Pater Anselm Grün über die Zehn Gebote

Die Zehn Gebote: Wegweiser durch das Leben

Veröffentlicht am 02.01.2015 um 00:00 Uhr – Von Margret Nußbaum – Lesedauer: 
Die Zehn Gebote

Bonn ‐ Sind die Zehn Gebote noch zeitgemäß? Absolut, denn sie können ein wichtiger Leitfaden sein. "Die Zehn Gebote sind Wegmarken auf der Reise durch die Werte-Wüste", sagt Pater Anselm Grün.

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Sie mussten die Zehn Gebote auswendig lernen und vor der Beichte ihr Gewissen erforschen. Das hatte oft einen bitteren Beigeschmack. Denn vor allem Kinder waren mit der Furcht vor der Strafe Gottes besetzt, mit der Angst, von Eltern oder Lehrern beim Naschen oder Streiten erwischt zu werden. Um zu verstehen, wie streng am Wort sich Kirche und Dorfgemeinschaft orientierten, lohnt sich ein Rückblick in die Entstehungsgeschichte der Zehn Gebote.

Ursprünglich ein Moralkodex

"Die Moses-Offenbarung auf dem Berg Sinai hat nie stattgefunden", sagt Notker Wolf, Abtprimas der Benediktiner und Autor des Buches "Regeln zum Leben". Die Zehn Gebote seien in einem langen Prozess entstanden und die heutige Fassung nach Meinung der meisten Bibelforscher erst im ersten Jahrhundert nach Christus. "Ihre Wirkung entfalteten sie aber schon lange vorher", erklärt der Abtprimas. "Vorformen gab es wahrscheinlich seit am achten vorchristlichen Jahrhundert. Sie waren Zeichen des Bundes Gottes mit dem Volk Israel, nicht nur ein einfacher Moralkodex. Gegen sie zu verstoßen, bedeutete, den Bund mit Gott zu lösen." Jesus fasste die Gebote im Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe zusammen: "Das Erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft. Als Zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden." (Markus 12,29-31).

Zur Person

Anselm Grün ist ein deutscher Benediktinerpater, Autor spiritueller Bücher, Referent zu spirituellen Themen, geistlicher Berater und Kursleiter.

Gebote aus eigenem Antrieb halten

"Jesus hat verstanden, worum es in den Geboten letztlich geht, nämlich um die Frage, ob wir Gott und den Menschen und uns selbst lieben, ob die Liebe die eigentliche Grundlage unseres Lebens ist oder Hass und Zwietracht, Neid und Gewalt", erklärt Pater Anselm Grün. "Die Zehn Gebote sind älter als alle staatlichen Gesetze, aber sie haben keine Macht, man muss sie innerlich annehmen, aus eigenem Antrieb heraus halten, das sind ihre Stärken", sagt Abtprimas Notker Wolf. "Sie gehen tiefer als die staatlichen Gesetze, sie bilden den Boden, auf dem ein Gemeinwesen wachsen kann – gerade weil sie auf Freiwilligkeit setzen."

Kein moralischer Zeigefinger

"Ich kann die Gebote auch als Spiegel verstehen, in denen ich mich und meinen inneren Zustand reflektiert sehe", sagt Pater Anselm Grün. "Ich kann darin sehen, ob ich auf einem Weg bin, der für mich gut ist, ober ob ich in die Irre gehe. Und ich kann erkennen, wie es gerade um mich steht, ob ich selbst lebe oder gelebt werde, ob ich frei bin oder mich wieder von Neuem versklaven lasse."

Es geht also nicht um den erhobenen moralischen Zeigefinger. Vielmehr geht es darum, sie als Weg in die Freiheit von Abhängigkeiten zu sehen.

Bücher zum Thema

Anselm Grün: Die Zehn Gebote – Wegweiser in die Freiheit. 16,90 Euro, Vier-Türme-Verlag, Münsterschwarzach.

Die meisten Menschen kennen die Zehn Gebote noch aus ihrer Kindheit und verbinden damit häufig nur negative Erinnerungen an den Beichtstuhl. Doch diese Grundpfeiler der christlichen Ethik können weit mehr als verbieten und vorschreiben. Sie geben uns Sicherheit und Orientierung in einer Welt voller Möglichkeiten und Meinungen. Anselm Grün zeigt in diesem Buch, wie die Zehn Gebote für jeden einzelnen Menschen als Wegweiser in die Freiheit verstanden und als praxisnahe Lebenshilfe in den Alltag integriert werden können.

Notker Wolf/Matthias Drobinski: Regeln zum Leben. Die Zehn Gebote – Provokation und Orientierung für heute. 12,95 Euro, Verlag Herder.

Die Zehn Gebote haben nicht nur die jüdische und die christliche Geschichte geprägt, sondern auch die Aufklärung und die Verfassungen der modernen Demokratien. In den vergangenen Jahren hat das älteste Regelwerk der Welt eine erstaunliche Renaissance erfahren. Nicht mehr als lebensferne Einengung, sondern als Leitfaden für ein gelingendes Leben und ein friedliches Zusammenleben. Hier werden die Zehn Gebote erschlossen als aktuelle Orientierung für uns – hier und heute.

Von Margret Nußbaum