Katholischer Priester und Homiletik-Professor im Interview

Theologe Beck: Der Anspruch an die Weihnachtspredigt ist sehr hoch

Veröffentlicht am 22.12.2025 um 00:01 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 

Frankfurt am Main ‐ Volle Kirchen, hohe Erwartungen: Für Prediger ist Weihnachten eine Herausforderung. Der Priester und Homiletik-Professor Wolfgang Beck erklärt im Interview, worauf es bei einer guten Weihnachtspredigt ankommt, wie er sich auf die Predigt vorbereitet und ob er Angst vor "Bullshit-Bingo" hat.

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Kaum ein Gottesdienst im Jahr ist so gut besucht wie der am Heiligen Abend – und kaum eine Predigt steht unter einem so hohen Erwartungsdruck. Wie kann eine Predigt unter diesen Bedingungen gelingen? Der Priester und Frankfurter Homiletik-Professor Wolfgang Beck spricht im Interview mit katholisch.de über die besonderen Herausforderungen der Weihnachtspredigt, über politische Verantwortung beim Predigen und darüber, warum Prediger den biblischen Texten ruhig widersprechen dürfen.

Frage: Professor Beck, als Priester und Professor für Homiletik blicken Sie aus zwei Perspektiven auf das Predigen. Welche Bedeutung hat die Weihnachtspredigt für Sie?

Beck: Die Weihnachtspredigt hat für mich schon immer eine besondere Bedeutung. Natürlich wird jede Predigt, die sonntags oder zu anderen Anlässen gehalten wird, intensiv vorbereitet. An Weihnachten ist der Anspruch vieler Predigerinnen und Prediger aber noch einmal deutlich gesteigert. Unter Priestern wird im Vorfeld nicht selten darüber gesprochen, ob es schon eine gute Idee für die Weihnachtspredigt gibt. Das zeigt, dass Weihnachten einen erweiterten Anspruch mit sich bringt. Das liegt zum einen daran, dass die Gottesdienste meist deutlich besser besucht sind als an anderen Sonntagen. Zum anderen ist die Zusammensetzung der Gemeinde oft ungewohnt, und auch die Erwartungshaltung ist eine andere.

Frage: Manche Pfarrer und Pfarrerinnen sagen, die Weihnachtspredigt sei die schwerste Predigt des Jahres. Sehen Sie das auch so?

Beck: Ja, ich halte sie schon eher für schwierig. Schon allein deshalb, weil sich das Festmotiv jedes Jahr wiederholt und man dennoch immer etwas Neues sagen muss und auch möchte. Das gilt zwar auch für andere Kirchenfeste, an Weihnachten ist der Anspruch aber besonders hoch – gerade, weil man auch Menschen ansprechen möchte, die sonst kaum oder gar nicht in die Kirche kommen. Diese veränderte Konstellation der Gottesdienstgemeinde steigert die Erwartungshaltung noch einmal. Hinzu kommt aber noch ein weiterer Aspekt, der für das Predigtgeschehen an Weihnachten nicht unwichtig ist.

Frage: Welcher?

Beck: Wenn Prediger und Gemeinde sich gut kennen, funktioniert Predigt als Beziehungsgeschehen anders. Etwas einfach formuliert: Eine vertraute Gemeinde verzeiht auch einmal eine weniger gelungene Predigt, weil sie den Prediger kennt, seine Situation einschätzen kann oder weiß, dass er es an anderer Stelle schon besser gemacht hat. An Weihnachten ist diese Vertrautheit durch die Anwesenheit der "Weihnachtskirchgänger" oft nicht gegeben oder zumindest weniger ausgeprägt. Das erzeugt einen zusätzlichen Unsicherheitsfaktor.

„Es gibt keine unpolitische Predigt. Jedes öffentliche Wort hat einen gesellschaftlichen und politischen Bezug. Eine Predigt, die das vermeiden will, halte ich für problematisch.“

—  Zitat: Wolfgang Beck

Frage: Wann beginnen Sie persönlich mit der Vorbereitung auf die Weihnachtspredigt – und wie sieht dieser Prozess aus?

