Zweiter Teil der Reihe zum Dekalog

Nichts soll zwischen Gott und den Menschen stehen: Das Erste Gebot

Veröffentlicht am 24.03.2019 um 13:31 Uhr – Von Till Magnus Steiner – Lesedauer: 

Bonn ‐ "Du sollst neben mir keine anderen Götter haben": Im zweiten Teil der katholisch.de-Reihe zum Dekalog geht es um das Erste Gebot. Gott verlangt darin von seinem Volk, dass es ausschließlich ihn verehrt. Eng damit verknüpft ist das Verbot, ein Kultbild von ihm herzustellen.

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"Vor mir ist kein Gott gebildet worden, und nach mir wird keiner sein", sagt Gott über sich im Buch Jesaja und "Ich bin der Erste, ich bin der Letzte, außer mir gibt es keinen Gott." (Jes 43,10.44,6). In diesen Worten zeigt sich ein Grundfundament sowohl des heutigen Judentums als auch des Christentums: Sie sind monotheistische Religionen. Für Juden und Christen existieren außer dem einen, geglaubten Gott keine anderen Götter. Doch dieser Glaube hat einen Werdegang und entstand in einer Umwelt, die ganz selbstverständlich von der Existenz und Macht verschiedener Gottheiten ausging. Auch im Alten Testament finden sich Aussagen, die die Existenz anderer Götter nicht bestreiten. So wird der Auszug aus Ägypten als Entmachtung der ägyptischen Götter gedeutet, wenn Gott spricht: "Über alle Götter Ägyptens halte ich Gericht, ich, der HERR" (Ex 12,12). In Israels Glaubensgeschichte ereignete sich für das spätere Judentum und die Christenheit ein entscheidender Schritt. Die ausschließliche Verehrung des Gottes Israels wurde zum Gesetz: "Wer einer Gottheit außer dem HERRN Schlachtopfer darbringt, soll dem Bann verfallen" (Ex 22,19).

Diese Ausschließlichkeit der Verehrung wurde zum grundlegenden Verbot am Anfang der Zehn Gebote: "Du sollst neben mir keine anderen Götter haben" (Ex 20,3), wie es in der neuen, revidierten Einheitsübersetzung von 2016 heißt. Anders als die deutsche Übersetzung suggeriert, ist die mit "neben mir" übersetzte Formulierung im Hebräischen mehrdeutig. Ebenso lässt sich übersetzen: "Du sollst vor meinem Angesicht keine anderen Götter haben", oder "Du sollst keine anderen Götter anstelle von mir haben". Hier ist die absolute Ausschließlichkeit formuliert, die aus der Befreiung aus Ägypten resultiert und Israel später zum Monotheismus führt. In der Darstellung der Geschichte Israels zeigt sich jedoch, das Ideal und Realität oft weit auseinander liegen. In den Büchern der Könige finden sich mehrfach Erwähnung von Götterbildern in dem Tempel des Gottes, der neben sich keine andere Gottheit duldet (siehe zum Beispiel 1 Kön 15,13).

Die Entstehung der Buchreligion

Nicht nur das Verbot, andere Götter zu verehren, sondern auch das in den Zehn Geboten darauffolgende Bilderverbot konstituieren die Andersartigkeit und Fremdheit Israels im Alten Orient – und beide Verbote sind eng miteinander verbunden. Indem die Herstellung eines Kultbildes, das Gott darstellen könnte, verboten wird, entsteht die Besonderheit des Judentums, des Christentums und auch des Islams. Durch das Bilderverbot wird die Buchreligion erschaffen: "Du sollst dir kein Kultbild machen und keine Gestalt von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde" (Ex 20,4). Im Buch Deuteronomium wird das Gebot mit der Art und Weise begründet, in der sich Gott seinem Volk am Berg Sinai offenbart hat: "Nehmt euch um eures Lebens willen gut in Acht! Denn ihr habt keinerlei Gestalt gesehen an dem Tag, als der HERR am Horeb mitten aus dem Feuer zu euch sprach. Lauft nicht in euer Verderben und macht euch kein Kultbild, das irgendetwas darstellt […]" (Dtn 4,15–16).

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Jede Gesellschaft braucht ihre Regeln, denn ohne sie läuft alles drunter und drüber. Das "katholische Grundgesetz" bilden die Zehn Gebote.

Gott ist in der Welt nicht in einem Bild repräsentiert, sondern in seinem kundgetanen Willen, den er seinem Volk mitgeteilt und selbst in den Zehn Geboten verschriftlicht hat. Dass es im Bilderverbot nicht einfach um ein generelles Kunstverbot geht, verdeutlicht bereits die gegebene Begründung: "Du sollst dich nicht vor ihnen [einem Kultbild und einer Gestalt] niederwerfen und ihnen nicht dienen" (Ex 20,5). Aus ihr ergibt sich die direkte Verbindung zum Verbot, andere Götter zu verehren. Sich niederzuwerfen und jemandem zu dienen sind keine nur auf die Religion begrenzte Handlungen. Das Niederfallen gehörte im Alten Orient und im Alten Testament zu den Gesten etwa eines Beamten vor seinem König oder eines Vasallen vor seinem Herrn. Die Israeliten stehen vollends im Dienstverhältnis zu Gott und nichts Geschaffenes soll sich zwischen den Schöpfer und sein Volk stellen oder gestellt werden.

Diese geforderte ausschließliche Beziehung ist im Wesen Gottes grundgelegt. Der Gott, der sich zu Beginn der Zehn Gebote als Befreier aus Ägypten in Erinnerung gerufen hat, beschreibt sich im ersten Gebot als "eifersüchtiger Gott", wie es in der revidierten Einheitsübersetzung heißt. Diese Worte bedeuten nicht, dass Gott von einer egoistischen Leidenschaft getrieben wäre. Sondern, dass er ein eifervoller Gott ist, der unablässig Schuld verfolgt – selbst generationenübergreifend –, aber dessen Liebe größer ist als sein Zorn. "Denn ich bin der HERR, dein Gott, ein eifersüchtiger Gott: Ich suche die Schuld der Väter an den Kindern heim, an der dritten und vierten Generation, bei denen, die mich hassen; doch ich erweise Tausenden meine Huld bei denen, die mich lieben und meine Gebote bewahren" (Ex 20,5–6). In dieser Beschreibung Gottes verdeutlich sich, dass es im Bund mit Gott keine menschliche Gleichgültigkeit gibt, sondern nur Extreme: lieben und hassen. Und die geforderte liebevolle Verbundenheit mit Gott wird mit dem Einhalten seiner Gebote, der Zehn Gebote, identifiziert.

Von Till Magnus Steiner