Sie mussten die Zehn Gebote auswendig lernen und vor der Beichte ihr Gewissen erforschen. Das hatte oft einen bitteren Beigeschmack. Denn vor allem Kinder waren mit der Furcht vor der Strafe Gottes besetzt, mit der Angst, von Eltern oder Lehrern beim Naschen oder Streiten erwischt zu werden. Um zu verstehen, wie streng am Wort sich Kirche und Dorfgemeinschaft orientierten, lohnt sich ein Rückblick in die Entstehungsgeschichte der Zehn Gebote.
Ursprünglich ein Moralkodex
"Die Moses-Offenbarung auf dem Berg Sinai hat nie stattgefunden", sagt Notker Wolf, Abtprimas der Benediktiner und Autor des Buches "Regeln zum Leben". Die Zehn Gebote seien in einem langen Prozess entstanden und die heutige Fassung nach Meinung der meisten Bibelforscher erst im ersten Jahrhundert nach Christus. "Ihre Wirkung entfalteten sie aber schon lange vorher", erklärt der Abtprimas. "Vorformen gab es wahrscheinlich seit am achten vorchristlichen Jahrhundert. Sie waren Zeichen des Bundes Gottes mit dem Volk Israel, nicht nur ein einfacher Moralkodex. Gegen sie zu verstoßen, bedeutete, den Bund mit Gott zu lösen." Jesus fasste die Gebote im Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe zusammen: "Das Erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft. Als Zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden." (Markus 12,29-31).