Beck: Mit der Weihnachtspredigt beginne ich tatsächlich früher als mit normalen Sonntagspredigten. Schon im Advent beschäftigt sie mich immer wieder, zumal es ja meist mehrere Predigten sind, die zu halten sind. Ich spreche auch mit Kolleginnen und Kollegen oder Freunden darüber und frage, ob jemand vielleicht schon eine bessere Idee hat als ich. Die Vorbereitung ist also intensiver. Im Grundsatz ähnelt der Ablauf aber anderen Predigtvorbereitungen. Dazu gehört für mich immer ein geistlicher Zugang: Die Predigt ist keine beliebige Rede, sondern Ausdruck des eigenen geistlichen Lebens. Gebet und Meditation gehören ebenso dazu wie die theologische und bibelwissenschaftliche Auseinandersetzung mit den biblischen Texten. Ein weiterer Punkt ist mir zudem besonders wichtig: die Frage nach aktuellen gesellschaftlichen oder politischen Themen. Gibt es Themen, die in der Liturgie aufgegriffen werden müssen? Diese Frage gehört für mich zu jeder Predigtvorbereitung dazu – gerade an Weihnachten. Wenn aktuelle gesellschaftliche Themen in der Liturgie oder der Predigt gar nicht aufgegriffen werden, ist das aus meiner Sicht ein großes, theologisches Problem.

Frage: Sie haben es bereits gesagt: An Weihnachten kommen viele Menschen in die Kirche, die sonst selten oder nie einen Gottesdienst besuchen. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?

Beck: Es geht keinesfalls darum, Menschen dafür zu kritisieren, dass sie nur einmal im Jahr in die Kirche kommen. Vielmehr sollte man sich als Predigerin oder Prediger selbst unter den Anspruch stellen, dass alle, die da sind, den Gottesdienst als geistlich wertvoll erleben können. Menschen, die selten in den Gottesdienst gehen, bringen oft andere Erwartungen mit – etwa an die Ästhetik oder an die Professionalität. Das betrifft auch die Predigt. Eine Predigt, die sich ausschließlich in binnentheologischen oder binnenbiblischen Sphären bewegt, wird diesen Erwartungen eher nicht gerecht. Es ist deshalb wichtig, gesellschaftliche und kulturelle Bezüge herzustellen. Damit wird erkennbar, dass der christliche Glaube konkrete Bezüge zum eigenen Leben und dem gesellschaftlichen Miteinander hat.

Frage: Weihnachten ist ein Fest, das mit Traditionen und Erwartungen geradezu überfrachtet ist. Wird das für die Predigt zum Problem?

Beck: Für die Predigt weniger, das betrifft nach meinem Erleben eher die Liturgie. Menschen, die nur noch selten Gottesdienste feiern, haben oft sehr feste Traditionserwartungen. Wenn etwa ein bestimmtes Lied nicht gesungen wird, kann das schnell als Eklat empfunden werden. Das hat mitunter wenig mit der tatsächlichen liturgischen Tradition zu tun, sondern eher mit persönlichen Erinnerungen an frühere Weihnachten. In Bezug auf die Predigt erlebe ich dagegen eine große Offenheit. Gleichzeitig gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Diskussionen darüber, wie politisch Weihnachtspredigten sein dürfen. Dazu sage ich ganz klar: Es gibt keine unpolitische Predigt. Jedes öffentliche Wort hat einen gesellschaftlichen und politischen Bezug. Eine Predigt, die das vermeiden will, halte ich für problematisch – weil sie die Themen ausblendet, die die Menschen beschäftigen. Das wäre letztlich das Gegenteil dessen, wofür das Weihnachtsereignis steht.

Frage: Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas ist wohl einer der bekanntesten biblischen Texte überhaupt; selbst Fernstehende können meist zumindest Teile des Textes auswendig. Wie kann es trotzdem gelingen, diesen so bekannten Text jedes Jahr neu und spannend in der Predigt zu interpretieren?

Beck: Es lohnt sich, sich auf einzelne Elemente der Erzählung zu konzentrieren. Man muss nie die gesamte Weihnachtsgeschichte nach Lukas behandeln, sondern kann einzelne Facetten herausgreifen. Das macht unterschiedliche Aspekte des Textes sichtbar. Außerdem halte ich es für wichtig, mit dem Bibeltext zu diskutieren. Eine Predigt, die lediglich nacherzählt, was zuvor im Evangelium schon vorgelesen wurde, läuft Gefahr, langweilig zu werden. Spannender wird es, wenn Predigerinnen und Prediger Fragen an den Text stellen, mit ihm ringen und nicht alles als selbstverständlich hinnehmen. Dann wird deutlich: Da steht ein Mensch, der selbst sucht und nicht vorschnelle Antworten liefert. So kann auch eine vertraute Geschichte neu ansprechen.

Bild: ©Christoph Haake

Wolfgang Beck ist Priester und Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen. Außerdem gehört er seit 2011 zum Kreis der Sprecherinnen und Sprecher des "Wort zum Sonntag" in der ARD.

Frage: Vor einigen Jahren sorgte der Journalist Philipp Greifenstein mit einem satirischen "Bullshit-Bingo" mit typischen Weihnachtspredigt-Phrasen für Aufmerksamkeit. Wie blicken Sie darauf?

