Serie: Fastenzeit inmitten der Corona-Pandemie

Warum Ordensschwestern von Tür zu Tür gehen und um Almosen bitten

Veröffentlicht am 21.03.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Wien ‐ Einige Orden gelten wegen ihrer Historie als Bettelorden – doch heute bitten sie längst nicht mehr auf der Straße um Almosen. Ein junger Orden, dessen Mitglieder heute wieder betteln gehen, ist die Gemeinschaft vom Lamm. Im Interview erklären die Kleinen Schwestern, warum sie von Tür zu Tür gehen.

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In der Fastenzeit nehmen sich viele Christen vor, mehr Geld zu spenden und vielleicht auch häufiger einem Bettler auf der Straße etwas zuzustecken. Doch wie würden die meisten Menschen reagieren, wenn Ordensfrauen an ihrer Haustür klingeln und um eine Mahlzeit oder einfache Lebensmittel bitten? Im Interview erklären die Kleinen Schwestern vom Lamm aus Wien, warum sie genau das tun und welche Reaktionen sie auf ihr Betteln erhalten.

Frage: Warum gehen Sie auf die Straße und bitten um Lebensmittelspenden?

Kl. Sr. Petra Parth: Wir fragen nicht einfach auf der Straße nach Lebensmitteln, sondern wir gehen von Tür zu Tür und klopfen bei den Menschen zuhause an. Das ist unsere Art zu Betteln. Von Tür zu Tür zu gehen erinnert an das Buch der Offenbarung, in dem es heißt: "Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn einer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten und Mahl mit ihm halten und er mit mir." Das Betteln ist für uns eine Art der Verkündigung, denn wir wollen es so wie Gott machen, der tagtäglich an die Türen unserer Herzen klopft und um Einlass bittet. So stehen wir an den Haustüren und bitten um etwas zu essen. Dabei merken wir, wie die Tür ein Spiegelbild für unser Herz sein kann. Wir können uns selbst fragen: Wenn jemand kommt und mich um etwas bittet, sage ich sofort freudig ja? Manches Mal schon, aber nicht immer. Das merken wir an den Haustüren immer wieder. Wir sind von Gott dorthin gesandt, so wie Jesus die Apostel ausgesendet hat: Geht zu zweit hinaus, verkündet das Evangelium, nehmt nichts mit auf dem Weg – auch keine Vorratstasche. Wir sind Arme und brauchen die anderen. Als Bedürftige gehen wir zu den Menschen, um ein Zeichen dafür zu sein, dass keiner für sich allein lebt, sondern dass wir einander brauchen.

Kl. Sr. Hélène Velon: Wir leben intensiv mit dem Wort Gottes und erfahren, wie der Herr uns durch sein Wort anspricht. Er entzündet ein Feuer in unseren Herzen und mit dem Wort Gottes in unserer Brust gehen wir von Tür zu Tür, damit es überall hinkommt. Das ist kein Abenteuer, sondern gründet im Gebet. Diese Mission kommt also aus der Erfahrung, die wir mit dem Wort Gottes machen.

Frage: Welche Erfahrungen machen Sie an den Haustüren, wenn Sie um Almosen bitten?

Kl. Sr. Hélène: Das kommt sehr darauf an. Manchmal öffnen die Leute ihre Türen und ihre Herzen, das heißt, sie laden uns ein und wir nehmen ein Mittagessen mit ihnen ein. Wir lernen uns so kennen und manchmal gibt es Fragen an uns – manchmal auch nicht. Manchmal bleiben die Türen aber auch zu. Oft geben die Menschen aber einfach ein Stück Brot oder ähnliches und wir gehen weiter. Wir erleben aber auch, dass die Türen zugemacht werden und ein wenig später hören wir dann Schritte im Treppenhaus: Die Leute kommen schließlich doch noch heraus und geben uns etwas. Das ist wirklich sehr schön, denn es zeigt, dass sie doch noch ihre Herzen öffnen. Der Herr ruft uns immer zur Umkehr und dieses Verhalten ist ein Zeichen der Bekehrung.

