sehr oberflächlich diskutiert, aber solche Entscheidungen betreffen Grundsatzfragen der medizinischen Versorgung: Was machen wir, wenn das Geld für eine maximale Gesundheitsversorgung nicht mehr reicht? Welche Maßnahmen müsste man streichen? Oder die Frage, ob wir unser Gesundheitssystem wie in anderen Ländern kapitalistisch aufbauen wollen? Das würde bedeuten: Wer kein Geld hat, bekommt eben nicht die bestmögliche Behandlung. Oder finden wir Wege, die ethisch vertretbarer sind? Darüber müssen wir uns jetzt detailliert und interdisziplinär austauschen.  

„Was machen wir, wenn das Geld für eine maximale Gesundheitsversorgung nicht mehr reicht?“

—  Zitat: Ralf Meyer

Frage: Wie sehr drängen solche Fragen jetzt schon?

Meyer: Ich habe über viele Jahre geglaubt, dass ich mich mit kostenbedingten Einschränkungen in der Medizin in meinem aktiven Berufsleben nicht beschäftigen muss. Aber wir sehen im Moment eine medizinische Entwicklung, die wahnsinnig viele Möglichkeiten mit sich bringt, aber auch überbordend teuer ist. Eine Krebsbehandlung kostet schnell 100.000 Euro über ein bis zwei Jahre. Das sind Summen, die werden trotz aller Erhöhungen der Krankenkassenbeiträge unser Sozialsystem an die Grenzen bringen. Im Moment fällen wir Entscheidungen über Personaldichte und Zeit am Krankenbett oft für den Einzelfall. Im Anschluss kämpfen wir uns dann durch den Papierberg zur Erstattung der Kosten. Statt solcher aufwändigen Einzelfallprozesse brauchen wir jetzt eine gesellschaftliche Debatte, wie wir mit solchen Fällen umgehen. Und die Debatte muss da beginnen, wo die Ausbildung beginnt: an den Universitäten.

Frage: Wie soll ihre Zusammenarbeit konkret aussehen?

Langenfeld: Wir arbeiten vor allem im akademischen Bereich zusammen und wollen uns auf die Suche nach dem christlichen Profil medizinischer Einrichtungen begeben. Im Wintersemester starten wir mit einer Ringvorlesung, die fragt, wie mit den explodierenden Kosten im Gesundheitssystem umgegangen werden kann. Es geht dann zum Beispiel um die Frage, wie man entscheidet, welchem Patienten man als Arzt oder Ärztin nicht mehr die beste Versorgung gibt.

Frage: Das klingt so, als würde vor allen die medizinische Seite von den Erkenntnissen profitieren. Was haben die Theologen davon?

Langenfeld: Ich verstehe Theologie als Reflexion des Glaubens an Gott in allen möglichen Lebenskontexten – also auch in der Medizin. Ganz konkret bilden wir aber auch künftige Seelsorgerinnen und Seelsorger aus, die in Kliniken eingesetzt werden. Sie müssen verstehen, welche Themen Ärztinnen und Ärzte beschäftigen. Durch den Austausch mit den Medizinern bekommen wir aber auch einen Einblick, was Patienten, Angehörige oder Angestellte im Krankenhaus von der Kirche brauchen. Für uns ist beispielsweise spannend zu erfahren, wer liturgische Formen im Krankenhausalltag aufsucht und welche Art und Weise der Liturgie gut ankommt.

Meyer: Die Theologen werden außerdem ihre theoretischen Überlegungen zu medizinischer Ethik an der Realität messen können. Das kann für sie sehr erkenntnisreich sein.

Krankenhauskapellen – Orte, die die Verbindung von Theologie und Medizin verdeutlichen.
Bild: ©KNA/Harald Oppitz (Symbolbild)

Krankenhauskapellen – Orte, die die Verbindung von Theologie und Medizin verdeutlichen.

Frage: Haben die Medizinstudierenden überhaupt Interesse, sich mit Theologie auseinanderzusetzen?

Meyer: Das Interesse für Theologie und Ethik ist sicherlich unterschiedlich. In meinem Fach, der Onkologie, sind es wahrscheinlich mehr Studierende als in anderen medizinischen Fachbereichen. Wir als Krankenhaus wollen aber auch den sehr operativ denkenden Medizinern den Anstoß geben, sich mit ethischen Fragen auseinanderzusetzen. Wir wollen Debatten über die eigenen Fälle in einer besonderen Tiefe ermöglichen. Das wird immer wichtiger, wenn unsere Studierenden als zukünftige Ärzte und Ärztinnen die finanzielle Missentwicklung des Gesundheitssystems ausbaden müssen.

Frage: Es gibt auch Themen, bei denen sich theologische und medizinische Ansichten klassischerweise gegenüberstehen: zum Beispiel beim Thema Abtreibungen. Wie wollen Sie in diesen Bereichen zusammenarbeiten?

Langenfeld: Uns allen ist bewusst, dass es bioethische Konfliktfelder gibt. Diese Konfliktlinien verlaufen aber nicht dezidiert zwischen der Theologie und Medizin. Es gibt ja nicht wenige Ärztinnen und Ärzte, die eine sehr klare Position zum Lebensschutz vertreten. Und auch in der Theologie ist das Thema heftig umstritten. Ich als Theologe gehe davon aus, dass die Kirche sehr gute Gründe für ihre Position hat, die auch für die medizinische Reflexion des Lebensschutzes von Bedeutung sind. Eine Theologie, die – wie Papst Leo einfordert – auf Dialog setzt und Brücken bauen will, muss aber auch immer offen sein zu hören, welche Erfahrungen die Praxis macht.

Meyer: Diese Themen mit scheinbar noch unvereinbaren Ansichten werden wir nicht gleich im ersten Semester thematisieren. Wenn die Zusammenarbeit gut läuft, sollen nach und nach aber auch kritischere Themen hinzukommen.

Eine Studentin geht durch die Bibliothek
Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht (Symbolbild)

Die Kooperation zwischen Medizinern und Theologen soll in der Ausbildung der betroffenen Berufsgruppen beginnen – an der Universität.

Frage: Sie haben ja schon die Ringvorlesung genannt. Sind bei den Projekten vor allem die Studierenden im Fokus der Zusammenarbeit?

Langefeld: Ja. Bei der Ringvorlesung wollen wir vor allem Studierende unterschiedlicher Fächer zusammenbringen. Wir erwarten beim Thema Gesundheitsökonomie auch Interessierte aus der Philosophie und den Wirtschaftswissenschaften. Wir wollen gerne auch gemeinsam forschen. Da würde die Zusammenarbeit Doktorandinnen und Doktoranden, gegebenenfalls auch Post-Docs betreffen.

Frage: Was wäre denn ein Erfolg der Zusammenarbeit, wenn wir zehn Jahre in die Zukunft schauen?

Meyer: Ich fände es gut, wenn sich die Zusammenarbeit zunehmend institutionalisiert. Unsere fachübergreifenden Themen sollten ein fester Teil des Lehrplans in Paderborn werden und auch verpflichtend für die Studierenden, für die wir im Praktischen Jahr die Verantwortung nehmen. Das wären wichtige Schritte zur notwendigen fachlichen Verschränkung der beiden Disziplinen.

Langenfeld: Für mich wäre es ein Erfolg, wenn es in zehn Jahren eine Generation von Studierenden gibt, die von unserer Zusammenarbeit profitieren konnte. So eine Zusammenarbeit kann ein Weg sein, wie die Theologie in einer säkularen Gesellschaft seine Stimme bewahren kann.

Von Beate Kampen