Dem Wort dienen
Samstagnachmittag, Menschen drängeln sich durch die Einkaufsstraße. Die Schaufenster der Geschäfte präsentieren die neusten Trends. Davor bastelt ein Straßenkünstler Tiere aus Luftballons. Einige Meter weiter spielt ein junger Mann Gitarre und singt dazu. Manche bleiben stehen, werfen Münzen in den Hut, der vor ihm auf dem Kopfsteinpflaster liegt, gehen wieder weiter. Drei Stockwerke höher ist es still. Dort sitzt eine Gruppe Frauen und Männer in einer Kapelle: Mitten im Trubel von Münsters Innenstadt betet die "Gemeinschaft der Dienerinnen und Diener des Evangeliums von der Barmherzigkeit Gottes".
Die Neue Geistliche Gemeinschaft gibt es seit 13 Jahren. Im Jahr 2002 hat Bischof Reinhard Lettmann sie in Münster offiziell anerkannt. Die päpstliche Approbation ist bereits beantragt. Um den Antrag dafür einzureichen, sind nicht nur geweihte Mitglieder in den Vatikan gereist, sondern auch Laien . "Damit wollten sie zeigen: Auch wir gehören dazu", sagt Marianne Stuhldreier, die mit ihrem Ehemann Horst seit einigen Jahren Teil der Gemeinschaft ist. Mittlerweile können Laien sogar in die Generalversammlung gewählt werden: Das oberste Gremium der Dienerinnen und Diener des Evangeliums tagt alle vier Jahre und trifft wichtige Entscheidungen.
Berufung nicht "Frage des Lebensstandes"
Die Gemeinschaft ist eine "internationale, private Vereinigung von Gläubigen der katholischen Kirche". Sie bestand von Anfang an nicht nur aus Schwestern und Brüdern; auch Diözesanpriester, Ehepaare und Alleinstehende gehören dazu. Sie treffen sich regelmäßig in Ortsgruppen, wie auch an diesem Abend in Münster. Im Treppenhaus duftet es schon nach Käse und Lauch: Schwester Annette Wolf hat gefüllte Teigtaschen gebacken. Sie liegen auf dem Tisch, zwischen Salat und Brot. "Segne die Gaben", singen die sechs Frauen und Männer im Kanon. "Wem darf ich etwas geben?", fragt Schwester Annette mit einem Lächeln und nimmt den ersten Teller entgegen. Horst Stuhldreier schenkt seiner Ehefrau Tee ein.
Mittendrin sitzt Sandra Blömer. Die gelernte Grundschullehrerin gibt zurzeit Deutschkurse für Erwachsene. Sie kennt die Gemeinschaft seit 2007. Vor einem Jahr ist sie mit ihrem Mann und ihrer dreijährigen Tochter nach Münster gezogen – auch, um näher an der Gemeinschaft zu sein. Im nächsten Jahr will sie ihr "Versprechen" ablegen.
Diesen Schritt sind Marianne und Horst Stuhldreier vor vier Jahren bereits gegangen. In einem Gottesdienst haben beide öffentlich bekundet , zur Gemeinschaft zu gehören. Verbindlich. "Jeder kann in unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten mit seiner eigenen Berufung das ausdrücken, was er von Gott versteht", sagt Horst Stuhldreier. Der 56-Jährige arbeitet bei einer Bank in Münster, seine Ehefrau ist Rechtspflegerin am Amtsgericht. Dass Berufung nicht "Frage des Lebensstandes" ist, empfindet Marianne Stuhldreier als "großes Geschenk". "Auch als Verheiratete kann ich von Gott ergriffen sein", sagt sie.
Glaube braucht Gemeinschaft
"Wir sind eine Familie Gottes, in unserer Vielfalt", betont Annette Wolf. Die 46-Jährige ist seit 23 Jahren Schwester, sie begann in der Geistlichen Gemeinschaft "Verbum Dei". Im Jahr 2002 trennten sich weltweit Mitglieder von ihr und bildeten die "Dienerinnen und Diener des Evangeliums". Eine von ihnen war Annette Wolf. Mit drei Mitschwestern lebt sie seither in der Kommunität in Münster. Die Frauen befolgen die Evangelischen Räte der Ehelosigkeit, der Armut und des Gehorsam, beten zusammen, teilen den Alltag und gehen alle einer beruflichen Tätigkeit nach. Schwester Annette arbeitet in Teilzeit als Schulseelsorgerin, ihre Mitschwester Fatima Ribeiro aus Porto lebt seit sieben Jahren in Münster. Sie arbeitet bei der portugiesischen Mission und studiert Theologie.
