Gerät der Heilige Geist außer Kontrolle?
So sieht der Schönstatt- Pater Joachim Schmiedl das Schreiben vor allem deshalb als Wertschätzung, weil das Thema "in der Breite vom Vatikan bisher noch nicht rezipiert wurde". Es schließe nahtlos an das Wort der deutschen Bischöfe "Gemeinsam Kirche sein" aus dem vergangenen Herbst und die Ergebnisse der Trierer Diözesansynode an. Auch dort seien die Charismen der einzelnen Gläubigen besonders betont worden.
Die Schönstatt-Bewegung ist ein Vorläufer der heutigen charismatischen Gemeinschaften. Gegründet wurde sie vor mehr als 100 Jahren als Jugendbewegung in Schönstatt, einem Ortsteil von Vallendar bei Koblenz. Im Mittelpunkt ihrer Spiritualität steht das sogenannte Liebesbündnis zu Maria. Mittlerweile gehören ihr mehr als 20 unabhängige Laien- und Priestergemeinschaften in über 130 Ländern an.
Schmiedl: Unkraut kann auch Heilkraut sein
Schmiedl, der Professor für Kirchengeschichte an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar ist, hofft, dass die Kirche den Charismatikern erst einmal positiv gegenüber tritt und keine zu schnellen Urteile fällt. "Schließlich kann die Kirche heute über jede Bewegung froh sein, die Menschen für den Glauben begeistert", sagt er. Und auch scheinbares "Unkraut" könne sich später als "Heilkraut" erweisen. Trotz der Wertschätzung der Charismen verspürt Schmiedl aber auch eine gewisse Angst zwischen den Zeilen des Schreibens. "Die Angst, dass der Heilige Geist außer Kontrolle gerät."
Obwohl Schmiedl eine Rückbindung an das Lehramt wichtig findet, kann er doch nicht so ganz nachvollziehen, warum die hierarchischen Gaben im Schreiben der Glaubenskongregation am Ende über die charismatischen gestellt werden. Er selbst spricht von einer "Wesensgleichheit". Damit verweist er etwa auf Papst Johannes Paul II. (1978-2005), der bereits 1998 in seiner Botschaft an die Teilnehmer des Weltkongresses der kirchlichen Bewegungen sagte, dass beide Gaben "gleichwesentlich für die göttliche Struktur der Kirche" seien.
Für die Praxis wünscht sich der Kirchenhistoriker, die "Pfarrei" grundlegend neu zu denken. Die Umstrukturierungen in den deutschen Diözesen böten die entsprechende Möglichkeit dazu. "Wir müssen uns fragen, ob die 'Pfarrei' nur das ist, was der Pfarrer persönlich macht oder ob es da nicht eine Vielzahl an Initiativen geben kann." Die Charismatischen Bewegungen könnten seiner Meinung nach dabei helfen, den Blick zu weiten.
Auch bei der Charismatischen Erneuerung ist man insgesamt erfreut über das vatikanische Schreiben, wünscht sich aber, dass man die Besonderheiten der Initiativen weiterhin respektiert. "Wir hoffen, dass die Gemeinschaften rechtlich nicht zu sehr eingeschränkt werden", sagt Geschäftsführer Karl Fischer. Eine Gefahr, dass das kirchliche Lehramt seitens der Bewegungen aus den Augen verloren wird, sieht er nicht. "Dass der Bischof das letzte Wort hat, ist für uns selbstverständlich."
Fischer: "Es gab ja schon immer Apostel und Propheten"
Für die Anhänger der Charismatischen Erneuerung spielt der Heilige Geist und damit das "persönliche Pfingsten" eine große Rolle. Die Gemeinschaft hat nach eigenen Schätzungen deutschlandweit etwa 15.000 Mitglieder. Ihr gehören rund 35 organisierte Gemeinschaften mit Namen wie "Emmausbewegung" oder "Chemin Neuf" an, die zwischen 20 und 300 Mitglieder haben. Hinzu kommen 500 bis 600 eher lose Gebetskreise in den einzelnen Pfarreien der deutschen Diözesen.
Wichtig ist es für Fischer deshalb auch, dass man innerhalb der Kirche auf allen Ebenen im Dialog bleibt. "In meiner Gemeinde tauschen wir uns zum Beispiel mindestens zwei Mal im Jahr mit dem Pfarrer über unsere Aktivitäten aus", sagt er. Die Gesprächsbereitschaft müsse allerdings vielerorts noch zunehmen. Dabei gelte es auch, natürliche Spannungen zwischen der hierarchischen Kirche und den charismatischen Bewegungen auszuhalten. "Es gab ja schon immer Apostel und Propheten", sagt er.
Sehr positiv wurde "Iuvenescit Ecclesia" auch beim Regnum Christi aufgenommen. Schon am Tag der Veröffentlichung habe der Sprecher der Laienbewegung in Deutschland, Karl-Olaf Bergmann, zahlreiche Reaktionen von Kollegen aus der ganzen Welt erhalten. Eine im Regnum engagierte Spanierin habe ihm geschrieben: "Dieses Dokument scheint wie für uns gemacht. Es ist ein Geschenk", berichtet Bergmann.
Das Regnum Christi ist eine weltweit tätige Laienorganisation, die an die Ordensgemeinschaft der Legionäre Christi angegliedert ist. Der 1968 gegründeten Bewegung gehören international etwa 31.500 Gläubige an. Infolge des Bekanntwerdens von Missbrauchsfällen in Einrichtungen der Gemeinschaft durchlief sie zwischen 2010 und 2014 einen Erneuerungsprozess, den Papst Benedikt XVI. (2005-2013) nach Untersuchungen gestartet hatte.
Kooperation mit Vatikan hat das Regnum Christi gestärkt
Die Kooperation bei der Aufarbeitung mit dem Vatikan habe das Regnum Christi gestärkt, sagt Bergmann weiter: "Wir haben die Verbundenheit mit Papst und Bischöfen immer als große Hilfe erfahren." Die notwendige Erneuerung der Gemeinschaft nach der "existenziellen Erfahrung" der Gründerkrise sei durch das Einschreiten des Vatikan sehr unterstützt worden. So nehme man laut Bergmann auch das Schreiben der Glaubenskongregation wahr: "Das hilft uns weiter als geistliche Gemeinschaft."
Im Charisma des Regnum Christi spielen der Papst und eine enge Anbindung an das Lehr- und Leitungsamt seit jeher eine zentrale Rolle. Insofern fühle man sich laut Bergmann auch durch die in "Iuvenescit Ecclesia" betonte Unterordnung der charismatischen Gemeinschaften unter das bischöfliche Leitungsamt nicht beeinträchtigt: "Das stand immer schon fest: Die Treue zu den Nachfolgern der Apostel ist für das Regnum Christi ein wichtiges Arbeitsprinzip." Die Zusammenarbeit mit den Ortsbischöfen werde durch die Bewegung intensiv gepflegt und gehe bis in Detailfragen. "Die Bischöfe wissen am besten, was für die Kirche vor Ort nötig und richtig ist", erklärt Bergmann. Für das Regnum Christi könne es daher nie darum gehen, das eigene Charisma auf Kosten oder sogar konträr zur hierarchischen Struktur der Kirche auszuleben. Vielmehr seien die Mitglieder in aller Regel auch in ihren Pfarreien präsent und engagiert, so Bergmann.