Kl. Sr. Petra: Wir drängen uns als Bettler nicht auf, denn wir wollen nichts verkaufen – auch keine Botschaft. Wir lassen den Menschen ihren Freiraum. Dass wir als Kleine, als Bettler kommen, hilft den Leuten dabei, ihr Herz zu öffnen. Ich kann etwa an eine Mission in Deutschland erinnern, wo eine Frau uns erst sagte, dass sie keine Zeit habe. Sie gab uns schließlich einen großen Beutel mit Lebensmitteln. Als wir dann gefragt haben, ob wir das Essen im Treppenhaus zu uns nehmen könnten, weil es draußen geschneit hatte, war sie ganz verwundert. Sie bat uns herein, wir haben gemeinsam gegessen und letztlich eine Stunde über Gott gesprochen.

Kleine Schwestern vom Lamm
Bild: ©Kleine Schwestern vom Lamm, Wien

Die Gemeinschaft der Kleinen Schwestern vom Lamm in Wien. Kl. Sr. Petra befindet sich ganz links und Kl. Sr. Hélène ganz rechts im Bild.

Frage: Wie läuft es konkret ab, wenn Sie um Almosen bitten?

Kl. Sr. Hélène: Wir gehen immer zu zwei oder zu dritt, aus dem Mittagsgebet heraus, los und bitten um etwas zu essen, das wir direkt zu uns nehmen. Wenn wir zu viel erhalten, nehmen wir die Lebensmittel ins Kloster mit oder wir teilen sie mit anderen.

Frage: Heute sind Ordensleute, die um etwas zu essen bitten, eine Seltenheit. Wie wird Ihr Betteln innerhalb der Kirche aufgenommen?

Kl. Sr. Hélène: Jedes Charisma kommt vom Heiligen Geist und das Bitten um Almosen ist unser Charisma als Gemeinschaft. Dadurch verkündigen wir Jesus als Armen und Bedürftigen. Die Kirche schickt uns sozusagen als Bettler los. Aber wir sind als Menschen alle Bittsteller: Wir suchen Gott und die Liebe, betteln um Hilfe, vielleicht auch um Aufmerksamkeit – selbst wenn es nicht alle so machen wie wir. Denn natürlich kann nicht die ganze Welt diese Art des Bettelns leben.

Kl. Sr. Petra: Unser Charisma trifft in der Gesellschaft, aber auch in Kirche teilweise auf Unverständnis. Dabei ist es die Kirche, die uns aussendet. Dieses Unverständnis hat damit zu tun, dass wir uns unsere Armut nicht eingestehen wollen. Wir wollen nicht sehen, dass wir eigentlich alle Bettler sind.

Kl. Sr. Hélène: Während des Zweiten Vatikanischen Konzils hat der Dominikaner und Theologe Kardinal Yves Congar von einer Kirche gesprochen, die arm und dienend ist. Das ist genau das, was wir sein möchten: arme Dienerinnen. Wir stehen in der Nachfolge eines Gottes, der sich zum Diener aller gemacht hat, um die ganze Welt zu retten. Diese Botschaft möchten wir verkünden.

Frage: Die Gemeinschaft vom Lamm gehört zur Dominikanischen Familie und damit zum Predigerorden, der ja von seiner Geschichte her ein Bettelorden ist. Wie sind Sie dazu gekommen, diese Tradition wieder aufleben zu lassen?

Kl. Sr. Petra: Unsere Gründerin, Kleine Schwester Marie, und die ersten Schwestern waren Dominikanerinnen. Sie lebten in Paris und wollten nach dem II. Vatikanum zu den Wurzeln des Ordens zurückkehren. Bei der Beschäftigung mit Texten aus der Gründungszeit des Predigerordens hat Kl. Sr. Marie gespürt, dass sie das Evangelium in Armut verkünden soll. Auch der heilige Dominikus und die ersten Brüder sind etwa betteln gegangen. Unsere Gründerin hat also einen Versuch gestartet und ein Leben mit mehr Gebet und Armut begonnen. Als sich ihr mehrere junge Frauen angeschlossen hatten, riet ihr die Oberin dazu, eine neue Gemeinschaft zu gründen. Im Gehorsam ist Kl. Sr. Marie mit einigen anderen Schwestern gegangen, hat einen Bischof gesucht, der ihre Gemeinschaft anerkannt hat, und im gleichen Jahr wurden sie als Gemeinschaft wieder in die Dominikanische Familie aufgenommen.

