Serie: Fastenzeit inmitten der Corona-Pandemie

Verzicht oder nicht? Fasten in der Corona-Zeit

Veröffentlicht am 28.02.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Essen/Stühlingen ‐ Die Corona-Zeit erscheint wie eine nicht enden wollende Zeit der Entbehrungen. Mit der österlichen Bußzeit sieht die Kirche seit Aschermittwoch aber eine Zeit des Fastens und der Askese vor. Muss man in der Fastenzeit also noch zusätzlich auf etwas verzichten?

  • Teilen:

In gewisser Weise durchleben wir seit Monaten eine Fast- und Abstinenzzeit: Partys oder Reisen sind durch die Corona-Beschränkungen nicht möglich. Zudem bereiten Kurzarbeit oder Jobverlust manchen Menschen genauso Sorgen wie gleichzeitiges Homeoffice und Kinderbetreuung andere belasten. Der Gedanke, angesichts dessen in der Fastenzeit noch zusätzlich auf etwas zu verzichten, mag für viele daher fast zynisch klingen.

"Ich glaube nicht, dass wir jetzt auf noch mehr Dinge verzichten müssen", sagt Bruder Harald Weber. Der Kapuziner ist Ausbildungsleiter der Kapuziner-Ordensprovinz. Für ihn ist die Corona-Zeit insgesamt wie eine verordnete Buß- oder Fastenzeit, in der sich die Menschen notgedrungen damit auseinandersetzen müssen, was wichtig ist – und was verzichtbar. Ein Teil des bisher gelebten Alltags – so viel steht schon fest – wird nicht wiederkommen. "Die Corona-Pandemie bringt unsere Lebensgewohnheiten durcheinander und lädt nicht nur dazu ein, sondern zwingt uns sogar dazu, liebgewonnene Gewohnheiten zu überdenken", sagt Bruder Harald.

Loslassen, zur Ruhe kommen, nachdenken

Somit steht in diesen Monaten das große Motto der Fastenzeit schlechthin bereits auf unserer gesellschaftlichen Tagesordnung: Denn die österliche Bußzeit soll nicht nur der Askese dienen, sondern der Besinnung. Loslassen, zur Ruhe kommen, nachdenken – das alles in der Vorbereitung auf Ostern. "Fasten ist letztendlich keine asketische Übung der Selbstbestrafung, sondern eine Chance, meine Gewohnheiten anzuschauen und zu überdenken", so Bruder Harald. Ziel ist, mit dem Tag der Auferstehung Jesu auch im individuellen Selbst im übertragenen Sinne eine neue Zeit anbrechen zu lassen.

Silvia Betinska und Bruder Harald Weber
Bild: ©Privat; Kapuziner/Tobias Rauser; Montage:katholisch.de

Sehen in der Fastenzeit eher die Gelegenheit, über sich selbst nachzudenken, als die Verpflichtung zu einer strengen Askese: Silvia Betinska und Bruder Harald Weber.

Auch für Silvia Betinska ist es wichtig, die Aufmerksamkeit in der Fastenzeit auf sich selbst zu lenken und zu schauen, was Verzicht im eigenen Leben aktuell bedeutet. "Für alle Katholiken ist zwischen Aschermittwoch und Ostern Fastenzeit. Aber wir erleben sie nicht alle gleich", sagt die Referentin für Spiritualität und Exerzitien im Bistum Essen. "Die Einladung darin ist, mit der eigenen Lebendigkeit in Berührung zu kommen und dadurch Gottes Wirken an uns persönlich zu erkennen."

Auch sie schlägt in dieser Fastenzeit einen "Verzicht auf Verzicht" vor und damit die Überlegung, was man sich selbst Gutes tun könne, statt nur an Verzicht zu denken. "Nur weil Fastenzeit ist, heißt das nicht, dass wir keine Freude spüren dürfen", sagt sie. Das bedeute nicht, sich gehen zu lassen. Ihr geht es vielmehr um einzelne, konkrete Dinge: Sich ein gutes Buch nehmen und es während der Fastenzeit zu lesen oder eine Bekannte anrufen, die einem vielleicht aus dem Sinn gekommen ist – Dinge also, für die wir sonst im Alltag eher weniger Zeit finden.

"Das ist für mich auch eine Übung in Dankbarkeit und Freude"

Auch dadurch lasse sich der Alltag aufbrechen und so mehr Zeit für sich selbst schaffen. "Das ist für mich auch eine Übung in Dankbarkeit und Freude", sagt Betinska. Dabei sollen negative Gefühle und Erfahrungen der Pandemie wie Ohnmacht, Traurigkeit oder Wut aber nicht weggeredet werden. Vielmehr sollte der Blick dahin gehen, welche Gefühle, Emotionen und Eindrücke daneben noch existieren. "Das ist vielleicht anders, als wir das gewohnt sind, weil früher viel mehr davon selbstverständlich war", sagt Betinska. "Ich finde, diese Zeit ist eine große Einladung an uns selbst und unsere Wahrnehmung."

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Die Wege zu dieser neuen bewussten Wahrnehmung des Selbst und der eigenen Bedürfnisse sind sehr verschieden: Das können Meditation und Gebet sein, das tägliche Lesen einer Bibelstelle, die auf die Seele wirkt und auch Zeit dafür bekommt. Es ist auch möglich, die eigenen Gedanken aufzuschreiben, sich mit Freunden auszutauschen oder einfach längere Zeit in der Natur spazieren zu gehen und so zur Ruhe zu kommen.

Zeit des "Aufräumens"

Gleichzeitig kann die Fastenzeit trotzdem auch eine Zeit sein, im eigenen Leben "aufzuräumen" und eben auch die Gewohnheiten auf den Prüfstand zu stellen, die sich vielleicht in den Monaten der Pandemie eingeschlichen haben und jetzt einen zu großen Platz im Leben einnehmen. Verbringen wir zum Beispiel mehr Zeit vor dem Fernseher, als wir eigentlich wollen? Oder haben sich in letzter Zeit häufiger Missgunst oder Egoismus in die eigenen Gedanken geschlichen? Die Fastenzeit kann eine Chance sein, diese Dinge zurückzufahren und so mehr Zeit und Raum für positive Veränderungen und Lebenswege zu eröffnen.

Diese Chance auf Veränderung sollte nicht wie sonst üblich nach Ostern fallen gelassen werden, wenn die Zeit des Verzichts auf Alkohol, Smartphone oder Autofahren endet und man wieder zu seinen alten Routinen zurückkehrt. "Es geht immer um die Umstellung von Gewohnheiten und nicht nur darum, sieben Wochen zu zeigen, dass ich auch anders kann", sagt Bruder Harald Weber. "Corona hat uns aus unserem gewohnten Alltag herausgerissen, jetzt sollten wir nicht sofort wieder versuchen, in den alten Trott zurückzukehren, sondern einen Schritt zurücktreten und überlegen, wie wir die kommende Zeit bewusst neu gestalten wollen", so der Kapuziner. "Das wäre für mich eine sehr sinnvoll gestaltete Fastenzeit."

Von Christoph Brüwer