Zur Gemeinschaft gehören auch Alleinstehende wie zum Beispiel Dana Rempe. Die 26-Jährige arbeitet beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe und studiert nebenberuflich. Die Dienerinnen des Evangeliums kennt sie seit drei Jahren. Rempe will "ihre Berufung entdecken" und stellt sich die Frage, wie sie ihren Glauben im Beruf verwirklichen kann, auch wenn sie oft mit Klischees konfrontiert wird. Alle vier bis sechs Wochen trifft sie sich mit zwei anderen jungen Frauen zur "revision de vie", einem gemeinsamen Blick auf das Leben jeder einzelnen. Das hilft ihr, dem Glauben in ihrem Leben Raum zu geben: "Ich wachse immer mehr in die Spiritualität der Gemeinschaft hinein." Nicht mehr allein zu glauben, sondern als Teil einer Gruppe, das will die geistliche Gemeinschaft bieten: "Die Dienerinnen und Diener des Evangeliums können eine Antwort sein für viele, die überzeugt sind, dass sie für ihren Glauben auch Gemeinschaft brauchen", sagt Schwester Annette.
Fußball gucken in Geschwisterlichkeit
"Die Kirche braucht Menschen, die sich auf den Weg machen, ihre Berufung kennen lernen und dann nach außen tragen", sagt Marianne Stuhldreier. Die 54-Jährige will zeigen, dass ihr Glaube etwas mit dem Leben zu tun hat. Sie ist überzeugt: "Das zieht Menschen an und macht sie nachdenklich."
Sandra Blömer nickt zustimmend. "Mein Ehemann ist eher kirchenfern", erzählt sie, "aber über die Gemeinschaft sagt er oft: 'Wenn alles so wären, hätte die Kirche keine Probleme.'" Blömer fühlt sich aufgehoben, "wie in einer großen Familie". Der Gemeinschaftssinn geht dabei über das rein Geistliche hinaus: "Als ich einmal einen Monat lang keine Wohnung hatte, hat mich jemand aus der Gemeinschaft für diese Zeit aufgenommen", sagt sie. "Und beim Umzug nach Münster haben auch einige geholfen."
Alle Mitglieder legen das Versprechen zur Geschwisterlichkeit ab. Dazu gehört für sie, dass sie sich gegenseitig helfen; aber auch, mal einen Kaffee trinken zu gehen oder zusammen Fußball zu schauen. Laut Marianne Stuhldreier wird jeder mit seiner Persönlichkeit akzeptiert. Das Motto laute: "Du bist gut so, wie du bist." Es gehe darum, alle Menschen mit der Herzensweite Gottes anzunehmen, sagt sie. Die Aufgabe von Christen sei es, in dem Sinne " Licht für Welt und Salz für Erde sein, Sauerteig in der Masse". Stuhldreier zitiert die Kirchenkonstitution "Lumen Gentium" des Zweiten Vatikanums, wonach die Laien dort Licht sein sollen, wo Kirche sonst nicht hinkommt.
"Glaube und Leben sind keine getrennten Bereiche", sagt sie. Die Liebe zu Gott könne sie auch mit den Menschen im Amtsgericht teilen. Sie wolle mit den Menschen so umgehen, dass sie merken, wie wichtig sie sind: "Ich möchte zeigen, dass für mich jeder Mensch kostbar ist." Ihr Ehemann macht ähnliche Erfahrungen im Berufsalltag: "Manchmal ist es stressig und man kommt an eigene Grenzen, da fallen dann auch mal Worte, die man besser nicht gesagt hätte", sagt er. "Da hilft es dann sehr, wenn man versucht danach nochmal auf die Kollegen zuzugehen."
Die Dienerinnen und Diener des Evangeliums wollen keine abgeschlossene Gruppe sein, sondern zum Engagement in der Heimatgemeinde ermutigen. Das Ehepaar Stuhldreier bringt sich dort mit seinen Fähigkeiten ein: Er bietet Wanderexerzitien für Männer an, sie ist Katechetin . Beide schauen darüber hinaus, was "gerade gebraucht wird". Von diesem Ansatz ist auch Schwester Fatima Ribeiro überzeugt: "Die Geistlichen Gemeinschaften sind die Antwort auf Nöte der Menschen in dieser Zeit."