Reformer, kein Revolutionär
Die Sedisvakanz stand im Zeichen von Veränderung und Reform. Der zurückgetretene Benedikt XVI. hatte die Kirche mit brillanten Ansprachen geleitet, theologische Bücher verfasst, den Dialog von Kirche und Zeitgeist vorangebracht, Ökumene und interreligiösen Dialog gefördert und politische Zeichen gesetzt. Doch im Vatikan gab es etliche organisatorische Pannen: die Regensburger Rede, die Williamson-Affäre oder "Vatileaks". Im Vorkonklave forderten die Kardinäle nachdrücklich Abhilfe. Und Bergoglio traf mit seiner "Brandrede" über eine Neuausrichtung der Kirche offensichtlich genau den Nerv.
Seither beflügelt Franziskus durch einen eigenen Lebens- und Arbeitsstil, durch verständliche Botschaften und umfassende Reformpläne, durch Ausstrahlung, Charisma und Spontaneität viele Hoffnungen in der Kirche. Er versteht es, ein Klima von Offenheit zu schaffen, auf die Menschen zuzugehen; er wirkt authentisch. Franziskus wohnt nicht im Apostolischen Palast, sondern zusammen mit vielen Vatikangeistlichen im Gästehaus Santa Marta. Er lässt sich nicht vom Kurienapparat vereinnahmen, erledigt vieles selbst, macht klare Vorgaben. Schon bald nach der Wahl berief er den sogenannten K8-Rat, ein Gremium aus acht Kardinälen, das ihn bei seinen Reformen unterstützen soll.
Barmherzige Kirche für die Armen
Die Sorgen um das Nebeneinander zweier Päpste erwiesen sich als unbegründet: Benedikt XVI. lebt zurückgezogen in einem Kloster im Vatikan, widmet sich dem Gebet und einer umfangreichen Korrespondenz. Zuletzt war er dieser Tage beim Konsistorium im Petersdom dabei. Franziskus nutzt seinen Rat. Gemeinsam gaben sie die Enzyklika "Lumen fidei" heraus.
Zu Jahresende erschien dann mit "Evangelii gaudium" das Regierungsprogramm von Papst Franziskus. Darin verlangt er eine Neuausrichtung der Kirche auf allen Ebenen, mehr Kollegialität und Synodalität an der Kirchenspitze. Es geht ihm um eine Kirche für die Armen, die vor allem auf die Menschen am Rand zugeht; die Barmherzigkeit übt, ohne die Gerechtigkeit außer Acht zu lassen.
Für Franziskus bedeutet das kirchliche Amt - einschließlich des Papstamtes - nicht Macht, sondern vor allem Dienst. Das heißt nicht, dass er auf päpstliche Autorität verzichtet. Franziskus ist eine Führungsfigur - und er zeigt, dass kirchliche Karrieren nicht immer nach oben führen müssen. Beim Konsistorium nahm er auch manchen Außenseiter ins Kardinalskollegium auf, doch er will sicher keine völlig andere Kirche. Franziskus ist kein Revolutionär.
Politische Aufmerksamkeit fand Franziskus bereits mit seiner ersten Reise: seinem energischen Solidaritätsappell auf der Flüchtlingsinsel Lampedusa. Sein Weltgebetstag für ein Kriegsende in Syrien angesichts der drohenden US-Militärintervention im September erfuhr auch interreligiös Beachtung. Als Heimspiel erwies sich seine erste Auslandsreise zum Weltjugendtag in Rio de Janeiro.
Kritik an fehlendem theologischen Tiefgang
Der neue Franziskus-Stil gefällt freilich nicht allen. Seine Messen seien zu wenig feierlich, seinen Predigten fehle theologischer Tiefgang, so ist zu hören. Manche halten seine Wirtschaftskritik für zu "links". Überhaupt sehe man zu viel Bergoglio und zu wenig Papst, heißt es.
In seiner kirchlichen Grundhaltung ist Franziskus zweifellos traditionell. Immer wieder spricht er von der Kirche als Mutter. Er hat eine verwurzelte Marienfrömmigkeit, fördert das Bußsakrament. Ein großes Projekt sind derzeit die beiden Bischofssynoden zur Familienseelsorge. Unter breiter Beteiligung der Weltkirche will er dort nach einer Förderung und zeitgemäßen Umsetzung des christlichen Familienbildes suchen. Franziskus will die Freude an Glauben und Kirche stärken - und zu einer Erneuerung durch persönliches Vorbild beitragen.