Betroffenensprecher fassungslos über Vatikan-Aussagen zu Missbrauch
Der Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Johannes Norpoth, hat sich fassungslos über Aussagen zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in dem am Montag veröffentlichten Brief des Vatikan zum geplanten Synodalen Rat in Deutschland geäußert. Die ranghöchsten Vertreter der vatikanischen Führungselite bemächtigten sich in dem Brief "einer relativierenden Sprache im Kontext der größten Krise der katholischen Kirche in der Neuzeit", sagte Norpoth am Freitag auf Anfrage von katholisch.de. Dies müsse jede Katholikin und jeden Katholiken in der Kirche fassungs- und sprachlos zurücklassen.
Der Brief und seine Aussagen zum Missbrauch fielen auch auf Papst Franziskus zurück, da dieser das Schreiben "in forma specifica" approbiert und es damit mit seiner ausdrücklichen Zustimmung und Autorität versehen habe. "Damit muss sich Papst Franziskus den Brief und die den Missbrauch abschwächende Formulierung zuschreiben lassen. Eine Formulierung, in der schlussendlich eine solch massive apostolische Arroganz und Ignoranz deutlich wird, wie man sie dem aktuellen Pontifex eigentlich nicht zugetraut hätte", so Norpoth weiter.
Wenig beachteter Satz zum Missbrauch in der Kirche
Konkret bezog sich der Sprecher des Betroffenenbeirats auf einen in der öffentlichen Debatte wenig beachteten Satz am Beginn des von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin und den beiden Kurienkardinälen Luis Ladaria und Marc Ouellet unterschriebenen Briefs: "Im Hinblick auf dieses Treffen möchten wir zunächst den Bischöfen erneut für die großen Anstrengungen danken, die sie bei der Untersuchung des abscheulichen Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen durch Männer (darunter Kleriker) und Frauen der katholischen Kirche sowie der oft unzulänglichen Vorgehensweise einiger Hirten der Kirche unternommen haben." Mit dem in dem Zitat erwähnten Treffen ist der Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe im November im Vatikan gemeint, auf den das Schreiben der drei Kardinäle Bezug nimmt.
„Nicht erst seit 2010, sondern bereits seit den 1990er Jahren des letzten Jahrhunderts machen Studien weltweit Umfang, Tragweite und systemisches Fundament von sexualisierter Gewalt, von Vertuschung, Strafvereitelung und fehlender Opferfürsorge in der katholischen Kirche deutlich.“
Der Satz hatte nach der Veröffentlichung des Briefs in den sozialen Netzwerken und in Kommentaren in den Medien vereinzelt Kritik ausgelöst. Bemängelt wurde unter anderem, dass die Aussage eine Relativierung der Missbrauchstaten durch Kleriker darstelle, weil diese nur in Klammern und neben anderen Männern und Frauen als Missbrauchstäter erwähnt würden. Außerdem wurde kritisiert, dass der Hinweis auf die unzulängliche Vorgehensweise "einiger Hirten der Kirche" den Eindruck vermittle, dass das Problem des zögerlichen und unzureichenden Umgangs mit Missbrauchsfällen und Missbrauchstätern nur das Problem einiger weniger Verantwortungsträger in der Kirche sei.
"Nicht erst seit 2010, sondern bereits seit den 1990er Jahren des letzten Jahrhunderts machen Studien weltweit Umfang, Tragweite und systemisches Fundament von sexualisierter Gewalt, von Vertuschung, Strafvereitelung und fehlender Opferfürsorge in der katholischen Kirche deutlich", betonte Norpoth. Eine Relativierung dieser nachgewiesenen Quantitäten und Qualitäten von Missbrauch im Jahr 2023 bedeute letztlich, dass all diese Studienergebnisse bewusst negiert würden. Angesichts der erdrückenden Studien- und Beweislage könne die Ausdrucksweise der drei Kardinäle in dem Brief nicht nur Betroffene, sondern auch jede Katholikin und jeden Katholiken sprachlos zurücklassen.
Der kirchliche Kinderschutzexperte Hans Zollner äußerte sich auf Anfrage von katholisch.de vorsichtiger zu dem kritisierten Satz. Zwar betonte er, dass er verstehen könne, dass manche Leser die Aussage in dem Brief als Relativierung der Missbrauchstaten durch Kleriker interpretierten. "Ob diese Interpretation von den Intentionen der Briefautoren gedeckt ist, weiß ich nicht. Sollte es jedoch so sein, wäre dies Unsinn. Es kann nicht oft genug betont werden, dass systemische Ursachen für Missbrauch von großer Bedeutung sind und im System 'Kirche-Kleriker' und damit auch im Blick auf den Missbrauchskomplex eine besondere Rolle spielen", erklärte der Jesuit und Direktor des Instituts für Safeguarding (IADC) an der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. In der römischen Kurie werde diese Einsicht durchaus geteilt, "wenngleich auch nicht von allen".
Eigentlicher Anlass des von der DBK veröffentlichten Briefs war die anhaltende Diskussion zwischen dem Vatikan und der Kirche in Deutschland über den Synodalen Weg und den geplanten Synodalen Rat. Diesem Gremium, das den deutschen Reformprozess langfristig verstetigen und sich als neues Beratungs- und Leitungsorgan mit "wesentlichen Entwicklungen in Kirche und Gesellschaft" befassen soll, erteilte die Kurie in dem Schreiben eine Absage. Weder der Synodale Weg noch ein von ihm eingesetztes Organ noch eine nationale Bischofskonferenz seien befugt, ein solches Gremium einzurichten, hieß es in dem auf den 16. Januar datierten Brief.
Bischöfe nicht zur Teilnahme am Synodalen Ausschuss verpflichtet
Zudem machten die Autoren klar, dass deutsche Bischöfe nicht zur Teilnahme an dem ebenfalls geplanten Synodalen Ausschuss verpflichtet seien. Dieser soll nach den bisherigen Plänen die Gründung des Synodalen Rates vorbereiten. Dem Ausschuss sollen laut einem Beschluss der Synodalversammlung die 27 Diözesanbischöfe, 27 Vertreter des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) sowie 20 weitere Mitglieder angehören, die von der Vollversammlung des Synodalen Wegs gewählt werden.
Der Brief des Vatikan war eine Reaktion auf ein Schreiben des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki und der Bischöfe Gregor Maria Hanke (Eichstätt), Bertram Meier (Augsburg), Stefan Oster (Passau) und Rudolf Voderholzer (Regensburg). Die fünf Bischöfe hatten sich kurz vor Weihnachten an den Vatikan gewandt und gefragt, ob sie an dem Synodalen Ausschuss teilnehmen müssen und ob sie teilnehmen dürfen. Der DBK-Vorsitzende Bischof Georg Bätzing betonte nach der Veröffentlichung des Vatikan-Briefs am Montag, trotz der Absage der Kurie an den Plänen für den Synodalen Rat festhalten zu wollen. Der vorbereitende Synodale Ausschuss sei "durch das römische Schreiben nicht infrage gestellt". Und auch der Synodale Rat werde sich "innerhalb des geltenden Kirchenrechts bewegen". (stz)