Beck: Darin steckt durchaus berechtigte Kritik. Es gibt im kirchlichen Kontext Professionalitätsdefizite bei Predigten, das lässt sich nicht leugnen. Gleichzeitig ist eine solche satirische Zuspitzung auch etwas gnadenlos. Wahrscheinlich bräuchte es deshalb besser einen Mittelweg. Floskeln und Oberflächlichkeiten zu vermeiden, ist eine große Kunst. Ob mir selbst das immer gelingt, weiß ich auch nicht. Vermutlich würde auch ich bei einem solchen "Bullshit-Bingo" den einen oder anderen Treffer landen.

Frage: Wie kann man dieser Floskelfalle entgehen?

Beck: Die Gefahr, in diese Falle zu tappen, besteht immer. Sie ist vielleicht etwas geringer, wenn man frei predigt – gut vorbereitet, aber ohne Manuskript. Gleichzeitig sind wir alle durch kirchliche Sprachspiele geprägt. Bestimmte Formulierungen gehören einfach dazu und wirken auf Außenstehende manchmal befremdlich. Umso wichtiger sind ehrliche Rückmeldungen. Genau die sind im Umfeld der Gottesdienste aber selten. Predigerinnen und Prediger müssen sie aktiv suchen.

Frage: Wie kann das gelingen?

Beck: Meist bekommt man schon während der Predigt zumindest ein Gefühl dafür, wie die Predigt bei der Gemeinde ankommt. Predigt ist immer ein Kommunikationsgeschehen, auch wenn die Rückmeldungen meist nonverbal sind – durch Gesichtsausdrücke oder Körperhaltungen. Ich empfehle außerdem, sich nach dem Gottesdienst nicht sofort in die Sakristei zurückzuziehen, sondern hinten in der Kirche ansprechbar zu sein. Das hat eine seelsorgliche Dimension, ist aber auch eine Art Verlängerung der Predigt. Mit der Zeit merken Menschen, dass sie das nutzen können, und sind dankbar dafür. Erst in solchen Gesprächen wird echte Rückmeldung möglich.

„Es gibt Themen, die sehr wichtig sind und in den gesellschaftlichen Öffentlichkeiten zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Predigten können hier eine Art Anwaltschaft für die leicht zu übersehenen Themen übernehmen.“

—  Zitat: Wolfgang Beck

Frage: Gibt es Themen, die aus Ihrer Sicht am Ende dieses gesellschaftlich, kirchlich und politisch so turbulenten Jahres unbedingt in der bevorstehenden Weihnachtspredigt vorkommen sollten?

Frage: Ich selbst bin noch unentschieden und habe meine Weihnachtspredigt noch nicht fertig. Politisch zu predigen heißt für mich zudem nicht, nur das zu wiederholen, was in Kommentaren oder Talkshows ohnehin ständig gesagt wird. Es gibt aber Themen, die sehr wichtig sind und in den gesellschaftlichen Öffentlichkeiten zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Predigten können hier eine Art Anwaltschaft für die leicht zu übersehenen Themen übernehmen.

Frage: Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Beck: Bei mir in Hessen etwa gibt es seit einiger Zeit eine deutlich verschärfte Abschiebepraxis, mit einem Abschiebezentrum in Südhessen und teils dramatischen Situationen. Diese Entwicklungen kommen in den Medien kaum vor. Daneben gibt es Themen wie Gewalt gegen Frauen oder gegen Minderheiten. Wenn Menschen in unserer Gesellschaft dauerhaft ein Gefühl von Unsicherheit erleben, darf uns das nicht gleichgültig lassen. Solche Themen sind auch für Predigerinnen und Prediger wichtig.

Frage: Was raten Sie jungen Priestern, die in diesem Jahr vielleicht zum ersten Mal an Weihnachten predigen?

Beck: Man kann eine mehrjährige Predigtausbildung natürlich nicht in wenigen Sätzen zusammenfassen. Mein wichtigster Rat wäre aber – wie schon erwähnt –, mit den biblischen Texten zu diskutieren und ihnen nicht vorschnell zuzustimmen. Und ganz wichtig: freundlich schauen. Viele fromme Menschen schauen ernst, manchmal sogar streng. Es mag simpel oder oberflächlich erscheinen, enthält aber durchaus einen triefen Sinn: Ein freundlicher Blick, ein Lächeln verändern den Duktus einer Predigt enorm – auch wenn man selbst nervös oder angespannt ist.

Frage: Und wie sollten junge Priester damit umgehen, wenn sie an Weihnachten zum ersten Mal vor einer rappelvollen Kirche stehen? Das kann ja durchaus einschüchternd wirken ...

Beck: Sie sollten sich freuen, über sich selbst lächeln und keine Angst vor einer Blamage haben. Letztlich ist es immer noch das Werk Gottes – und nicht das des Predigers oder der Predigerin.

Von Steffen Zimmermann