"Persönliches Pfingsten"
"Und keiner kann sagen: Jesus ist der Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet", heißt es im Korintherbrief (1 Kor 12,3). Auch für die Charismatische Erneuerung, die Ende der 1960er Jahre innerhalb der katholischen Kirche entstanden ist, führt der Weg vor allem über den Heiligen Geist zum Sohn und durch ihn zum Vater. Als "persönliches Pfingsten" bezeichnen die Anhänger ihre Erfahrungen mit dem Geist Gottes, aus denen sie die Kraft für ihren Glauben und damit auch für ihren Alltag ziehen.
Eine Nähe zu anderen geistlichen Aufbrüchen – zum Beispiel in den evangelischen Freikirchen – ist nicht von der Hand zu weisen. "Sie befinden sich aber voll und ganz auf dem Boden der katholischen Lehre", sagt Peter Hundertmark, Pastoralreferent im Bistum Speyer und Experte für die Neuen Geistlichen Gemeinschaften. Zu dem Ergebnis kamen auch die theologischen Ausschüsse, die die Gemeinschaft beobachtet und sich schließlich für deren Anerkennung ausgesprochen haben. Der Vatikan und die Deutsche Bischofskonferenz folgten den Erkenntnissen. "Sektiererische Tendenzen waren und sind dort nicht zu erkennen", erklärt Hundertmark.
Nähe zu Gott gesucht
Eine eigene Theologie produzieren die Charismatiker nicht. Vielmehr ist es ein gelebter Glaube. "Eine Erneuerung der Gottesbeziehung durch den Heiligen Geist", nennt der Geschäftsführer der Charismatischen Erneuerung, Karl Fischer, das. Bei vielen Menschen sei das Christsein eher eine Formalität und Gott ein "entfernter Gott". Den Charismatikern gehe es dagegen um Nähe. "Wir sagen zu Gott Abba, Vater oder einfach Du." Man wolle damit aber keinem anderen Christen seine Beziehung zu Gott absprechen, erklärt er.
Wie viele Menschen der Bewegung in Deutschland angehören, ist nur schwer zu schätzen. Das liegt auch an ihrer – nur mühsam zu überschauenden – Struktur. Im Kern umfasst die Charismatische Erneuerung zwei Säulen: Da sind die 35 gut organisierten Gemeinschaften, die Namen wie "Emmausbewegung" oder "Chemin Neuf" tragen und zwischen 20 und 300 Mitglieder haben. Und da existieren die eher losen Gebetskreise in den einzelnen Diözesen, Pfarreien und Gemeinden. Ungefähr 500 bis 600 gibt es davon. Die Gemeinschaft selbst kann ihre Anhänger also auch nur schätzen. Sie geht bundesweit von einer Zahl von bis zu 15.000 aus.
Eine von ihnen ist Beatrix Schönbuchner. Die 38-Jährige ist freiberufliche Mediengestalterin und hat 2010 über die Charismatische Erneuerung zum Glauben gefunden. Seitdem habe sich ihr Leben völlig verändert, berichtet sie. Auch das ist typisch für die Gemeinschaft. Der Anteil der Erwachsenentaufen und Wiedereintritte ist hier höher als in der "normalen" Pfarrgemeinde. "Gott heilt, segnet und hilft mir, die Talente zu finden, die ich schon seit meiner Geburt in mir trage", sagt sie. Und der Heilige Geist befähige sie, Dinge aus der Schrift oder Gebetseindrücke zu verstehen.
"Prophetischen Rede" und "Beten in neuen Sprachen"
"Dem einen wird vom Geist die Gabe geschenkt, Weisheit mitzuteilen, dem andern durch den gleichen Geist die Gabe, Erkenntnis zu vermitteln", heißt es im Korintherbrief weiter (1 Kor 12,8). Hierauf berufen sich die Charismatiker. Und hieraus leitet sich auch der Name ihrer Gemeinschaft ab: Denn "Charisma" bedeutet so viel wie "Geschenk" oder "Gnadengabe". Im Korinther- und Römerbrief lassen sich eine Vielzahl dieser Gaben finden: Erkenntnis vermitteln, heilen, trösten, ermahnen, lehren oder Barmherzigkeit üben.
Mit diesen Gaben kann auch der "normale" Gemeindechrist etwas anfangen. Etwas schwieriger wird es dann mit Gaben wie der "prophetischen Rede" oder dem "Beten in neuen Sprachen", die der Korintherbrief ebenfalls kennt und die für die Gemeinschaften eine wichtige Rolle spielen. "Es gibt das formulierte Gebet, das jeder kennt", sagt Fischer. Weniger bekannt sei da schon das freie Gebet, das für meisten Christen auf den ersten Blick ungewöhnlich wirken könne. Dabei beten die Menschen nicht still und leise, sondern laut. Sie beten kein gemeinsames und vorgegebenes Gebet, sondern mit eigenen Worten.
Doch wirklich ungewöhnlich wird es erst beim Sprachengebet. Gläubige, die in Wortsilben beten, die in unserer Ohren keinen Sinn ergeben. "Dabei wird extra auf formulierte Worte verzichtet", sagt Fischer, und vergleicht das mit den Sprechversuchen eines Kleinkindes. Auch das verstehe man nicht, sehe aber, was es meint, und dass es glücklich ist. Es bedürfe Mut, ohne formulierte Worte vor Gott zu treten, erklärt er. "Und das Gebet lässt sich natürlich auch dort anwenden, wo einem die Worte einfach fehlen."
Verbindlicheres Christsein gewünscht
Gerade von den Bischöfen wünscht sich Fischer, dass sie ihre Priester und Gemeinden intensiver über diese neuen Gebetsformen informiert. "Wir brauchen außerdem ein verbindlicheres Miteinander, zum Beispiel in Hauskreisen und Gebetsgruppen." Es dürfe nicht sein, dass der Pfarrer froh ist, über die Leute, die noch in den Gottesdienst kommen und sagt: "Mehr kann ich nicht verlangen." Es bedürfe einer Gemeinschaft von Christen, die über die Eucharistiefeier hinausgehe.
Die Gebetskreise der Charismatiker treffen sich wöchentlich oder alle 14 Tage. Auch bei Beatrix Schönbuchner im Bistum Passau. "Durch das Gebet sollen die Mitglieder eine persönliche Beziehung zum dreifaltigen Gott finden", sagt sie. Das Wort Gottes aus der Bibel sei die Richtschnur. In den Gebetskreisen werde es geteilt und gelesen. Ebenfalls dazu gehörten "Lobpreislieder zur Ehre Gottes" und das Vortragen von Fürbitten, so Schönbuchner. Außerdem gibt es in Passau einmal im Monat einen sogenannten Lobpreisgottesdienst, der ebenfalls aus freiem Gebet, freien Fürbitten und dem musikalischen Lobpreis Gottes besteht.
Ansonsten besuchen die charismatischen Erneuerer den von der Gemeinde angebotenen Sonntagsgottesdienst. Nur in Ausnahmefällen – wenn sich die Geistlichen offen dafür zeigen – werden Elemente ihrer Spiritualität in die Eucharistiefeier eingebunden. "In unserer kleinen Pfarrei stoßen wir aber eher auf Kritik und Vorurteile. Das macht mich traurig", beschreibt Schönbuchner ihre Gefühle. Dabei sei man doch keine "elitäre Gruppe". Sie sagt, dass jeder eingeladen sei, "sich mit uns gemeinsam auf den Weg mit und zu Jesus zu machen". Sie sagt aber auch: "Denn es ist der beste Weg."