Kl. Sr. Hélène: Das Betteln gehörte aber nicht von Anfang an zu unserer Gemeinschaft. Unsere Gründerin hat aus der Vorsehung heraus gelebt und zunächst eine kleine Arbeit gehabt. Sie hat jedoch von Gott erfahren, dass sie sich ganz auf das Gebet konzentrieren und auf Gott verlassen soll. Daraufhin begannen sie zu betteln.

Gemeinschaft vom Lamm
Bild: ©Kleine Schwestern vom Lamm, Wien

Im Kloster Maria Licht der Kirche der Gemeinschaft vom Lamm in Wien feiern die Kleinen Schwestern und Kleinen Brüder ihre Liturgie.

Frage: Stimmt es, dass Sie es mit den Reisen so ähnlich wie mit dem Betteln halten, also anstatt eine Fahrkarte für den Zug oder den Bus zu kaufen, lieber per Anhalter fahren?

Kl. Sr. Petra: Immer wieder fahren wir per Anhalter, um Geld zu sparen und ein einfaches Leben zu führen. Wir sind dabei nie allein, sondern zu zweit oder zu dritt unterwegs. Das ist eine sehr schöne Möglichkeit zur Begegnung: Oft entstehen dabei tiefe Gespräche, weil die Personen, die uns mitnehmen, uns noch nie zuvor gesehen haben und uns wahrscheinlich auch nie wieder sehen werden. Deshalb haben sie keine Angst, ihr Herz zu öffnen. Manchmal entstehen dabei aber auch Freundschaften, die bestehen bleiben. Bei allem was wir machen und wie wir leben, also betteln, beten, per Anhalter fahren und zu den Armen gehen, machen wir immer einzigartige Begegnungen. Die Menschen öffnen ihre Herzen für Gott und wir dürfen ein Werkzeug des Herrn dafür sein.

Frage: Haben Sie Angst, dass Sie am Ende des Tages nichts zu essen bekommen haben und Hunger leiden müssen?

Kl. Sr. Hélène: Nein, wir haben keine Angst. Manchmal dauert es zwar etwas länger, bis wir etwas zum Essen erhalten, aber wir bekommen immer genug. Unser Herr verlässt uns nicht. Wenn es zunächst schleppend läuft, wissen wir später oft, warum wir gewartet haben: Der Herr wollte, dass wir einen bestimmten Menschen treffen.

Kl. Sr. Petra: Wir dürfen Zeugen sein, dass wir einen Vater im Himmel haben, der weiß, was wir brauchen. Manches Mal bekommen wir auch Lebensmittel, die wirklich gut sind, oder sich besonders für eine Schwester eignen, die nicht alles essen kann. Wir dürfen erfahren, dass das Gute in jedem Menschen wohnt. Wir geben den Menschen durch unser Betteln die Gelegenheit zu zeigen, dass sie gütig sein können. Zum Guten sind alle fähig.

Frage: Sie gehen außerdem sehr viel zu den Menschen auf der Straße, den Bettlern, und besuchen sie. Kommt diese besondere Verbindung zu den Armen auch daher, dass sie selber betteln?

Kl. Sr. Petra: Wir besuchen die Armen und gehen oft zu öffentlichen Suppenausgaben. Das ist etwas, das wir momentan sehr viel tun, weil wir wegen des Coronavirus nicht wirklich von Tür zu Tür gehen können. Wir besuchen die Armen, um mit ihnen das Leben zu teilen, so wie Gott mit den Menschen sein will, denn in der Bibel heißt es, dass den Armen das Evangelium verkündet wird. Wir gehen zu ihnen aber auch, weil wir selbst Bettler und Arme sind. Es ist eine andere Beziehung, wenn man mit den Armen am gleichen Tisch sitzt, als wenn man sie bedient. Wir befinden uns in der gleichen Situation. Die Armen zu bedienen ist auch sehr schön, aber unser Platz ist an einem gemeinsamen Tisch mit ihnen. Wir sind ihre kleinen Schwestern.

Von Roland Müller